Krise und Neubeginn treffen die Universität

Margarete Grandner, Professorin am Institut für Internationale Entwicklung, hinterfragt in ihrem Gastbeitrag im Rahmen der Ringvorlesung "Die Wiener Universität 1365-2015" den Krisencharakter der Jahre 1918, 1938 und 1945.

Wenn man sich mit den Jahren 1918, 1938 und 1945 in der neueren Geschichte der Universität Wien auseinandersetzt, stellt sich die Frage, bei welchen es sich um eine "Krise", bei welchen um einen "Neubeginn" geht. In einem Text, der sich bis vor kurzem in einer Selbstdarstellung der Universität Wien zum fraglichen Zeitraum unter dem Titel "Kriegswirren und Wiederaufbau" fand, hieß es:

"Der Aufschwung der Universität Wien erfährt durch die Wirren des Ersten Weltkriegs eine jähe Unterbrechung: Das Hauptgebäude wird in ein Lazarett umfunktioniert, in dem der Große Festsaal als Speise- und Aufenthaltsraum, der Kleine Festsaal und diverse Hörsäle als Operationsräume genutzt werden.

Die Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre nährt den Boden, der deutschnationales Gedankengut bis hin zu offenem Antisemitismus auch an der Universität aufkeimen lässt. 1938, nach dem 'Anschluss' an das Deutsche Reich, wird die 'Gleichschaltung' der Universität rasch durchgeführt. Die Folge ist ein wissenschaftlicher Massenexodus: 45 Prozent aller Professoren und Dozenten werden aus politischen oder 'rassischen' Gründen entlassen.

Bis Kriegsende wird das Hauptgebäude durch 26 Bombentreffer beschädigt. Das Glasdach des Lesesaals der Bibliothek birst. Die Rote Armee requiriert das Gebäude, aber bereits am 16. April 1945 erreicht der damalige Student Kurt Schubert (1923–2007, Emeritus der Judaistik) die Räumung der Universität. Ende Mai 1945 beginnt trotz Wiederaufbauarbeiten der Vorlesungsbetrieb für das Sommersemester."


Daraus könnte man schließen, dass die Zeit von 1918 bis 1945 für die Universität Wien eine einzige Krise war, der bei Ende des Zweiten Weltkriegs (initiiert durch einen Studierenden!) endlich der Aufstieg des Phoenix aus der Asche folgte. (Auch der aktuelle Text, der manches anders sieht, betont den Krisencharakter der Zeit)


Die Universität Wien feiert 2015 ihr 650-Jahre-Jubiläum. Auch im Sommersemester 2015 bieten die HistorikerInnen Marianne Klemun und Martin Scheutz die bereits im Wintersemester erfolgreich abgehaltene Jubiläums-Ringvorlesung "Die Wiener Universität 1365-2015" an. Termine der Jubiläums-Ringvorlesung im Sommersemester 2015



1918 und die Nachkriegszeit

Aber waren 1918 und die Nachkriegszeit tatsächlich nichts als eine Krise? Es wäre töricht zu leugnen, dass der Erste Weltkrieg und seine Folgen insbesondere wirtschaftlich sehr schwierige Verhältnisse schufen, unter denen die Universität und das akademische Leben mit zahlreichen Problemen zu kämpfen hatten. Dennoch: 1918 wurde die Republik Österreich als ein demokratischer Staat gegründet, in dem zukunftsweisende Neuanfänge möglich waren – wie die Öffnung der Rechtswissenschaften für Frauen – oder möglich gewesen wären – wie die Öffnung der Universität für weniger privilegierte soziale Schichten. Die österreichischen Universitäten und Hochschulen missachteten diese Chancen weitestgehend und begaben sich auf den gefährlichen Weg antidemokratischer und (keineswegs nur deutschnational motivierter) rassistischer Exklusion. Ein Höhepunkt, flankiert von über die Jahre zahllosen gewalttätigen Studentenkrawallen und bestenfalls schwachen, im schlechtesten Fall sträflichen Handlungen der Funktionäre und Gremien der Universität, war 1930 der Versuch des Rektors Gleispach und des Senats, eine vor allem gegen jüdische Studierende diskriminierende Studentenordnung einzuführen.

Das Jahr 1938

Markiert 1938, der "Anschluss" Österreichs an Deutschland, eine Krise oder einen Neuanfang für die Universität Wien? Für die nicht wenigen Parteigänger und Mitläufer der NSDAP unter den Lehrenden wie den Studierenden war der "Anschluss" zweifellos der Anbruch eines neuen, in ihrer Perspektive besseren Zeitalters. Für Juden, Jüdinnen und Personen, die als solche galten, für Linke und Anhänger des austrofaschistischen Regimes war der "Anschluss" eine Katastrophe, die viele nicht nur den Arbeits- oder Studienplatz, sondern auch das Leben kostete.

Neubeginn 1945

1945 war in vielerlei Hinsicht ein Neubeginn für die Universität Wien. Kriegsbeschädigte Bauten und Einrichtungen mussten wiederhergestellt werden, unter den Augen der Besatzungsmächte war ein Trennungsstrich zur NS-Zeit zu ziehen. Wie 1918 befand sich die Universität Wien wieder in einem demokratischen – und sehr armen – Staat. Für die Gewinner des Jahres 1938 stellte sich die Situation 1945 ganz anders dar. Viele mit dem NS-Regime verstrickte Lehrende wurden entlassen. Außerdem war auch von einem Aufbruch in Richtung moderner Wissenschaft und Universität wenig zu spüren. In den Jahren 1933 bis 1945 vertriebene und verdrängte Wissenschafter, die häufig innovative Richtungen vertreten hatten, wurden nur in seltensten Fällen zurückgeholt, in gewisser Hinsicht vollzog sich nach dem Krieg ein "Rückbruch" in die Tendenzen des autoritären Katholizismus der 1930er Jahre. Die Studierendenzahlen lagen noch Ende der 1960er Jahre nicht wesentlich über jenen von 1930. Ein "Neuanfang", der diesen Namen verdient, fand erst in der Ära Kreisky nach 1970 statt.

Margarete Grandner ist Professorin am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien.