Wie viel Risiko verträgt der Mensch?
| 07. November 2017In der neuen Ausgabe des Alumni-Magazins "univie" berichten Alumni, die in risikoaffinen Berufen tätig sind, wie sie zum Risiko stehen und was sie dazu treibt, ihre Komfortzone zu verlassen. Außerdem: wissenschaftliche Erkenntnisse über unser Verhältnis zum Risiko aus Psychologie und Soziologie.
Zwischen Hochgefühl und Ratio. Die Bereitschaft, ein Risiko einzugehen, ist eine sehr persönliche Angelegenheit und hat dennoch gesellschaftliche Relevanz. Wie weit wir in bestimmten Situationen bereit sind zu gehen, beeinflusst nicht nur unser persönliches Wohlergehen, auch das Vorankommen unserer Gesellschaft als Ganzes ist von der Suche nach Neuem getrieben. Eine Portion Unsicherheit ist dabei immer im Gepäck.
"Ich bin ein rationaler Mensch"
Wenn das Adrenalin einschießt, das Herz klopft und das Publikum tobt, dann passt einfach alles. Dann weiß Maria Ramberger, dass ihr der Lauf geglückt ist. Der Lauf, von dem die Athletin im Snowboardcross anfangs großen Respekt hatte, der sie dazu zwang, wieder einmal ihre Komfortzone zu verlassen, ihre persönlichen Grenzen zu verschieben.
Im entscheidenden Moment muss ich meine Fähigkeiten abrufen können
"In diesem Augenblick hat man einfach die intrinsische Motivation, dass man es wieder machen muss, dass man mehr will", sagt die 31-Jährige, die sich im Herbst 2016, nach zwölf Jahren im Weltcup, wie sie selbst sagt, "in Pension" geschickt hat. Sechs RennläuferInnen treten beim Snowboardcross gleichzeitig gegeneinander an und müssen einen engen Parcours mit Schanzen und Sprüngen bewältigen. Stürze und Kollisionen sind an der Tagesordnung.
"Ich bin ein rationaler Mensch, für mich ist das eine Entscheidung, die ich vorher treffe. Wenn ich nicht damit leben kann, dass ich mich schwer verletzen könnte, sollte ich diesen Sport nicht machen", so Maria Ramberger, Alumna der Rechtswissenschaften und ehemalige Weltcupläuferin im Snowboardcross. (Foto: Markus Schiller)
Belohnung und Kontrolle
"Es scheint so etwas wie eine Persönlichkeitseigenschaft des Menschen zu sein, dass wir immer auf der Suche nach Neuem und neuen Herausforderungen sind. Und das birgt eben immer auch einen gewissen Unsicherheitsfaktor", stellt Claus Lamm fest. Der Kognitions- und Neurowissenschafter beschäftigt sich an der Universität Wien mit sozialen Verhaltensweisen und deren neuronalen und biologischen Grundlagen. Für die einen ist es die Suche nach dem Kick-Moment im Sport, andere motiviert die Aussicht auf einen finanziellen Gewinn oder eine besondere Chance, die uns dazu bringt, Risiko einzugehen.
Im Alter ab 25 bis 30 Jahren bekommt die Risikobereitschaft einen deutlichen Knick
Dass manche Menschen risikofreudiger sind als andere, hänge von der Sozialisation genauso ab wie von genetischen Einflussfaktoren, das entscheidende Merkmal aber sei das Alter, so der Psychologe. Denn im Alter ab 25 bis 30 Jahren erfahre die Risikobereitschaft einen deutlichen Knick, zumindest was das physische Risiko anbelangt, das "Sich-Beweisen-Wollen", stellt Lamm fest und findet eine Begründung in der hirnphysiologischen Entwicklung des Menschen.
Die Bereitschaft, Risiken einzugehen, werde nämlich von zwei Faktoren beeinflusst: "Einem motivationalen Faktor, also wie 'cool' finde ich das, wie stark erhöht es meine positive Erregung? Und von einem rationalen, kontrollierenden Faktor, der darauf schaut, dass man nicht jeden Blödsinn mitmacht."
"Gutes Risikomanagement ist vor allem gutes Skill-Management. Wenn ich gut trainiert bin im Beruf oder im Sport, dann ist das automatisch mit einer gewissen Sicherheit verbunden, auf die ich zurückgreifen kann, wenn es einmal haarig wird", so der Kognitions- und Neurowissenschafter der Universität Wien Claus Lamm. (Foto: Martin Zimmermann)
Diese Systeme entwickeln sich über die Lebensspanne unterschiedlich, wobei die Kontrollsysteme, die hirnphysiologisch gesehen im sogenannten präfrontalen Cortex an der Stirnseite des Gehirns sitzen, erst im Alter von 25 bis 30 Jahren komplett ausgebildet sind, so Lamm. Die Adoleszenz ist deshalb eine besonders kritische Phase in Hinblick auf das Risikoverhalten, weil dann diese Systeme im Gehirn noch anders eingerichtet sind als bei älteren Erwachsenen.
"Stop" sagen, wenn es zu gefährlich wird
Was es heißt, im entscheidenden Moment das Richtige zu tun, das kennt auch Petra Ramsauer. Die Absolventin der Politikwissenschaft der Uni Wien ist bei Kriegen und Konflikten als Reporterin hautnah am Geschehen. Zuletzt im Nahen Osten, in Syrien und im Irak, wo sie immer wieder in riskante Situationen gerät, in der Nähe des IS, wo Granaten einschlagen und Scharfschützen lauern.
