"Nachhaltigkeit gehört auf unsere Agenda"
| 05. April 2018Kunstdünger beschert uns reiche Ernten, stört aber den sensiblen Stickstoffhaushalt der Erde. Welche Rolle winzige Organismen dabei spielen und warum es wichtig ist, dass nicht nur die Landwirtschaft, sondern jede/r Einzelne nachhaltiger agiert, erklärt die Mikrobiologin Christa Schleper.
uni:view: Frau Schleper, als Mikrobiologin beschäftigen Sie sich vor allem mit der Welt winziger Organismen, die nur unter dem Mikroskop sichtbar sind. Welche Bedeutung haben diese kleinen Lebewesen für unser Ökosystem?
Christa Schleper: Es gibt große Stoffkreisläufe auf der Erde. Einer davon, mit dem wir uns im Speziellen beschäftigen, ist der Stickstoffkreislauf. Für die Zirkulation der Stickstoffverbindungen in der Umwelt sind verschiedene Oxidations- und Reduktions-Schritte notwendig. Die meisten dieser wichtigen Schritte werden von Mikroorganismen erledigt. Wenn sie auf der Erde fehlen würden oder ihre Arbeit nicht mehr richtig erledigen könnten, würden unsere gesamten Ökosysteme zusammenbrechen.
uni:view: Bei der Diskussion zum Klimawandel geht es meistens um den Kohlenstoffkreislauf. Warum wird der Stickstoff oft vergessen?
Schleper: Es ist viel schwieriger, das Problem mit dem Stickstoffkreislauf zu vermitteln. Stickstoff ist ja eigentlich etwas Gutes, eine wichtige Grundsubstanz des Lebens. Da fällt es schwer zu verstehen, dass dieses Element sich auch sehr nachteilig auf die Umwelt auswirken kann, wenn es in bestimmten chemischen Formen oder in falschem Ausmaß vorliegt. Während heutzutage jeder weiß, dass die Nutzung fossiler Brennstoffe zur Produktion von CO2 beiträgt, ist kaum jemandem bekannt, dass Lachgas (N2O) ein Treibhausgas mit einer viel stärkeren Wirkung ist. Den wenigsten ist bewusst, wie wichtig der Stickstoffkreislauf für das Leben ist und dass es diesem durch den Eingriff des Menschen sogar schon viel schlechter geht als dem Kohlenstoffhaushalt.
uni:view: Was hat sich denn konkret durch den Menschen verändert?
Schleper: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich die Stickstoffmenge, die terrestrische Ökosysteme über Dünger und aus der Atmosphäre aufnehmen, in etwa verdoppelt. Ein wichtiges Ereignis in diesem Zusammenhang war die Entwicklung des Haber-Bosch-Verfahrens, durch das Ammoniak synthetisch hergestellt werden kann. Erst diese Erfindung hat es dem Menschen ermöglicht, mehr Pflanzen zu düngen und die Lebensmittelproduktion anzukurbeln. Schätzungen besagen, dass ohne Kunstdünger höchstens drei Milliarden Menschen, also weniger als die Hälfte der derzeitigen Erdbevölkerung, ernährt werden könnten.
Durch die Verdopplung der Menge an zirkulierenden Stickstoffverbindungen hat sich aber auch das natürliche Gleichgewicht verschoben – mit gravierenden Folgen für die Umwelt: Die Überdüngung führt zu einem Verlust der Biodiversität, einem erhöhten Ausstoß von Treibhausgasen (Lachgas) sowie einer allgemeinen Senkung der Stabilität der Ökosysteme.
uni:view: Sind wir alle für diese Folgen verantwortlich? Wie müssten wir unser Leben ändern, um das natürliche Gleichgewicht wiederherzustellen?
Schleper: Ja, wir haben alle eine gewisse Mitverantwortung. Denken wir allein an unser Essverhalten: Wenn wir den Fleischkonsum drastisch reduzieren, würde das die Situation schon deutlich verbessern. Wir bräuchten dann wesentlich weniger Dünger: Für ein einziges Kilogramm Fleisch wird je nach Bewirtschaftungsweise bis zu 40 Mal mehr Kunstdünger ausgebracht als für ein Kilogramm pflanzliches Protein. Auch die Weltgesundheitsorganisation rät dazu, weniger Fleisch zu essen – einmal pro Woche reicht vollkommen. Also wäre eine Reduktion nicht nur besser für unsere Umwelt, sondern auch für unsere Gesundheit.
