Stephan Glatzel: Rettet die Moore

Ein bis vier Prozent der Klimagasfreisetzung stammt aus entwässerten Mooren – genauso viel wie aus dem gesamten Flugverkehr Österreichs. Es wird höchste Zeit, über den Schutz der Moore zu diskutieren, mahnt Landschaftsökologe Stephan Glatzel im Interview zur aktuellen Semesterfrage.

uni:view: Wien, 2050: Wie sieht ein typischer Sommertag aus?
Stephan Glatzel:
Die Tageshöchsttemperatur beträgt über 30 Grad, nachts kühlt es nicht unter 23 Grad ab. Heutige Extreme werden – wenn die Vorhersagen denn so stimmen – in 30 Jahren zum Normalfall.

uni:view: Höre ich da Skepsis?
Glatzel:
Keineswegs, das sage ich nur, da ich (noch) nicht in die Zukunft blicken kann. Ich beschäftige mich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema und bisher sind stets die schlimmsten Klimawandelszenarien eingetroffen. Dennoch halten wir uns nicht an Vereinbarungen zum Klimaschutz. Es gibt leider wenig Grund, optimistisch zu sein.

uni:view: Ihr Forschungsgegenstand sind die Moore. Was macht ein Moor zum Moor?
Glatzel:
Ein Moor ist ein Biotop, das nass und von bestimmten Pflanzen bewachsen ist. Das wäre wohl die gängige Antwort, inspiriert durch eine vegetationsökologische Tradition der Moorkunde. Aus bodenkundlicher Perspektive ist aber jedes Stück Land, das in den oberen 30 Zentimetern Bodenschicht Torf enthält, ein Moor – auch wenn die moortreibende Vegetation an der Oberfläche bereits zerstört wurde.

uni:view: Österreich besteht zu drei Prozent aus Mooren, das sind rund 250.000 Hektar. Wo sind die Moorflächen?
Glatzel:
Diese drei Prozent sind mit Vorsicht zu genießen, denn es gibt in Österreich bis dato keine flächendeckende Kartierung der Böden. Da haben wir noch einiges zu tun. Österreich hat sehr viele Moore, da es landschaftlich vielfältig ist. Beispielsweise sind im Salzburger Land die Alpengletscher ins Vorland gezogen und haben dort für nasse Bedingungen gesorgt. In den Alpen finden sich Moore aufgrund der hohen Niederschläge und weil sich das Wasser in Senken ansammelt. Und hier im Osten gibt es rund um den Seewinkel und Neusiedler See große Moorvorkommen.

uni:view: In ihrer Forschung, u.a. im Projekt LTER-CWN, untersuchen Sie die klimarelevanten Veränderungen von Mooren. Wie gehen Sie vor?
Glatzel:
Wir untersuchen die Reaktion von zwei Feuchtgebieten – ein Moor im Ennstal und ein Schilfgürtel am Rand des Neusiedler Sees – auf extreme Klimaereignisse, mit denen wir in Zukunft häufiger konfrontiert sein werden. Wir messen zehn Mal in der Sekunde die Geschwindigkeit und Richtung von Luftverwirbelungen. Ebenso bestimmen wir die Konzentration von CO2, Methan und Wasserdampf in der Luft. Daraus können wir berechnen, wieviel in das System Pflanze/Boden hinein- und hinausgeht.

Eine Eddy-Kovarianz-Anlage zur Bestimmung des turbulenten Gasaustausches in der atmosphärischen Grenzschicht: Mit Hilfe der Messanlage kann der Gasaustausch von Kohlenstoffdioxid, Methan und Wasserdampf sowie Wärme und Momentum quantifiziert werden. (© Simon Drollinger)

Konzentrationsänderungen berechnen wir auch mit geschlossenen Kammern, die auf dem Boden installiert sind – Gas geht entweder rein oder raus. Unsere Messdaten verknüpfen wir in einem zweiten Schritt mit Klimadaten, Daten zum Wasserstand, zur Bodenfeuchtigkeit und Vegetationsentwicklung.

uni:view: Und, wie reagieren unsere Moore auf die extremen Wetterbedingungen?
Glatzel:
In einem feuchten, nicht so warmen Sommer speichern die Moore CO2, in einem trockenen, heißen Sommer – mit dem wir es beispielsweise 2015 zu tun hatten – geben die Moore CO2 ab. Bei Hitze können die Pflanzen aufgrund der fehlenden Feuchtigkeit keine Photosynthese betreiben: weniger CO2 wird gebunden, die organische Substanz wird aber dennoch veratmet.

uni:view: Gesunde Moore können mehr CO2 speichern als Wälder, wie geht das?
Glatzel:
Wälder nehmen viel CO2 auf, veratmen es aber auch schnell wieder. Pflanzen im Moor binden das Treibhausgas über die Photosynthese. Sterben die Pflanzen ab oder geraten in den Bereich des Moores, in denen sich kein Sauerstoff befindet, können sie nicht auf dem oxischen Weg abgebaut werden. Es entsteht also ein großer Speicher. Die Veratmung passiert auch anoxisch, aber sehr viel langsamer und die Verlustraten sind dabei sehr gering.

Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. In Interviews und Gastbeiträgen liefern die ForscherInnen vielfältige Blickwinkel und Lösungsvorschläge aus ihrem jeweiligen Fachbereich. Die Semesterfrage im Sommersemester 2018 lautet "Wie retten wir unser Klima?". Zur Semesterfrage

uni:view: Unter feuchten Bedingungen speichern Moore CO2, unter trockenen Bedingungen geben sie es ab, richtig?
Glatzel:
Richtig. Mittlerweile stammen ein bis vier Prozent der österreichischen Klimagasfreisetzung aus entwässerten Mooren. Zum Vergleich: Das ist genauso viel wie durch den gesamten Flugverkehr in Österreich entsteht. Trockene Moore sind die größte Quelle von Klimagasen, die nicht direkt aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen kommen.

uni:view: "Rettet die Wälder"-Aktionen sind bekannt, warum gibt es so wenig Kampagnen zum Schutz der Moore?
Glatzel:
Schlechtes Marketing? Ich behaupte, Moore sind das wichtigste Umweltthema, das wir zurzeit haben. Doch nach wie vor scheint nicht bekannt zu sein, welche wichtige Rolle Moore im Klimasystem spielen. Moorschutz wäre der günstigste und einfachste Weg zum Klimaschutz. Doch es passiert momentan das Gegenteil: Die Drainage (Anm. d. Red.: Entwässerung des Bodens) für u.a. landwirtschaftliche Zwecke verstärkt die Probleme, die wir aufgrund der extremen Witterungsbedingungen haben. Meiner Meinung nach sollte der Verzicht auf Drainage und somit der Schutz der Moore Teil der österreichischen Klimaschutzstrategie sein.


uni:view: Etwas vereinfacht: Moore entstehen, wenn ein Wasserüberschuss besteht. Können Moore dann nicht auch künstlich hergestellt werden?

Glatzel:
Das geht und wird auch schon gemacht. Für sogenannte "constructed wetlands" wird Wasser gezielt in bestimmte Flächen geleitet, sie werden vernässt, es entsteht torfbildende Vegetation und damit ein Moor. In vielen Orten, in denen der Anschluss an die Kanalisation zu aufwändig ist, kommen Pflanzenkläranlagen zum Einsatz. Die funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Das Ziel ist zwar die Reinigung des Abwassers über mikrobiologischen Abbau, aber man könnte genauso gut die Pflanzen wachsen lassen, damit sie Kohlenstoff binden. Aber warum mit Geo-Engineering und technischen Mitteln Feuchtgebiete konstruieren anstatt die Moore zu schützen, die wir bereits haben?

uni:view: Sie plädieren also für die Renaturierung der Moore?
Glatzel:
Es muss gar nicht immer die Renaturierung sein – die ist manchmal schlichtweg unmöglich, wenn man nicht die regionale Wertschöpfung gefährden möchte. In vielen Fällen würde eine extensivere Nutzung schon reichen. In einem Projekt beschäftigen wir uns daher mit Paludikulturen, also der Bewirtschaftung von nassen Böden. Torfmoose beispielsweise können als Anzuchtsubstrat für Gartenpflanzen eingesetzt werden und damit Torf ersetzen. Auch Schilf ist ein nachwachsender Rohstoff, der in Form von Pellets in Biomassenanlagen zum Heizen oder als Dämmstoff verwendet werden kann. Die nasse Moornutzung ist aus der traditionellen Nutzung inspiriert, doch die wurde in unserer Gesellschaft, in der alles schnell gehen muss, vergessen. Wir wollen diese Traditionen (wieder) etablieren und arbeiten im Zuge dessen auch schon mit der Industrie zusammen.

uni:view: Es gibt also doch einen Grund, optimistisch zu sein?
Glatzel:
Ja natürlich, wir bekommen positive Resonanz und immer mehr Menschen unterstützen den Moorschutz. (lacht)

uni:view: Danke für das Gespräch! (hm)

Stephan Glatzel ist seit März 2014 Professor für Geoökologie an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Messung, Modellierung und Regionalisierung von Treibhausgasflüsse, der Kohlenstoff- und Stickstoffhaushalt von Mooren, Wälder und Agrarökosystemen sowie Bodengeographie.

Die Foto- und Videoaufnahmen für die Interviews zur Semesterfrage "Wie retten wir unser Klima" sind im Glashaus des UZA I in der Althanstraße entstanden. In den Glashäusern des Fakultätszentrums Ökologie der Universität Wien werden mehr als 480 verschiedene Species kultiviert, um auf eine ausreichende Auswahl an Pflanzenmaterial aus den verschiedenen Klimazonen für Unterrichtszwecke sowie für wissenschaftliche Experimente im größeren Umfang zurückgreifen zu können. Zur Zeit werden mehr als 25 wissenschaftliche Experimente unter voller Kontrolle aller Umweltparameter gärtnerisch und messtechnisch betreut.