"Das Klima ändert sich zu schnell"
| 27. März 2018Verschobene Jahreszeiten, eine höhere Baumgrenze und mehr Tropentage: Was der Klimawandel für Österreich bedeuten kann und wie er sich meteorologisch bestimmen lässt, erklärt Manfred Dorninger vom Institut für Meteorologie und Geophysik im uni:view-Gespräch zur Semesterfrage.
uni:view: Man schaut aus dem Fenster, es schneit. Sagt das etwas über das Klima aus?
Manfred Dorninger: Wetter und Klima werden oft verwechselt. Was wir draußen sehen, ist das momentane Wetter. Oft kommt die Frage, ob das jetzt der Klimawandel sei, nur kann das so nicht beantwortet werden, denn das Klima ist ein Mittelwert über einen langen Zeitraum, der durch viele Parameter bestimmt wird.
uni:view: Welche Parameter bestimmen denn das Klima?
Dorninger: Der bekannteste ist die Temperatur. Daher wird oft von einer Klimaerwärmung gesprochen, was aber nicht korrekt ist. Denn neben der Temperatur spielen unter anderem auch der Niederschlag, der Wind, die Strahlung oder die Schneedeckendauer eine Rolle.
uni:view: Wie stellen WissenschafterInnen fest, ob sich das Klima ändert?
Dorninger: Anhand sogenannter Klimanormalperioden. Wir betrachten einen Zeitraum von 30 Jahren und vergleichen diesen dann mit anderen Zeiträumen über 30 Jahre, um so Klimafluktuationen und Klimatrends zu definieren.
Eine Klimafluktuation ist eine kurzfristige Änderung mit Rückkehr in die Ausgangslage, ein Ausschlag nach oben oder nach unten, über einen Zeitraum von einigen Jahrzehnten bis etwa einhundert Jahren. Die kleine Eiszeit im Mittelalter war eine solche Klimafluktuation. Damals litten viele Menschen in Europa aufgrund von Missernten unter Hungersnot und sind ausgewandert. Klimatrends hingegen können über mehrere Jahrhunderte oder tausend Jahre gehen.
uni:view: Kann die Wissenschaft die Zukunft des Klimas vorhersagen?
Dorninger: Die Klimatologie versucht, die Veränderung des Klimas in Zahlen zu fassen. Im Unterschied zu einer Wetterprognose für einen bestimmten Tag sind das keine definitiven Vorhersagen, sondern Szenarien unter gewissen Randbedingungen. Ein Szenario stellt dar, was passiert, wenn wir so weitermachen wie bisher. Pulvern wir hingegen mehr CO2 in die Atmosphäre, wird ein anderes schlagend.
uni:view: Welche Szenarien gibt es für Österreich?
Dorninger: Wahrscheinlich ist, dass wir in ein Mittelmeer ähnliches Klima rutschen. Dadurch, dass es generell wärmer wird, wird die Schneefallgrenze im Winter etwas steigen. Wobei das nicht heißt, dass es in höheren Lagen keinen Schnee mehr gibt. Die Niederschlagsmengen sollten sich im Winter nicht spürbar ändern. Aber die Sommer werden heißer, das bedeutet mehr Hitzetage mit Höchsttemperaturen von über 30 Grad. Wir werden uns an das Klima gewöhnen – aber für die Land- und Forstwirtschaft zum Beispiel versprechen vor allem die heißen Sommer keine guten Aussichten. Hier werden einige Adaptionen notwendig sein.
uni:view: Werden die Übergangsjahreszeiten Frühling und Herbst verschwinden?
Dorninger: Die Übergänge zwischen Winter und Sommer waren immer schon durch die stärksten Temperaturschwankungen geprägt. Jeder hat in seiner Kindheit einmal Ostereier im Schnee gesucht. Das perfekte Frühlingswetter über einen längeren Zeitraum ist ein Wunschdenken, das es nur an ganz wenigen Tagen gibt. Allerdings erreicht das Eis in der Arktis im Winter nicht mehr dieselbe Ausdehnung wie noch vor 40 bis 50 Jahren. Erst wenn die Barentssee zufriert, haben wir in Europa wirklich Winter – und das dauert immer länger. Deshalb verschiebt sich der Kernwinter vom Jänner in den Februar, wenn er nicht gleich ganz ausfällt, um dann von einem abrupten Frühlingsbeginn abgelöst zu werden.