Weiters können wir die Energieverschwendung eindämmen, indem wir beispielsweise mehr regionale und saisonale Lebensmittel zu uns nehmen, die nachhaltig produziert worden sind. Zudem müssten wir generell auf weniger fossile Brennstoffe zurückgreifen, denn die Nutzung dieser Energieträger erzeugt nicht nur CO2, sondern auch Stickoxide, also für die Umwelt nachteilige Stickstoffverbindungen und Treibhausgase.
uni:view: Würde es reichen, wenn die KonsumentInnen zu einem Umdenken bewegt werden könnten? Würde die Industrie dann nachziehen?
Schleper: Ich glaube schon, dass es einen enormen Druck auf die Industrie ausüben würde, wenn die KonsumentInnen vermehrt nachhaltige Produkte kaufen würden. Und es gibt auch Forschungen, die dies bestätigen. Aber ich glaube auch, dass es Top-down-Ansätze braucht, das heißt, dass entsprechende Vorgaben von oben – also von politischer Seite – nötig sind. Dass so etwas durchaus Sinn ergeben kann, hat man etwa bei der Gender-Debatte gesehen. Da gab es plötzlich die Vorgabe, bei der Einstellung neuer MitarbeiterInnen eine gewisse Frauenquote einzuhalten; und auch wenn wir wissenschaftliche Projekte beantragen, müssen wir hierzu Stellung nehmen. Für die Nachhaltigkeit wurde so etwas bislang leider noch nicht implementiert.
uni:view: Müsste man nicht auch an der Quelle des Problems – also der Landwirtschaft – ansetzen? Gibt es umweltfreundlichere Düngemethoden?
Schleper: Es gibt inzwischen verschiedene Ansätze für nachhaltigere Landwirtschaft, zum Beispiel Permakulturen, die auf die Schaffung von dauerhaft funktionierenden und naturnahen Kreisläufen abzielen. In der Forschung wird zudem versucht, neue umweltverträglichere Düngemethoden zu entwickeln. Dabei wird auch untersucht, unter welchen Bedingungen Pflanzen den Stickstoff effizienter aufnehmen können. In den Niederlanden und in Dänemark ist es beispielsweise durch verschiedene Maßnahmen in der Landwirtschaft bereits gelungen, eine enorme Reduktion der Stickstoffbelastungen zu erreichen. Das geht natürlich besser in hochentwickelten Ländern. In ärmeren Staaten, die stark auf Wachstum ausgerichtet sind, ist dies noch nicht so verbreitet. Hier wird es verstärkt darum gehen, das Know-how weiterzugeben.
uni:view: Müssten sich die Nahrungsmittelhersteller nicht auch vom klassischen Profitdenken lösen, damit sich alternative Konzepte durchsetzen können?
Schleper: Es gibt bereits Bewegungen, die in diese Richtung gehen und eine grundlegend andere Ökonomie vorschlagen. Dazu gehört auch, nicht nur ethisch, sondern eben auch nachhaltig zu wirtschaften und zwar in allen Branchen. Ich glaube, dass solche alternativen Konzepte immer mehr an Boden gewinnen werden und dass es langsam eine Veränderung des Bewusstseins in der Gesellschaft gibt.
Ich freue mich, dass Österreich hier sogar eine Vorreiterrolle innehat. So wird z.B. an der FH Burgenland zum Wintersemester 2018 der erste deutschsprachige Master-Studiengang für Angewandte Gemeinwohl-Ökonomie gestartet. Auch die Industrie hat erkannt, dass es hier einen Bedarf gibt und dass die Bevölkerung ein Interesse an Nachhaltigkeit und fairer Wirtschaft hat. Dabei geht es auch um das eigene Image: Ein Unternehmen, das sich mit besonders umweltfreundlichen, nachhaltigen Produkten am Markt positioniert, kann dadurch unter Umständen einen beträchtlichen Wettbewerbsvorteil erzielen.
Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. In Interviews und Gastbeiträgen liefern die ForscherInnen vielfältige Blickwinkel und Lösungsvorschläge aus ihrem jeweiligen Fachbereich. Die Semesterfrage im Sommersemester 2018 lautet "Wie retten wir unser Klima?". Zur Semesterfrage
uni:view: Was kann die Wissenschaft bzw. die Universität tun, um eine gesellschaftliche Transformation in Richtung Nachhaltigkeit zu unterstützen?
Schleper: Die Wissenschaft kann natürlich noch mehr und noch genauere Daten zu den Zusammenhängen und den Veränderungen in unserer Umwelt sammeln. Wichtig wird es aber vor allem auch sein, dieses angehäufte Wissen besser nach außen zu kommunizieren. Auch innerhalb der Wissenschaft müssen wir uns noch stärker interdisziplinär vernetzen und offener für alternative Lösungsansätze sein. Die Universität ist ein wichtiger Wirtschafts- und Gesellschaftsfaktor und sollte eine Vorreiterrolle beim Thema Nachhaltigkeit einnehmen.
