"Der geistigen Brandstiftung Einhalt gebieten"
| 06. Juli 2016Die Flüchtlingssituation ist eines der Hauptthemen in der medialen Berichterstattung. Wie sollten JournalistInnen mit dem Thema umgehen? Was sind die "Dos and Don'ts" und welche Rolle spielt die "Social Media Parallelwelt"? Darüber sprach Kommunikationsforscher Fritz Hausjell mit uni:view.
uni:view: Mit welchen Herausforderungen sind JournalistInnen in Bezug auf das Thema Migration konfrontiert?
Fritz Hausjell: Die Medien sind in der Verantwortung, den Menschen bei der Annahme der Herausforderungen der Gesellschaft zu helfen. Globalisierung bedeutet ja nicht nur, dass wir – zum Beispiel – leichter reisen können, sondern auch, dass die Schrecken, die es auf dieser Welt gibt, auch schneller zu uns kommen. Hier müssen JournalistInnen die Dinge ausleuchten und möglichst viele Sachverhalte und verschiedene Positionen aufzeigen.
Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. In Interviews und Gastbeiträgen liefern die ForscherInnen vielfältige Blickwinkel und Lösungsvorschläge aus ihrem jeweiligen Fachbereich. Die Semesterfrage im Sommersemester 2016 lautete "Wie verändert Migration Europa?". Im Wintersemester 2016/17 geht es weiter mit dem Thema "digitale Zukunft". Alle Infos: semesterfrage.univie.ac.at.
uni:view: Oft hat man das Gefühl, viele Menschen lesen gar keine Zeitung mehr, sondern beziehen ihre Informationen primär über Social Media Kanäle wie Facebook oder Twitter. Gerade hier werden auch Unmengen an Gerüchten, insbesondere in Bezug auf Zuwanderung, gestreut.
Hausjell: Ja, inzwischen gibt es ja eine richtige Social Media-Parallelwelt. Zunehmend mehr Menschen sehen die dortigen Meldungen als Ersatz für Informationsmedien an und nehmen Vieles für bare Münze, was sie in ihre Feeds täglich hineingespielt bekommen. Wichtig wäre hier, an Schulen gerade jungen Menschen verstärkt Medienkompetenz zu vermitteln. Das haben wir leider bislang nicht ausreichend geschafft.
uni:view: Wie sollen JournalistInnen auf diese "Social Media Parallelwelt" reagieren?
Hausjell: Indem sie ihr eigenes Handeln stärker reflektieren. Damit meine ich nicht, sich permanent Asche auf das Haupt zu streuen, sondern z.B. aufzuzeigen, wieso über manche Geschehnisse nicht berichtet wird. Ende letzten Jahres gab es in Österreich z.B. den Fall, dass ein zehnjähriger Junge von einem irakischen Asylbewerber vergewaltigt wurde. Darüber wurde lange Zeit nicht in den etablierten Medien berichtet. Das hat den Sinn, das minderjährige Opfer zu schützen. Es gibt hierbei ein wohlbegründetes Agreement zwischen Polizei und Medien, damit das Opfer durch die Berichterstattung nicht ein zweites Mal zum Opfer wird.
uni:view: Ist es der taktisch klügere Weg, die oft rassistischen Gerüchte aufzugreifen, oder wäre es sinnvoller, sie zu ignorieren?
Hausjell: Ignorieren ist der falsche Weg, denn damit überlasse ich den anderen die Deutungshoheit und evoziere möglicherweise bei Menschen das Gefühl, dass es sich um Tatsachen handelt, die etablierte Medien verschweigen würden: Stichwort "Lügenpresse". Die Gerüchte müssen aufgegriffen und sorgfältig geprüft werden, wobei auch der journalistische Rechercheweg den LeserInnen gegenüber transparent gemacht werden sollte. Nur so kann auch klar gemacht werden, was den Unterschied zwischen journalistisch profund recherchierten Sachverhalten und haltlosen Anschuldigungen im Netz ausmacht.
uni:view: Können Medien dazu beitragen, diese Gerüchtewelle zu stoppen?
Hausjell: Es ist anzunehmen, dass ein unerheblicher Teil dieser Gerüchte aktiv in die Welt gesetzt wird. Daher sollten JournalistInnen versuchen, die UrheberInnen von solchen Gerüchten ausfindig zu machen und aufzeigen, wer Interesse daran hat, soviel Zwist in die Gesellschaft zu bringen. Eine systematische Recherche ist eine Möglichkeit, dieser Art von geistiger Brandstiftung ein Stück Einhalt zu gebieten. Denn solche Gerüchte schaffen enormes Misstrauen z.B. gegen Geflüchtete, und verhindern konstruktive Begegnungen.
uni:view: Wie schaut es bei Medienberichten über Straftaten aus? Verstärkt die Nennung von Ethnien Vorurteile?
Hausjell: In den Medien muss sich die Praxis viel stärker einbürgern, dass Nationalität und Ethnie bei Berichten nicht genannt werden, solange sie nicht für die Erklärung von Handlungen von Bedeutung sind, wie z.B. bei rassistisch motivierten Straftaten oder den Ereignissen in Köln zu Silvester. Ich erinnere mich noch gut: In den 1970er Jahren gab es gegen GastarbeiterInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei viele ähnliche Vorurteile über deren angeblich stärkere Kriminalität in den Medien und viel Gerede an den Stammtischen. Dabei zeigen Kriminalstatistiken gerade das Gegenteil auf: Die GastarbeiterInnen waren signifikant weniger straffällig. Nicht, weil es die besseren Menschen waren, sondern weil z.B. ihr Aufenthalt durch kriminelle Handlungen gefährdet gewesen wäre. Überall dort, wo die Kriminalsoziologie solche Analysen bislang geliefert hat, zeigt sich kein Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Straftaten.
uni:view: Wie können Medien dabei helfen, mögliche Vorurteile z.B. gegenüber Geflüchteten aufzulösen?
Hausjell: Gerade bei Themen, mit denen der Großteil der Bevölkerung wenig oder keine direkte Berührung hat, muss sorgfältig und umfassend informiert werden. Insbesondere, wenn Geflüchtete aus Ländern und Regionen kommen, die uns typischerweise nicht vertraut sind, weil diese in der internationalen Berichterstattung nur in Krisenzeiten vorkommen. Unsere Nachbarländer kennen wir einigermaßen, auch aus dem Urlaub, aber wenn Menschen aus Syrien kommen, dann besteht die Herausforderung der Medien darin, das zu begleiten. Aber da Medien primär ereignisorientiert berichten, kommt das meist zu kurz.
uni:view: Wie kann das mediale "Begleiten" aussehen?
Hausjell: Es ist z.B. eine vornehme demokratiepolitische Aufgabe von JournalistInnen, rechtspopulistische und rassistische Argumentationsmuster sowie Bilder des "Wir und die Anderen", wie sie beispielsweise die FPÖ befeuert, aufzubrechen und einen Perspektivenwechsel zu wagen, indem ideologiekritisch die Konsequenzen dieses vermeintlichen Antagonismus stärker dargelegt werden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, aktuelle Geschehnisse in historische Zusammenhänge zu stellen. Journalismus darf gerade hier nicht ahistorisch sein, sondern muss den Blick in die Geschichte des aus unserem Land Vertriebenen richten, um daraus konkrete Erkenntnisse zu beziehen. Stärker noch sind Berichte aus Kommunen, in denen Geflüchtete freiwillig oder unfreiwillig aufgenommen wurden, zu bringen und im Sinne des "constructive journalism" journalistisch zu analysieren, wie aus der Abwehrhaltung ein gutes Miteinander wurde. Dazu gehört, dass viel mehr Geflüchtete selbst zu Wort kommen sollten. Wie könnten Einheimische sonst erkennen, dass durch ein "Aufeinander-Einlassen" spannende Menschen und neue Kulturen kennengelernt werden können.
uni:view: Danke für das Gespräch! (mw)
Fritz Hausjell (geb. 1959) studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Pädagogik an den Universitäten Salzburg und Wien. 1985 Promotion an der Universität Salzburg; 2003 Habilitation an der Universität Wien. Seit 2003 ao. Univ.-Prof., seit 2014 Vizevorstand am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. Exiljournalismus, Medien- und Kommunikationspolitik des Nationalsozialismus, Journalismusentwicklung in der Zweiten Republik, Neonazismus und Rassismus im medialen Kontext, Migration und Medien sowie aktuelle Medienpolitik.