Die ethische Seite des Klimawandels
| 18. Mai 2018Der Klimawandel wirft nicht nur wirtschaftliche und politische, sondern auch ethisch-moralische Fragen auf. Die Philosophin Angela Kallhoff erklärt im Interview zur Semesterfrage, warum Klimaethik wichtig ist, was Klimagerechtigkeit bedeutet und welche Bürden und Pflichten damit verbunden sind.
uni:view: Frau Kallhoff, Sie beschäftigen sich als Philosophin insbesondere mit der Ökologischen Ethik. Wie lässt sich dieser Bereich definieren und welche Bedeutung kommt ihm innerhalb der Philosophie zu?
Angela Kallhoff: Die Ökologische Ethik ist eine Bereichsethik, die danach fragt, wie sich Menschen, Institutionen und Kollektive normativ richtig und moralisch verantwortungsvoll gegenüber der Natur verhalten sollen. Innerhalb der Philosophie ist diese Teildisziplin noch recht neu, heute kommt ihr allerdings vor allem aufgrund der Klimaproblematik eine hohe Bedeutung zu. Bei der Klimaethik geht es vor allem um Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, der Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen, der Energieversorgung, der Armutsbekämpfung oder der Landnutzung.
uni:view: Wieso ist es wichtig, dass sich PhilosophInnen mit solchen Fragen auseinandersetzen?
Kallhoff: In der Umweltproblematik stecken ganz zentrale ethische Problemstellungen. Das sind insbesondere Verteilungsfragen von Gütern und Lasten – ersteres meint sowohl Naturressourcen als auch sekundäre Güter, etwa den Profit aus Naturgütern, der fair verteilt werden sollte. In der Klimadebatte geht es wiederum eher um Lasten: Wegen der Übernutzung der Atmosphäre und des Klimawandels entstehen große Probleme. Diese betreffen häufig ärmere Länder, die eigentlich gar nicht wirklich von der Verwertung von Kohlendioxid profitiert haben. Das ist ein riesiges Gerechtigkeitsproblem: Wir haben es mit einem dramatischen Gefälle zwischen den reichen Profiteuren – jenen Ländern, die weiterhin an der karbonbasierten Industrie festhalten – und ärmeren Regionen zu tun, die oft als erstes von den Folgen des Klimawandels betroffen sind.
uni:view: Inwiefern kann die Philosophie zur Lösung dieses Gerechtigkeitsproblems beitragen?
Kallhoff: Die Philosophie kann keine Umkehr der Ereignisfolge bewirken, aber sie trägt dazu bei, die normative Dimension des Klimawandels zu erhellen. Klimagerechtigkeit ist ein Schlagwort, unter dem eine Reihe sehr unterschiedlicher Positionen zusammengefasst werden. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie argumentieren für eine gerechte Verteilung der durch den Klimawandel entstehenden Bürden und Pflichten.
Gegenstand der Auseinandersetzung ist einerseits die Frage, nach welchen Prinzipien diese Bürden und Pflichten der kohlenstoffbasierten Energiegewinnung und anderer mit Treibhausgasen verbundenen Industrien aufgeteilt werden sollen. Andererseits reichen die Debatten längst auch über Fragen der Verteilungsgerechtigkeit hinaus. Zur Diskussion steht etwa auch, welche Reichweite eine Gerechtigkeitsdebatte haben muss, welche Akteure gefragt sind und welche ethischen Überlegungen zur Verhinderung noch größerer Übel angestellt werden müssen.
Die Klimaveränderungen werden voranschreiten, umso wichtiger sind die Aufgaben der Klimaethik, so Angela Kallhoff zur Semesterfrage "Wie retten wir unser Klima?".
uni:view: Wie könnten solche Klimapflichten konkret aussehen?
Kallhoff: Dazu gibt es verschiedene Konzepte und Ideen. Eines ist das sogenannte Fähigkeitenprinzip: Wenn eine Institution die Fähigkeit hat, Umweltveränderungen zum Guten zu bewirken, hat sie auch die Pflicht dazu. Diese Pflichten sollte man auf jeden Fall den großen Verschmutzern zusprechen, also den Staaten und der Industrie. Im Grunde könnte das aber auch für einzelne BürgerInnen gelten. Es gibt Ansätze wie "Green Citizenship", die StaatsbürgerInnen auch als Verantwortliche für die Erhaltung und den Schutz der Umwelt in die Pflicht nehmen.
uni:view: Was wäre die Konsequenz, wenn man diese Pflichten nicht wahrnimmt oder schwere Umweltsünden begeht?