Man könnte es zum Beispiel stärker in die Lehrpläne integrieren, bei Veranstaltungen berücksichtigen oder auch den Menüplan in den Mensen so anpassen, dass der ökologische Fußabdruck verbessert wird. Die Allianz nachhaltige Universitäten Österreich hat bereits Konzepte entwickelt, wie Nachhaltigkeit in Lehre, Forschung und Universitätsmanagement eingebunden werden kann. Ich wundere mich, dass die Universität Wien dieser Allianz noch nicht beigetreten ist.
uni:view: Was unternehmen Sie persönlich, um Ihren Fußabdruck zu reduzieren?
Schleper: Ich habe das Glück an einem Ort zu wohnen, in dem es ein spezielles Geschäft gibt, das zu günstigen Preisen überwiegend lokal produzierte Ware aus nachhaltiger Landwirtschaft verkauft und auch Biofleisch. Außerdem werden die meisten Güter ohne jegliches Verpackungsmaterial oder maximal in Papiersackerln ausgegeben. Natürlich kann man nicht perfekt leben – auch ich fahre noch zu oft mit dem Auto und fliege auf Kongresse. Trotzdem glaube ich, dass wir uns trauen müssen, Nachhaltigkeit ganz oben auf unsere Agenda zu schreiben.
uni:view: Versuchen Sie auch in Ihrem beruflichen Umfeld auf Nachhaltigkeit zu setzen?
Schleper: Ja, zumindest haben wir damit begonnen. Wir haben zum Beispiel im letzten Jahr im Rahmen des Doktoratskollegs "Microbial Nitrogen Cycling – From Single Cells to Ecosytems" einen großen internationalen Kongress zum Thema Stickstoff veranstaltet, bei dem wir möglichst Stickstoff-neutral bleiben wollten. Dafür haben wir nicht nur die "Green Meeting"-Vorgaben der Stadt Wien beachtet, sondern auch rein vegetarisches Essen angeboten, was den Stickstoff-Fußabdruck enorm reduziert hat. Denn 60 Prozent der Stickstoffemissionen, die so eine Veranstaltung verursacht, kommen durch die Ernährung zustande. Jede/r der insgesamt rund 180 TeilnehmerInnen konnte zudem freiwillig etwas zahlen, um die restlichen Emissionen zu kompensieren, die wir aufgrund der Reisetätigkeit der TeilnehmerInnen angehäuft haben.
Wir wollen demnächst auch unsere gesamte Forschungsgruppe in Bezug auf ihren Stickstoff- (und Kohlenstoff-) Fußabdruck bilanzieren lassen. Dadurch sollen nicht nur Reduktionsmöglichkeiten aufgezeigt werden, sondern auch ein Bewusstsein für das Thema geschaffen werden. Solche Bilanzierungen können auch ganze Universitäten machen lassen. Ich bin überzeugt, dass dies ein wichtiger Schritt ist, um unser Bewusstsein für nachhaltigere Lebensformen zu schärfen und um das kreative Potenzial engagierter MitarbeiterInnen zu aktivieren.
uni:view: Danke für das Interview! (ms)
Christa Schleper (geb. 1962) ist seit 2007 Professorin für Ökogenetik/Mikrobiologie an der Universität Wien. Sie ist Sprecherin des 2016 gestarteten Doktoratskollegs "Microbial Nitrogen Cycling – From Single Cells to Ecosytems", an dem insgesamt neun Arbeitsgruppen der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien beteiligt sind. Zu Schlepers Forschungsschwerpunkten zählen Ökologie, Molekularbiologie und Evolution von Archaea, Virus-Wirt-Interaktionen sowie die Erforschung nicht kultivierbarer Mikroorganismen mithilfe der Metagenomik.
Die Videoaufnahme ist im Glashaus des UZA I in der Althanstraße entstanden. In den Glashäusern des Fakultätszentrums Ökologie der Universität Wien werden mehr als 480 verschiedene Species kultiviert, um auf eine ausreichende Auswahl an Pflanzenmaterial aus den verschiedenen Klimazonen für Unterrichtszwecke sowie für wissenschaftliche Experimente im größeren Umfang zurückgreifen zu können. Zur Zeit werden mehr als 25 wissenschaftliche Experimente unter voller Kontrolle aller Umweltparameter gärtnerisch und messtechnisch betreut.