Je mehr Risiko mit einer Tätigkeit verbunden ist, desto besser sind vorsichtige Menschen in so einem Job aufgehoben
Sehr genau hinhören und hinschauen müsse man in solchen Situationen, ob man sich noch einen Meter vor-, einen Meter zurückwagen kann. Ähnlich wie beim Bergsteigen, wenn man in Gipfelnähe komme oder in einen schweren Hang, man evaluiere die Situation. "Wenn man dann damit zu tun hat, dass man zu zittern beginnt, ist man verloren. Ich bin in so einem Moment einfach extrem konzentriert", so Ramsauer.
TIPP: Die Alumni Lounge vom 23. Oktober 2017 zum Thema "Wie viel Risiko verträgt der Mensch?" u. a. mit Alumna und Kriegsreporterin Petra Ramsauer zum Nachhören.
Die Reporterin zögert nicht, auch "Stop" zu sagen, wenn es zu gefährlich wird. Auch wenn sie viel Zeit, Geld und Aufwand investiert hat, überhaupt so weit gekommen zu sein. Sehr risikobereite KollegInnen würden rasch ausbrennen, wichtig sei es daher, immer wieder Pausen einzulegen zwischen den Einsätzen, und sich zu fragen: "Steht es wirklich dafür, was ich jetzt gerade mache?"
Informieren, Vorurteile abbauen und der fortschreitenden Islamophobie entgegenwirken, nennt die Journalistin ihre Motivation. "Ich finde es wichtig, dass Menschen aus Europa dorthin gehen, weil man eine andere Glaubwürdigkeit bekommt, ich erlebe mich auch als Übersetzerin zwischen den Kulturen", so Petra Ramsauer, Alumna der Politikwissenschaft. Für ihre Arbeit wurde die Journalistin, die als eine der wenigen auch in den Auffanglagern in Libyen war, und Autorin 2013 mit dem Concordia-Preis für Menschenrechte ausgezeichnet. (Foto: Jacqueline Godany)
Risikogesellschaft
Die Sicherheit wird oft als die andere Seite des Risikos gesehen. "Bleiben wir auf der sicheren Seite", sagen wir, wenn wir vermeintlich nichts riskieren wollen. Genau das aber scheint in unserer modernen Gesellschaft gar nicht mehr möglich zu sein. Zunächst ist Risiko nämlich der Ausdruck für einen enormen gesellschaftlichen Fortschritt. Die moderne Gesellschaft ist eine Risikogesellschaft, stellt Alexander Bogner fest und verweist auf den Soziologen Ulrich Beck, der den Begriff Mitte der 1980er Jahre geprägt hat.
Wir haben gewisse Freiheiten und Gestaltungsspielräume erlangt und glauben nicht mehr, dass die Dinge vorherbestimmt oder gottgegeben sind. "Dadurch entstehen Entscheidungsmöglichkeiten für die Menschen und die sind natürlich riskant", sagt der Soziologe Alexander Bogner, der an der Universität Wien "Gesellschaftsdiagnosen" lehrt. (Foto: Pichler)
Die Karriere des Risikos begann aber eigentlich bereits im Mittelalter, im 11./12. Jahrhundert, als die führenden Seefahrer-Nationen beschließen, sich die Chancen des Welthandels nicht länger entgehen zu lassen. Geleitet von den Erkenntnissen der Mathematik, speziell der Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie, konnten sie mit den bis dahin als gefahrvoll und unberechenbar geltenden Zufällen nun rational umgehen. "Man stach nicht mehr einfach in See und ließ sich von Piraten überfallen, sondern versuchte Regelmäßigkeiten herauszufinden und bessere Optionen abzuschätzen, man übte also ein rationales Umgehen mit Risiken ein", so Bogner.
Ein aktiver Umgang mit Risiko heißt im Wesentlichen, ein Risiko gegen ein anderes einzutauschen
Und wie gehen wir heute mit den Risiken unserer Zeit um? Bei Frage der Gentechnik oder der Nanotechnologie etwa sei man letztlich immer gezwungen, Risiken gegeneinander abzuwägen: Nehme ich lieber ein paar ökologische Risiken in Kauf oder eher gesundheitliche Risiken beim Menschen?
Die Variante des kontrollierten Risikos sei letztlich der Zustand, den wir als Mensch oder auch als Gesellschaft anstreben sollten, ist Claus Lamm überzeugt: Instrumentarien dafür zu entwickeln, das objektive Risiko wahrzunehmen, es mit den persönlichen Fähigkeiten abzugleichen und dann zu fragen: "Was bin ich bereit einzugehen?"
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Der komplette Artikel findet sich zum Nachlesen in der aktuellen Ausgabe von univie, dem Magazin des Alumniverbandes der Universität Wien. LESEN SIE AUCH: Die Redaktion von uni:view, der Online-Zeitung der Universität Wien, hat wie immer den Bereich "UNIVERSUM" im Alumni-Magazin mitgestaltet. Lesen Sie hier unseren Beitrag zur Semesterfrage "Was ist uns Demokratie wert?" (Seite 18 bis 21)