Wer hat Angst vor humanoiden Robotern?

In Filmen oder Serien wie "Real Humans" leben Menschen und menschenähnliche Roboter Seite an Seite. Ist dieses Zukunftsszenario näher als wir denken? Und welche Auswirkungen hat das auf unser Zusammenleben? Darüber spricht Soziologin Michaela Pfadenhauer im Interview zur Semesterfrage.

uni:view: Frau Pfadenhauer, wie leben wir in der digitalen Zukunft?
Michaela Pfadenhauer: Technologische Entwicklungen werden unseren Alltag massiv verändern. Aber wir dürfen uns das nicht linear vorstellen. Es wird nicht alles genau so sein wie jetzt plus Roboter. Die technologische Gesamtentwicklung wird uns auf das, was in der Zukunft passiert, vorbereiten.



uni:view: Werden wir also tatsächlich irgendwann mit menschenähnlichen Robotern zusammenleben?
Pfadenhauer: Unsere Phantasie ist in dieser Hinsicht sehr stark von Science-Fiction geprägt. Bereits Anfang der 1970er Jahren hat der japanische Robotiker Mori festgestellt, dass die Bereitschaft, humanoide Roboter zu akzeptieren, ihre Grenzen hat. Da kann der Moment der Faszination schnell in Angst umschlagen, was er als "uncanny valley", als "unheimliches Tal" bezeichnet hat, das die anfängliche Begeisterung durchläuft. Hinsichtlich der Zustimmung zu bzw. Ablehnung dieser (und anderer) Technologien lassen sich allerdings kulturelle Unterschiede feststellen. Im asiatischen Raum beispielsweise ist die Technikphobie weniger stark ausgeprägt und Robotik schon längst viel stärker in die Sozialwelt integriert.

uni:view: Wieso haben wir in der westlichen Welt eine gewisse Hemmschwelle vor Robotik?
Pfadenhauer: Das hat verschiedene Gründe, aber eine mir plausibel erscheinende Erklärung ist, dass die Ursache in der Religion zu finden sein könnte. Das Christentum sieht den Menschen als Krone der Schöpfung an. Und da unsere Kultur im okzidentalen Europa christlich geprägt ist, tritt bei uns die Frage "Darf man Maschinen dem Menschen gleichsetzen?" stärker in den Vordergrund.

uni:view: In welcher Form wird sich Robotik denn dann zeigen?
Pfadenhauer: Wir werden 2025 in Wiener Haushalten vermutlich Roboter sehen, die sich autonom fortbewegen und wahrscheinlich auch Gesichter haben. Aber das müssen nicht zwangsläufig menschliche Gesichter sein. In der gegenwärtigen Forschung und Entwicklung geht es viel mehr darum, dass das "Interface" innere Vorgänge zum Ausdruck bringt, was menschlichen Gemütsausdrücken wie Freude, Trauer, Überraschung etc. nachempfunden sein kann. Daran wird aktuell z.B. in den USA am MIT (Massachusetts Institute of Technology) geforscht.

Die Vermutung ist, dass dies einen positiven Einfluss auf die Emotionen hat, die Menschen für solche High-Tech-Geräte entwickeln können. Damit werden diese Systeme z.B. auch für den Einsatz im Rahmen einer emotionsorientierten Pflege und Betreuung interessant, woran Kollegen in Deutschland oder in der Schweiz forschen. Auch die Sensorik ist Gegenstand zahlreicher Forschungen. Wir interessieren uns z.B. für die Haptik und Taktilität, d.h. für die Wirkung des Anfassens und Berührens von sensorgesteuerter Technik. Hier spielt übrigens auch der Einsatz von Robotern für Erotikkonstellationen eine Rolle, denn die Industrie steckt hier viel Geld hinein. Die Frage, wie sichtbar Robotik letztendlich sein wird, hängt aber davon ab, ob Roboter zu einem Statussymbol werden. Dann sind die Menschen auch bereit, viel Geld dafür zu zahlen.

Q&A mit Michaela Pfadenhauer:
Am 6. und 15. Dezember wird Michaela Pfadenhauer auf "derStandard.at/Semesterfrage" erklären, ob Technik in Zukunft nicht nur Assistenz im Alltag bieten kann, sondern mitunter auch Sozialkontakte übernehmen könnte. In einem Kommentar sowie einem Q&A-Artikel stellt sie sich den Fragen der Community. Diskutieren Sie mit!

uni:view: Welche Rolle spielt die Soziologie dabei?
Pfadenhauer: Eine der großen zukünftigen Herausforderungen für die Soziologie ist meines Erachtens die Frage, ob durch die Robotik in unsere, wie der deutsche Soziologe Max Weber es nannte, entzauberte Welt wieder ein kleiner Zauber kommt. SoziologInnen beschreiben Gegenwartsgesellschaften, aber müssen immer auch die historische Dimension mitdenken und zugleich schauen, wohin sich Gesellschaften derzeit bewegen. Insbesondere in der westlichen Zivilisation wurden die Grenzen der Sozialwelt immer enger gezogen. Für uns moderne, nüchterne Menschen zählen nur die gegenwärtig mit uns lebenden Personen zu unserer Sozialwelt. In archaischen Kulturen ist das anders, da können auch Berge, Bäume oder Verstorbene dazu gehören. Die spannende Frage für mich als Soziologin ist nun: Haben wir es mit einer Entwicklung zu tun, in der die Grenzen der Sozialwelt wieder erweitert werden?

uni:view: Wieso ist es gesellschaftlich wichtig, diese Frage zu stellen? Und wie beantworten Sie die Frage?
Pfadenhauer: Letztlich geht es um die Frage nach der Grenze zwischen Natur und Kultur, zwischen Lebendigem und Künstlichem und auch zwischen Menschlichem und Nicht-Menschlichem. Diese Grenzen verhandeln wir gesellschaftlich immer wieder neu aus: Beginnt menschliches Leben bei der Befruchtung oder später, bis zu welchem Zeitpunkt halten wir Abtreibung, wenn überhaupt, für vertretbar, ist Sterbehilfe akzeptabel und eben auch: wie halten wir es mit der Technisierung des menschlichen Körpers (künstliche Herzklappen, Prothesen u.v.a.m.), ist Technik nicht längst ein Teil von uns? Der jeweilige gesellschaftliche Konsens schlägt sich in Gesetzgebung und Rechtsprechung nieder und ist somit nicht mehr nur hypothetisch, sondern real, z.B. eben eine juristische (medizinische, biologische, usw.) Tatsache. Diese Realität fällt nicht vom Himmel und sie ist auch nicht den Dingen inhärent, sondern sie wird kommunikativ in Debatten und Diskursen hergestellt. Meine Aufgabe als Soziologin besteht darin zu untersuchen, wie und welche Wirklichkeit wir in Bezug auf Robotik derzeit gesellschaftlich konstruieren.   

VERANSTALTUNGSTIPP:

uni:view: Sie selbst forschen u.a. zu den Herausforderungen der Social Robotics für Sozialität. Was ist Social Robotics?
Pfadenhauer: Social Robotics ist ein relativ kleiner und junger Zweig innerhalb der Robotik. Dabei geht es nicht um Robotik, die konkrete Arbeiten übernehmen soll, wie beispielsweise Service- oder Industrieroboter, sondern um Geräte, die so etwas wie Alltagsbegleiter darstellen, d.h. uns unterhalten, informieren, unsere Zeit vertreiben. Diese Roboter werden nicht in menschenleeren Gegenden oder in Industriehallen eingesetzt, wo lediglich ExpertInnen Zugang haben, sondern im direkten Kontakt mit uns Alltagsmenschen. Und damit sind wir mitten in der Soziologie und auch bei der Frage, die in den öffentlichen Diskursen immer wieder hochkommt: Geht das? Darf man das? Und wie verändern sich die Interaktion und Kommunikation und allgemeiner das Verhältnis zwischen Menschen durch den Einsatz von Technologie?

