Ein Piks, der die Welt retten soll

In der neuen Ausgabe von univie, dem Alumnimagazin der Universität Wien, sprechen ein Virologe, ein Biotechnologe und eine Sozialwissenschafterin im Rahmen der Semesterfrage über das Impfen, die Entwicklung von COVID-Impfstoffen und Impftechnologien sowie die Einstellung der Österreicher*innen dazu.

Apokalyptisch, außergewöhnlich, eine noch nie dagewesene Katastrophe – so beschreibt Peter Palese die Lage in New York City im März dieses Jahres, als die Corona-Pandemie auch über die USA hereinbrach. Der austroamerikanische Virologe forschte zu diesem Zeitpunkt an der Mount Sinai Medical School in Manhattan, zu der auch das größte Krankenhaus New Yorks gehört, an der Verbesserung eines Influenza-Impfstoffes. Der 75-jährige Wissenschafter und Alumnus der Uni Wien berichtet von 2.000 Patient*innen auf der Intensivstation und von 80 Toten pro Tag, allein in diesem Spital. Schon bald war klar, dass alle Energie ab nun der Erforschung des Coronavirus Sars-CoV-2 gelten müsse. 

Ein Virus als trojanisches Pferd

Palese und sein Team arbeiten, wie einige Hundert andere Forschungskonsortien in aller Welt, an der Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Coronavirus. Der Ansatz, den Paleses Labor dabei verfolgt, macht sich die sogenannte Vektortechnologie zunutze, bei der ein anderes, harmloseres Virus quasi als Transporter benutzt wird, um die Information – ähnlich einem Trojanischen Pferd – in den Körper zu schleusen.  

Peter Palese

"Genau wie das Influenza-Virus ist das Coronavirus ein RNA-Virus, das seine genetische Information in der Ribonukleinsäure trägt. Es ist also ein sehr ähnliches Gebiet, in dem ich mein gesamtes Forscherleben lang gearbeitet habe", sagt Peter Palese, der in den 1960er-Jahren an der Universität Wien Chemie und Pharmazie studiert hat. Der Switch sei daher rasch zu bewerkstelligen gewesen. "Wir sind rund 240 Leute am Department, und nahezu alle von uns sind derzeit an der Erforschung verschiedenster Aspekte in Bezug auf COVID-19 befasst." (© privat)

Angesichts der erforderlichen Menge an Impfdosen von mehreren Milliarden Stück, um alle Impfwilligen weltweit zu versorgen, seien die enormen Anstrengungen und die vielen unterschiedlichen Ansätze, die sich derzeit in Entwicklung befinden, jedenfalls mehr als gerechtfertigt, stellt der Virologe fest. Wenn es unterschiedliche Impfstoffe gibt, könne auch das Risiko von Nebenwirkungen abgeschwächt werden. Aber sogar ein lausiger Impfstoff sei besser als keiner, ist Palese überzeugt. "Den Krankheitsverlauf bei einem 75-jährigen Patienten so abzu­schwächen, dass er einen Verlauf eines 45-Jährigen hat, wäre schon ein Erfolg", ist der Wissenschafter überzeugt. 

Impf-Pflaster

Auch den im September neu an die Uni Wien berufenen Christoph Rademacher beschäftigt das Coronavirus. Der Professor für Molecular Drug Targeting will in Wien seine Forschung an einer innovativen Impftechnologie, auch gegen Sars-CoV-2, fortsetzen. In diesem Forschungsbereich geht es grob gesagt darum, Wirkstoffe an ihren Wirkort zu bringen. "Wir versuchen sozusagen eine Verpackung für die Wirkstoffe auf molekularer Ebene zu finden, die dafür sorgt, dass diese nur an jenen Zellen wirken, wo sie tatsächlich hinsollen." Das habe unter anderem den Vorteil, Nebenwirkungen zu minimieren und die Effizienz zu erhöhen, so Rademacher.

