"Demokratie ist das Herz unserer Gesellschaft"

Warum Menschen aus verschiedenen Kulturen einander manchmal skeptisch gegenüber treten und was sogenannte Schmutzkübelkampagnen und die sozialen Medien damit zu tun haben, bespricht Sozialpsychologe Arnd Florack im Interview mit uni:view zur aktuellen Semesterfrage.

uni:view: Herr Florack, in Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich u.a. mit Gruppenbeziehungen. Können Sie diesen Schwerpunkt etwas näher erläutern und erklären, inwieweit er sich auf demokratische Strukturen umlegen lässt?
Arnd Florack: In unserer Forschung beschäftigen wir uns mit Veränderungen, die entstehen, wenn Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammentreffen. Da gibt es durchaus Parallelen zu demokratischen Prozessen: Wir haben Minderheiten und Mehrheiten, dominante und weniger dominante Gruppen sowie wechselseitige Einflüsse. Es müssen Kompromisse gefunden werden, und es gibt Aspekte, die man bewahrt, aber auch solche, die man neu aufnimmt. Kulturen repräsentieren aber natürliche keine demokratischen Parteien.

uni:view: Eine der Kernfragen der Demokratie lautet heute "Wie können unterschiedliche Kulturen gut zusammenleben?". Eine doch sehr komplexe Frage …
Florack: Diese Frage ist zentral für unsere Gesellschaft und aus drei Gründen eine große Herausforderung. Zunächst einmal werden Menschen aus anderen Kulturen oder Ländern oft als eine Bedrohung im Wettbewerb um Ressourcen gesehen. Eine solche Bedrohung kann sich zum Beispiel auf Arbeitsplätze, Sozialleistungen oder Ausbildungsplätze beziehen. In der Forschung wird dies als die Wahrnehmung realistischer Bedrohungen diskutiert, was aber nicht bedeutet, dass diese so auch vorliegen, wie sie wahrgenommen werden.


Darüber hinaus kann eine wahrgenommene Bedrohung aber auch Wertvorstellungen betreffen. Wenn Werte als unvereinbar wahrgenommen werden, entstehen ganz grundlegende Gefühle der Verunsicherung. Wir nennen dies symbolische Bedrohung. Die beiden genannten Arten der Bedrohung werden zudem oft durch ein sehr subjektives Gefühl des Unbehagens ergänzt, das wir als Intergruppenangst bezeichnen. Die Intergruppenangst führt dazu, dass Menschen aus anderen Kulturen gemieden werden und Vorurteile entstehen. Eine Aufgabe unserer Gesellschaft ist, diese Gefühle der Bedrohung zu reduzieren. Da Gefühle der Bedrohung aber sehr subjektiv sind und auch sehr schwer fassbare Aspekte wie die Intergruppenangst betreffen, ist dies eine schwierige Aufgabe.

uni:view: Wie kann die Gesellschaft bzw. Demokratie mit den skizzierten Ängsten umgehen, so dass ein friedliches Zusammenleben dennoch möglich ist?
Florack: Ganz wichtig ist es, die Gefühle der Menschen nicht zu ignorieren. Wir müssen vielmehr Überlegungen anstellen, wie man die negativen Gefühle der Bedrohung reduzieren und positive Einstellungen schaffen kann. Genau diese Aufgabe ist eine Herausforderung für die Demokratie. Ein wichtiger Schlüssel für die Lösung dieser Aufgabe ist der Kontakt zwischen den verschiedenen Gruppen oder Kulturen. Fehlt dieser, bekommen Menschen Informationen über die anderen Gruppen nur über Erzählungen und über soziale oder klassische Medien. Genau in diesen Kanälen verbreiten sich vorwiegend negative Nachrichten – alltägliche Dinge sind keine Nachricht wert. Lebe ich aber z.B. in einem Viertel, wo ich jeden Tag Menschen aus fremden Kulturen sehe, dann habe ich eine ganze Reihe von positiv besetzten alltäglichen Erfahrungen. Diese spielen sich zudem nicht immer auf der Ebene von Gruppen ab, sondern auch mal in einem persönlichen Gespräch. Genau solche Erfahrungen wirken der Angst vor der fremden Gruppe entgegen.

uni:view: Die Medien, gerade die sozialen Medien, tragen oft auch nicht zu einer positiven Stimmung bei, oder?
Florack: Ja, leider. Wenn eine Person oder Gruppierung Bedrohungsgefühle über die sozialen Medien schüren möchte, dann gibt es dafür einfache Rezepte. Das einfachste Rezept um eine große Reichweite zu erlangen und Gefühle der Bedrohung auszulösen, ist das Posten von Nachrichten, die schockieren und großen Ärger auslösen. Ärger ist ein wichtiger Treiber der Verbreitung von Nachrichten in sozialen Medien. Ähnlich wirken polemische Äußerungen, die übliche Normgrenzen überschreiten. Diese werden schnell von klassischen Medien aufgegriffen und die Reichweite wird in der Folge multipliziert. Entscheidend ist, dass auf diesen Wegen eine gefühlte Bedrohung geschaffen wird, die rationalen Argumenten die Wirksamkeit nimmt.

uni:view: Kommen wir zu einem weiteren Ihrer Forschungsschwerpunkte: Werbung und KonsumentInnenverhalten. Wie demokratisch ist Werbung Ihrer Meinung nach?
Florack: Werbung – im wörtlichen Sinne – ist ein Kernelement der Demokratie. Jede Partei versucht, Werbung für ihre Position zu betreiben. Versäumt eine Partei dies, weiß niemand, für welche Position die Partei steht. Es ist in einer Demokratie selbstverständlich, dass es unterschiedliche Positionen gibt. Das ist der Wettbewerb in der Demokratie. Neu ist heutzutage allerdings die Bedeutung der sozialen Medien und die enorm rasante Verbreitung von Meinungen. In einer Demokratie müssen sich die unterschiedlichen Parteien und VertreterInnen von Interessensgruppen mit den entsprechenden Kommunikationsformen arrangieren. Sie müssen Werbung für ihre Position betreiben, um ihre Meinung zu verbreiten und im Wettbewerb zu bestehen.

uni:view: Zum Abschluss unseres Interviews möchte ich Ihnen noch unsere aktuelle Semesterfrage stellen: Was ist uns Demokratie wert?
Florack: Ich glaube, dass Demokratie uns allen sehr viel wert ist, aber dass wir dies erst merken, wenn uns droht, sie zu verlieren. Das ist wie mit unserem Herzen: Wir bemerken es das ganze Leben nicht – haben wir aber Schmerzen in der Brust, wird uns klar, wie wichtig es ist. Aber dann ist es schon fast zu spät. Demokratie ist quasi das Herz unserer Gesellschaft: Wir müssen uns also deutlich machen, was wir verlieren können, dann steigt auch unser Engagement dafür.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (td)

Arnd Florack ist seit 2010 Professor für Angewandte Sozialpsychologie und Konsumentenverhaltensforschung an der Fakultät für Psychologie. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Werbung, Markenpositionierung, Konsumentenverhalten sowie Gruppenbeziehungen, Vorurteile, Diskrimination, Akkulturation und Social Cognition.