Michaela Pfadenhauer leitet das seit 2013 laufende Projekt "Der performative Einsatz sozialer Roboter", in dem es um Social Robotics geht. Im Rahmen einer Langzeit-Ethnographie untersuchen die SoziologInnen, wie dieser "social assistive robot" von (semi-)professionellen Betreuungskräften im Seniorenpflegeheim bei der Betreuung von Menschen mit Demenz eingesetzt wird. (Foto: Screenshot Video, Michaela Pfadenhauer)

uni:view: In einem aktuellen Forschungsprojekt untersuchen sie den Einsatz eines zoomorphen Roboters im Seniorenpflegeheim bei der Betreuung demenzkranker BewohnerInnen. Worauf genau zielt das Projekt ab?
Pfadenhauer: Demenzkranke leben in einer veränderten Raum- und Zeitstruktur. Selbst wenn das Betreuungspersonal stark darauf ausgebildet ist, können viele Situationen gar nicht so langsam ablaufen, dass Menschen in ihrem demenziellen Prozess der oder die Demenzkranke adäquat darauf reagieren können. Wir schauen uns nun an, wie sich die Interaktion und Kommunikation zwischen HeimbewohnerInnen und den BetreuerInnen durch den Einsatz einer Roboter-Robbe ändern. Teilweise entspannen sich auf diese Weise nicht nur Gespräche, sondern auch Berührungen, beispielsweise beim Streicheln des Fells, womit die Technik als kommunikativ-körperliche Kontaktbrücke fungiert.

uni:view: Wäre derselbe Effekt auch bei dem Einsatz eines echten Tieres spürbar?
Pfadenhauer: Eine Betreuerin meinte jüngst in einem Interview: 'Der Roboter öffnet bei den dementen BewohnerInnen die Herzenstüren der Erinnerung.' Der zoomorphe Roboter hat den Vorteil, dass er im Gegensatz zu Tieren beispielsweise nicht herum- oder fortläuft, sondern den Demenzerkranken die Zeit gibt, die sie benötigen. Aber ich möchte nicht behaupten, dass der Roboter etwas hervorbringt, was reale Tiere nicht generieren würden.Wir sind noch weit davon entfernt vorherzusagen: Packen Sie einen Roboter in diese und jene Situation und es wird dieses und jenes passieren. Sozialität ist komplex und variabel. Diese Komplexität wird, wenn man es pointiert ausdrücken möchte, durch Roboter, die darauf abzielen, Einfluss auf die soziale Situationen und Beziehungen auszuüben, manipuliert. Da ist natürlich klar, dass auch ethische und andere Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen.

uni:view: Was meinen Sie genau?
Pfadenhauer: Es geht dabei auch um Verantwortlichkeiten. Wenn wir Robotern Entscheidungen überlassen: Wer trägt dann die Schuld, wenn etwas passiert? Kann ich dann sagen: Das war mein Navigationssystem und nicht ich. Oder ein anderes Beispiel: Wir sehen einen interessanten Menschen und würden gerne in Kontakt treten. Das könnte dann z.B. unser Handy übernehmen und mit dem Handy der anderen Person in Kontakt treten. Was aber ist, wenn die andere Person das gar nicht möchte? Ist sie dann verantwortlich, weil sie nicht weiß, welche Zugangsrechte auf dem Handy eingestellt sind? Oder der Entwickler, der es programmiert hat? Das sind relevante Fragen, die Soziologie und Gesellschaft beschäftigen werden. 

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (mw)

Mehr über Michaela Pfadenhauer:
Seit Oktober 2014 ist Michaela Pfadenhauer Professorin für Kultur und Wissen am Institut für Soziologie der Universität Wien. In ihrer Forschung befasst sie sich u.a. mit Kultur- und Medienwandel sowie den Herausforderungen der Social Robotics für Sozialität. Die 1968 in Nürnberg, Deutschland, geborene Wissenschafterin begann ihre akademische Laufbahn mit dem Studium der Politikwissenschaft und Soziologie an den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Bamberg und München. Später war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Dortmund und der Universität St. Gallen, bevor sie als Universitätsprofessorin (W3) für Soziologie des Wissens an die Geistes- und Sozialwissenschaftliche Fakultät des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) berufen wurde.

Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. In Interviews und Gastbeiträgen liefern die ForscherInnen vielfältige Blickwinkel und Lösungsvorschläge aus ihrem jeweiligen Fachbereich. Zur Semesterfrage 2016