Die digitale Zukunft des Rechts
| 05. Dezember 2016Smarte Frage-/Antwort-Systeme, "künstliche" JuristInnen, bereiten Rechtsfälle auf. Die letzte Bewertung bleibt aber beim Menschen, so Erich Schweighofer. In einem Gastbeitrag beleuchtet der Rechtsinformatiker die Entwicklung des Rechts im digitalen Zeitalter und die Rolle der Grundlagenforschung.
Nach langer Eiszeit sind Artifizielle Intelligenz (AI) und Recht wieder Thema öffentlicher Diskussionen: Innovative Unternehmen behaupten, einen künstlichen Juristen geschaffen zu haben, der 7/24 arbeitet und dessen Stundensätze viel bescheidener sind. "Recht für alle" bleibt für viele Wunschdenken, aber die Informationstechnik bietet einen wichtigen Schritt zum Rechtszugang bzw. zu günstigen Rechtsdienstleistungen.
Um kleine Schritte in diese Richtung zu gehen, ist komplexe interdisziplinäre Forschung notwendig. Derzeit ist bis auf an der Universität Saarland und an der Universität Wien nur geringe Grundlagenforschung an juristischen Fakultäten festzustellen. Der derzeitige kommerzielle Hype darf aber nicht dazu führen, dass die Grundfragen des Themas vernachlässigt werden.
Zugang zum Recht: digital dominiert schon jetzt
In der Rechtsinformation ist der digitale Zugang schon heute der Normalfall: Das Recht wird verbindlich im elektronischen Bundesgesetzblatt publiziert und üblicherweise über das RIS Rechtsinformationssystem des Bundes nachgefragt. Anders wären die großen Textkorpora und deren tägliche Änderung nicht mehr zu managen. Textsammlungen, Handbücher und Kommentare gibt es aber noch immer: das haptische Element, die Bequemlichkeit und Flexibilität sind wesentliche Faktoren. Die Zukunft wird zeigen, ob nicht das Mobiltelefon oder das Tablet dem Buch den Rang ablaufen werden.
(Semi)automatische Dokumentenproduktion
Das Schreiben von Texten gehört zu den wichtigsten Aufgaben von JuristInnen. So wurde schon die Textverarbeitung mit großem Enthusiasmus aufgenommen. Mittlerweile werden die Texte in Textbausteine zerlegt, sprachliche Variablen durch Parameter bestimmt und der Sachverhalt durch Formulare bzw. Frage-/Antwort-Systeme festgestellt. Mit relativ wenig Aufwand lassen sich damit bei Standardfällen sehr brauchbare Texte produzieren. Der Aufwand für den Aufbau der Wissensbasis zahlt sich aber nur bei einer entsprechenden Menge aus. Des Weiteren muss die Wissensbasis immer auf dem letzten Stand gehalten werden. Die Texte werden dadurch besser, aber auch einheitlicher.
Noch Wunschdenken ist es, dass diese Texte dann in eine semantische Struktur von Relationen gebracht werden und die EmpfängerInnen – in diesem Falle dann ein Softwareagent des Gerichts, der RechtsänwaltInnen, der Verwaltung etc. – den Text "richtig" zuordnen und schon aufbereitet den menschlichen BeurteilerInnen zukommen lassen. Das letzte Element – die Bewertung – wird immer beim Menschen bleiben. Aber durch diese Unterstützung können wesentlich mehr Fälle bearbeitet werden. Finanz Online ist ein gutes Beispiel. Ein/e FinanzbeamtIn erledigt jetzt – bildlich gesprochen – 1000 statt zehn Einkommensbescheide pro Arbeitstag.
Beweiserhebung: Bilder, Videos und Formulare statt mündlicher Befragung?
Während die rechtslogische Bewertung bei Standardfällen mit weitgehend gelösten Rechtsfragen machbar und schon gut erprobt ist, fällt die Bewertung der Sachverhalte schwerer. Menschen verstehen – nach viel Training – die Welt und ihre Komplexität, während Maschinen sich hier noch sehr schwer tun. Bilder oder Videos in Sekundenbruchteilen mit Unschärfen zu bewerten, kann nur der Mensch wirklich gut. Eine intelligente Maschine braucht eine umfassende Beschreibung der Welt. Dies funktioniert bei Formularen von Steuererklärungen, bei Mahnklagen oder auch bei Bestrafung von Geschwindigkeitsübertretungen schon recht gut. Jüngste Praxis in den USA zielt vor allem auf intelligente Frage-/Antwort-Systeme. Die NutzerInnen werden solange befragt, bis der Softwareagent – "eine Art künstlicher Jurist" – zufrieden ist und glaubt, den Fall zu verstehen und auch juristisch bewerten zu können. Eine mündliche Befragung – wie bei JuristInnen an sich üblich – ist noch längere Zeit undenkbar.
Forschung der Arbeitsgruppe Rechtsinformatik
Die Arbeitsgruppe Rechtsinformatik gehört zu den wenigen Forschungsstellen an Rechtswissenschaftlichen Fakultäten, die sich auch mit informationstechnischen Fragen – wie Rechtsinformationssystemen bzw. künstliche Intelligenz und Recht – beschäftigen. Sie zählt zu den Top 10 weltweit. Jedes Jahr wird – in Zusammenarbeit mit vielen Stakeholdern – an der Universität Salzburg das Internationale Rechtsinformatik Symposion IRIS mit etwa 160 SprecherInnen und 300 TeilnehmerInnen organisiert.
Bei Rechtsinformationssystemen geht es um intelligentere Suchmethoden und Ranking, bei AI (Artifizielle Intelligenz) und Recht um den Aufbau von juristischen Ontologien sowie die Verarbeitung natürlicher Sprache. Juristisches Forschungsbiet ist vornehmlich – eher aus historischen Gründen – das Völkerrecht und das Europarecht sowie das IT-Recht. Die Forschung selbst ist in einem Netzwerk zentraleuropäischer Gruppen eingebettet – dem Central European Institute of Legal Informatics. Im Legal Information Institut Austria wird an der Weiterentwicklung des Zugangs zur Rechtsinformation geforscht bzw. es werden Pilotprojekte initiiert. Alle diese Aktivitäten werden durch den Unterstützungsverein Wiener Zentrum für Rechtsinformatik organisiert und gefördert. Die angewandten Forschungsprojekte haben derzeit den Schwerpunkt im Datenschutz, insbesondere im KIRAS-Programm der FFG bzw. in der EU-Forschung.
Ausblick
Österreich liegt das Flexible, Offene und Unbestimmte. In der angewandten Rechtsinformatik war dies ein Vorteil, weil sehr früh viele Anwendungen ausprobiert wurden. Andere Länder haben sich das einfach nicht getraut (z.B. E-Government oder E-Justice). Der Nachteil liegt darin, dass zu wenige Ressourcen bereitgestellt werden, um die vielen Ideen auch in der Praxis auszuprobieren und auf das erforderliche Qualitätsniveau zu bringen.
Zum Autor: Erich Schweighofer ist seit 1997 ao. Professor Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung, und Leiter der Arbeitsgruppe Rechtsinformatik. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rechtsinformationssysteme, AI & Recht, E-Justice, E-Government, Datenschutz, Theorie des digitalen Rechts, Internet Governance, Telekommunikationsrecht und Wettbewerbsrecht. (Foto: privat)