Kallhoff: Einige KollegInnen denken bereits über die Schaffung eines eigenen High Court of Climate Crimes nach, der entsprechende Vergehen ahnden könnte. In manchen Ländern wie den USA ist es heute schon so, dass Umweltsünden mit Strafen belegt werden können – meist sind das sehr hohe Geldbußen. Der Sinn solcher Strafen liegt vor allem in der abschreckenden Wirkung.
Mit Geld allein lassen sich Umweltsünden und Klimawandel nicht mehr rückgängig machen. Die Frage, wie genau diese Strafen aussehen sollen, ist daher sehr berechtigt. Wenn man zum Beispiel daran denkt, dass grob fahrlässiges Klimahandeln tatsächlich Umweltkatastrophen wie Überschwemmungen auslösen oder verstärken kann, wäre es durchaus argumentierbar, dass deren Verursacher eine Kompensation an direkt betroffene Staaten zahlen müssen.
Bei Verstößen, die sich auf das Klima auswirken, gibt es so etwas bislang nicht. Bei anderen Umwelthandlungen wie etwa Ölverschmutzungen hat es schon Präzedenzfälle gegeben, wo sehr hohe Kompensationsstrafen verhängt worden sind. Das Nachdenken über einen internationalen Gerichtshof ist natürlich nur eine Möglichkeit, im Völkerrecht etwas zu bewegen. Vor allem muss über Institutionen nachgedacht werden, die sowohl innerstaatlich als auch im internationalen Kontext Klimapolitik wirksam umsetzen können.
uni:view: Müsste man dann nicht auch Kompensationen für Umweltverbrechen einfordern, die in der Vergangenheit bereits verübt worden sind?
Kallhoff: Dieser Punkt ist in der aktuellen Debatte zwischen KlimaethikerInnen sehr umstritten. Einige sagen, dass es auch möglich sein muss, Klimaverbrechen rückwirkend zu ahnden. In der Praxis ist das aber natürlich nicht so leicht. Die zentrale Frage dabei lautet: Wer ist als Träger dieser Pflichten dafür verantwortlich? Wenn man es ganzen Staaten zusprechen will, ist das nicht unproblematisch, weil sich ja ein Staat laufend erneuert. Das kann dann schon recht unfair sein. Außerdem ist es meist nur schwer möglich, die realen Konsequenzen einer Handlung Jahre später noch konkret nachzuweisen. Gerade beim Klima ist es beinahe unmöglich, eindeutige Kausalketten ausfindig zu machen.
Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen die Semesterfrage. Im Sommersemester 2018 lautet sie "Wie retten wir unser Klima?" Die Abschlussveranstaltung dazu findet am Montag, 11. Juni 2018, statt: Unter dem Titel "Herausforderung Klimawandel" hält der Meteorologe Mojib Latif vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung an der Universität Kiel einen Vortrag am Uni Wien Campus. Weitere Informationen
uni:view: In Ihrem Buch "Klimagerechtigkeit und Klimaethik" setzen Sie sich mit verschiedenen Modellen des kollektiven Handelns auseinander. Können Sie kurz erläutern, worum es dabei geht?
Kallhoff: Ich versuche Kooperationsoptionen aufzuzeigen, die angesichts der globalen Klimakrise empfohlen oder sogar gefordert werden können. Die Veränderung des Klimas kann interpretiert werden als ein Effekt kollektiven Handelns auf ein natürliches Kollektivgut, die Atmosphäre. In dieser Interpretation war es weder Absicht noch ein Verschulden, dass der massive Ausstoß von Treibhausgasen zu einer bedrohlichen Klimaveränderung geführt hat. Vielmehr ist die jetzige Situation die Folge des Misslingens gemeinsamen Handelns.