"Man vergleicht die aktuelle Temperatur immer mit einem Mittelwert, der aber nur den mittleren Zustand über einen Zeitraum von in der Regel 30 Jahren beschreibt. Praktisch ist es immer wärmer oder kälter", erklärt Dorninger. Die Klimadatenbank des ZAMG zeigt die Temperaturentwicklung der letzten Jahre: Im Vergleich zum Bezugszeitraum 1961 bis 1990 war es seit 1997 in jedem Jahr zu warm. "Das erzeugt in Summe das Klimasignal", so Dorninger. Im Bild: Das Jahr 2017. (© Screenshot/ZAMG SPARTACUS)
uni:view: Kann man aus diesen Entwicklungen schließen, dass sich das Klima in Österreich wandelt?
Dorninger: In den letzten Jahrzehnten gab es eine Häufung von zu hohen Jahresmitteltemperaturen (siehe Kasten). Sie passen in das Bild des Klimawandels.
uni:view: Steigende Temperaturen auf der einen, Schneestürme auf der anderen Seite: Wie hängen extreme Wetterereignisse mit dem Klimawandel zusammen?
Dorninger: Man muss zwischen globalen Mittelwerten und regionalen Ereignissen unterscheiden. Selbst wenn die Temperatur global zunimmt, heißt das nicht, dass sie an jedem Punkt der Erde zunimmt. Es gibt Gegenden, vor allem die Arktis und die Antarktis, in denen der Temperaturanstieg stärker ist als im globalen Mittel, aber es gibt auch Gegenden, die kühler werden. Der aktuelle IPCC Report, in dem WissenschafterInnen weltweit ihre Untersuchungen zusammentragen, um Empfehlungen für die Politik herauszugeben, zeigt, dass es in Zentralnordamerika in vielen Szenarien eher zu einer Abkühlung kommt. Lokal gesehen wird es aus Sicht der AmerikanerInnen kühler – aber nur ein Stückchen weiter im Norden, in Kanada, ist die Temperaturerhöhung umso extremer. Vor allem in der Tundra und Taiga. Der Klimawandel wirkt sich also sehr unterschiedlich aus.
uni:view: Wie stellt man fest, ob es sich um ein lokales Phänomen handelt, um eine Fluktuation oder einen langfristigen Trend?
Dorninger: Durch den Vergleich langer Zeitreihen an globalen Daten. An Eisbohrkernen, die aus Eisschichten entnommen wurden, die bis zu einigen Kilometern dick sein können, kann man feststellen, ob es einen großen oder geringen Eiszuwachs gegeben hat, welche Gase eingeschlossen wurden und wie hoch der CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu einem früheren Zeitpunkt war. Das ist wie ein Klimakalender. Auch konservierte Baumstämme geben Aufschluss über frühere Wachstumsbedingungen, um nur einige mögliche Datenquellen zu nennen.
uni:view: Gibt es abgesehen von der Temperatur noch andere Auswirkungen des Klimawandels, die man bereits jetzt beobachten kann?
Dorninger: Die Baumgrenze in Österreich ist neben dem viel diskutierten Gletscherschwund ein gutes Beispiel. In diesem Höhenbereich wachsen eigentlich nur mehr Krüppelfichten – Bäume mit ganz kurzen Ästen, die unter den klimatologisch rauen Bedingungen leiden. Wenn man jetzt bis zur Baumgrenze hochsteigt, sieht man junge Bäume, die recht gesund aussehen. Die klimatischen Bedingungen waren in den letzten Jahren in dieser Höhenlage also günstiger als früher und so gab und gibt es eine deutliche Verschiebung der Baumgrenze nach oben.
uni:view: Welche Auswirkungen hat der Klimawandel global gesehen?
