Digitale Revolution: Solidarische Entwicklung oder "Digital Divide"?

Hilft uns die Geschichte dabei, die richtigen Weichen für die digitale Zukunft zu stellen? Lesen Sie hier die Antwort von Zeithistoriker Oliver Rathkolb auf die Semesterfrage 2016/17: "Wie leben wir in der digitalen Zukunft?"

Die Auswirkungen der digitalen Revolution – können – ebenso wie die industrielle Revolution 2.0 und 3.0 – in zwei unterschiedliche Richtungen gehen.

Einerseits in Richtung der Globalisierung des Wissens und der Möglichkeit, den nach wie vor größer werdenden "North-South-Gap" zu verkleinern, andererseits in die Richtung, durch "digital divide", die Unterschiede zwischen Arm und Reich noch größer werden zu lassen.

Schon im 20. Jahrhundert ist es erst nach zwei furchtbaren Kriegen nach 1945 zumindest in Europa und den USA gelungen, den Turbokapitalismus zu "zähmen" und in boomende, durchaus sozial ausgerichtete Nationalökonomien einzupassen (mit doch tiefgehenden Unterschieden zwischen den USA und West- bzw. dem kommunistischen Osteuropa).

Heute stehen wir vor derselben Wende: Entweder gelingt es, die negativen Folgen der digitalen Revolution in der aktuellen Globalisierung zu "zähmen" und in eine möglichst breite solidarische und soziale Entwicklung einzuordnen, oder die Vermögens- und Einkommensunterschiede werden – auch global gesehen – noch größer werden und die Wirtschaft wird mit einer viel kleinerer Zahl von konkreten und realen Arbeitsplätzen auskommen.

Grund- und Freiheitsrechte in Gefahr

Gleichzeitig besteht überdies die Gefahr der totalen digitalen Kontrolle als eine Folge der umfassenden digitalen Einbindung unserer Lebens- und Arbeitswelten. Hier gibt es übrigens gerade in Österreich, wie Meinungsumfragen, die wir 2008 in Auftrag gegeben haben, gezeigt haben, noch wenig demokratiepolitisches Bewusstsein.

Die Grund- und Freiheitsrechte des 20. Jahrhunderts, die nach einem kurzen demokratischen Intermezzo nach 1918 und letztlich erst nach der blutigen und höchst leidvollen Erfahrung mit Diktatur und totalitärer Verfolgung, erst langsam nach 1945 eine konkrete Umsetzung erfahren haben, sind durchaus in der gegenwärtigen digitalen Kontrollgesellschaft in Gefahr. Auch hier bedarf es einer neuen Bewusstseinsbildung, die erst langsam im Entstehen ist.

Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. In Interviews und Gastbeiträgen liefern die ForscherInnen vielfältige Blickwinkel und Lösungsvorschläge aus ihrem jeweiligen Fachbereich. Zur Semesterfrage 2016/17

Zum Autor:
Univ.-Prof. Mag. DDr. Oliver Rathkolb ist Professor am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und Vorsitzender des internationalen Beirats zur Etablierung eines Hauses der Geschichte Österreich. Er forscht u.a. zur Europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert, Österreichischen und internationalen Zeit- und Gegenwartsgeschichte im Bereich der politischen Geschichte und österreichischen Republikgeschichte im europäischen Kontext.