Ich möchte eine Perspektive erarbeiten, nach der eine geteilte als auch spezifische Verantwortung mit Rücksicht auf die Erhaltung der Atmosphäre mit Fairnessprinzipien vermittelt werden kann. Das versuche ich anhand verschiedener kollektiver Handlungsszenarien zu analysieren: Wie kann zum Beispiel eine erfolgreiche Klimakooperation aussehen, wenn nur einige Staaten fähig sind, sich zu ändern? Was machen wir, wenn es zwar eine Koalition der Willigen gibt, einzelne Akteure – wie etwa die USA – aber nicht mitmachen wollen? Wie kann in so einem Fall sichergestellt werden, dass die anderen Nationen trotzdem weiter an den gemeinsamen Zielen festhalten?
Lesetipp: Veränderungen des Weltklimas haben zu einer grundlegenden Diskussion über Fragen der Klimagerechtigkeit in der Philosophie geführt. In ihrem Buch "Klimagerechtigkeit und Klimaethik" versammelt Angela Kallhoff zentrale Positionen der international geführten Debatte um Klimagerechtigkeit.
uni:view: Wo Sie gerade die USA ansprechen: Wie beurteilen Sie gemeinsame Initiativen wie das Pariser Klimaabkommen aus Sicht des kollektiven Handelns? Und was bedeutet der Austritt einer derart wichtigen Nation?
Kallhoff: Wenn man über die Logik von Umwelthandlungen nachdenkt, geht dieses Abkommen schon in die richtige Richtung. In der aktuellen politischen Debatte steht aber zumeist die Mitigation im Zentrum, also die aktive Verringerung der Treibhausgasemissionen. Das ist zwar wichtig, meiner Einschätzung nach aber zu wenig. Neben der reinen Reduktion muss es auch um die Adaption gehen – wir brauchen eine generelle Anpassung unserer Lebensweise. Das ist ein umfassendes Thema, das beinahe alle Bereiche des sozialen Lebens – Bildung, Gesundheit, Ackerbau, Wasserversorgung, Städteplanung etc. – betrifft.
Dass die USA aus dem Pariser Abkommen ausgetreten sind, ist in Hinblick auf eine erfolgreiche Klimakooperation natürlich ein klarer Rückschritt. Ich vertrete die These, dass gerade kollektives Handeln im Umweltbereich von Zugpferden angestoßen werden muss, die sich freiwillig dazu verpflichten und somit auch eine wichtige Vorbildfunktion einnehmen. Das Problem liegt aber nicht allein bei den USA, auch in der EU werden Umweltagenden noch immer wie das fünfte Rad am Wagen behandelt. Dabei sind es gerade die reichen Staaten, die mittlerweile viele Handlungsoptionen haben, nachhaltiger zu agieren. Die EU muss endlich aufwachen und Umweltaspekte ab sofort als oberste Priorität behandeln. Ich beobachte aber, dass dieser Umdenkprozess leider weder bei den Staaten noch bei der Industrie wirklich stattfindet.
uni:view: Das klingt nicht gerade optimistisch. Glauben Sie, dass wir unser Klima noch retten können?
Kallhoff: Nein, das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Was den aktuellen Sachstand angeht, muss man klar feststellen, dass unser Planet extrem bedroht ist. In Bezug auf eine entsprechende Handlungsbereitschaft und die Möglichkeiten eines Umdenkens hängt meines Erachtens sehr viel an den Staaten und der internationalen Politik. Ich hoffe, dass die EU in dieser Hinsicht bald einlenkt und klug agieren wird. Im Moment tut sie das jedenfalls nicht. Es ist immer noch so, dass die Wirtschaft und der Kapitalismus Vorrang gegenüber Umweltaspekten haben. Als Philosophin kann ich nur versuchen, in den Gremien und Netzwerken, in denen ich etwas zu sagen habe, immer wieder die Umweltthematik aufs Tapet zu bringen.
uni:view: Vielen Dank für das Interview! (ms)
Angela Kallhoff ist seit August 2011 Professorin für Ethik mit besonderer Berücksichtigung von angewandter Ethik an der Universität Wien. Sie fungiert zudem als Leiterin der 2015 eingerichteten Forschungsplattform Nano-Norms-Nature. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen u.a. Ethik mit den Schwerpunkten Systematik und Ethik der Antike, ökologische Ethik, Technikethik, politische Philosophie und Philosophie der politischen Ökonomie.