Dorninger: Es wird Gewinner und Verlierer geben. Würde zum Beispiel die Jahresniederschlagsmenge im österreichischen Alpenvorland von 2.000 auf 1.500 mm abnehmen, was enorm wäre, würde das für unsere Pflanzen immer noch ausreichen. In Klimazonen, in denen der Niederschlag aber jetzt schon so gering ist, dass kaum Landwirtschaft betrieben werden kann, hat jede kleine Änderung große Auswirkungen.
Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. In Interviews und Gastbeiträgen liefern die ForscherInnen vielfältige Blickwinkel und Lösungsvorschläge aus ihrem jeweiligen Fachbereich. Die Semesterfrage im Sommersemester 2018 lautet "Wie retten wir unser Klima?". Zur Semesterfrage
uni:view: Was ist Ihr Lösungsvorschlag zur Rettung des Klimas?
Dorninger: Einige versuchen das Klima mit eher fragwürdigen Methoden zu retten. Geo-Engineering etwa will nicht die Ursache, sondern die Wirkung des Klimawandels bekämpfen, indem man z.B. CO2 aus der Atmosphäre nimmt oder Sulfate einbringt, um die Einstrahlung der Sonne zu vermindern. So gut diese Methoden vielleicht im Labor funktionieren, umso gefährlicher ist es, sie global anzuwenden, weil man ihre Auswirkungen auf dieser Skala nicht abschätzen kann. Auch wenn es zunächst möglicherweise hilft, weiß man nicht, wie es langfristig wirkt. Ich sehe die Lösung darin, die Ursachen zu bekämpfen. Nach dem Motto "Kleinvieh macht auch Mist" helfen viele kleine Schritte mehr, als mit der Keule draufzuhauen und unabsehbare Auswirkungen hervorzurufen.
uni:view: Klimaskeptiker bringen oft das Argument, dass sich das Klima auch ohne Menschen wandelt. Was steckt dahinter?
Dorninger: Tatsächlich gab es Klimaperioden, in denen die Erde eisfrei war – damals noch ohne Menschen – und es gibt einen natürlichen Klimazyklus, der vor allem von externen Parametern wie der Sonne definiert wird. Somit kann sich das Klima ändern, wenn es Änderungen in der Erdachse gibt, in der Sonnenstrahlung oder nach massiven Vulkanausbrüchen. Das alles können kleine Auslöser mit großer Wirkung sein, denn beim Klima reicht oft der berühmte Wassertropfen, um eine große Änderung zu bewirken.
Allerdings wäre die natürliche Schwankung des Klimas momentan beinahe Null. Alle Modelluntersuchungen zeigen, dass der Mensch einen hohen Anteil am derzeitigen Klimawandel hat. Bedenklich ist vor allem die Schnelligkeit der Veränderung: Wenn sich die Jahre mit erhöhten Temperaturen fortsetzen, sehen wir eine sehr schnelle Klimaänderung. Wir wissen noch nicht, ob es eine Fluktuation sein wird – dazu leben wir wahrscheinlich zu kurz, um es an Daten festzunageln, aber das ist letztlich auch nicht relevant. Eine solch schnelle Änderung wurde in den tausenden Jahren, die man durch Eisbohrkerne analysieren konnte, noch nie beobachtet und die Frage ist, ob Fauna und Flora genug Zeit haben, sich darauf einzustellen.
uni:view: Danke für das Gespräch! (pp)
Manfred Dorninger ist Professor am Institut für Meteorologie und Geophysik der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie. Seine Forschungsschwerpunkte drehen sich um den Lebenszyklus von Kaltluftseen und der Methodenentwicklung zur Messung unter extremen klimatischen Bedingungen.
Die Foto- und Videoaufnahmen für die Interviews zur Semesterfrage "Wie retten wir unser Klima" sind im Glashaus des UZA I in der Althanstraße entstanden. In den Glashäusern des Fakultätszentrums Ökologie der Universität Wien werden mehr als 480 verschiedene Species kultiviert, um auf eine ausreichende Auswahl an Pflanzenmaterial aus den verschiedenen Klimazonen für Unterrichtszwecke sowie für wissenschaftliche Experimente im größeren Umfang zurückgreifen zu können. Zur Zeit werden mehr als 25 wissenschaftliche Experimente unter voller Kontrolle aller Umweltparameter gärtnerisch und messtechnisch betreut.