Christoph Rademacher

"Wenn es uns gelingt, beim Menschen die Immunzellen anzusprechen, können wir nicht nur das Immunsystem aktivieren, was Grundlage für viele Impfstoffe wäre, wir könnten es vielleicht auch deaktivieren. Das wäre etwa für die Entwicklung von Medikamenten gegen Autoimmunerkrankungen oder Entzündungserkrankungen der Haut sehr interessant", so Biotechnologe Christoph Rademacher von der Uni Wien, der plant, in diesem Zusammenhang eine Firma auszugründen, am liebsten in Wien. (© privat)

Um das zu bewerkstelligen, arbeiten Rademacher und sein Team an einer ganz besonderen Technologie: Impfstoffe sollen dabei über die Immunzellen der Haut in den Körper gelangen und von dort eine Immunisierung im ganzen Körper auslösen. Bei dieser Impfung soll man aber ohne Injektion auskommen, denn freigesetzt wird der Impfstoff über ein Pflaster. "Das Anbringen des Mikronadelpflasters fühlt sich so an, als ob eine Katze mit ihrer rauen Zunge über die Haut leckt, tut also praktisch nicht weh", so Rademacher. Der Vorteil dieser Impfmethode liege in deren Effizienz. Bis zu 10 oder sogar 20 Mal mehr Personen könnten wahrscheinlich mit der gleichen Menge an Impfdosen mit dieser Methode geimpft werden.

Impfen oder nicht Impfen?

Dass der eigene Forschungsschwerpunkt durch Corona plötzlich brandaktuell wurde, hat auch Katharina Paul erlebt. Die Politikwissenschafterin beschäftig sich schon länger mit Impfpolitik (Podcast "Demokratiepolitischer Wandel auch in der Impfpolitik?"). Im Zusammenhang mit einer künftigen Corona-Impfung interessieren die Sozialwissenschafterin Impfsysteme und -infrastrukturen in verschiedenen Ländern, aber auch Praktiken der Solidarität. "Mit dieser Pandemie scheinen so viele Länder etwas gemeinsam zu haben. Allerdings wirkt sich diese sehr unterschiedlich aus, weil sie auf unterschiedliche Gesellschaften trifft, auf unterschiedliche politische Systeme, unterschiedliche Gesundheitssysteme." Gerade wenn es darum gehe, die Kollateralschäden dieser Krise zu bewerten, können die Sozialwissenschaften einen wichtigen Beitrag leisten, so Paul. 

Katharina Paul

"Wir sehen, dass Impfskepsis in Österreich durchaus ein Thema ist. Bei manchen Impfungen, wie Influenza oder Masern, haben wir im europäischen Vergleich auffallend geringe Impfraten", so Politikwissenschafterin Katharina Paul. Allerdings sei der Anteil der tatsächlichen Impfgegner mit ein bis fünf Prozent gering, und die niedrigen Impf­raten könnten somit nicht auf grundsätzliche Impfskepsis reduziert werden. Vielmehr liegen diese auch an den unzureichend koordinierten Impfangeboten sowie mangelndem Vertrauen. (© Sengmüller)

Das Thema Impfen ist zweifellos eines, das stark polarisiert. Darauf deuten die in Österreich im Zuge der "Corona Panel Project"-Studie (verlinken!) erhobenen Daten hin: Rund 50 Prozent der Befragten gaben an, sich impfen lassen zu wollen, sobald ein Impfstoff gegen COVID-19 verfügbar ist. Ein Drittel nahm eine ablehnende Haltung ein. Warum ist das so? In öffentlichen Impfsystemen greife der Staat sehr stark in die Privatsphäre von Bürger*innen ein und wecke dadurch eben auch Widerstand, so Paul.

Aber auch das Thema Unsicherheiten spiele eine Rolle: Nebenwirkungen von Impfungen werden insbesondere in den sozialen Medien zunehmend mehr thematisiert, das fördere auch Verschwörungstheorien. Paul fände es sinnvoll, zum Impfen zu ermutigen. Orte, wo Gespräche, Begegnungen und Information stattfinden können, wo Platz ist für individuelle Sorgen und Ängste.

Zum aktuell kollektiven Warten auf einen Corona-Impfstoff meint Paul: "Diese Politik der Hoffnungen und Versprechungen, wo mit einem konkreten Zeitpunkt gespielt und suggeriert wird, Anfang 2021 gäbe es einen Impfstoff und damit eine neue Normalität, ist für mich ein gutes Beispiel dafür, wie das Thema Impfen politisch instrumentalisiert wird. " (sh) 

Cover univie

Lesen Sie den gesamten Beitrag in der November-Ausgabe von univie, dem Alumnimagazin der Universität Wien.