Julia Lajta-Novak: Poetry Slam und die Poesie des Sprechens

Die Anglistin Julia Lajta-Novak von der Universität Wien erhält einen START-Preis 2020 für ihr Projekt "Poetry off the page". Sie untersucht darin die Bedeutung des Lyrikvortrags für die jüngere britische Literaturgeschichte und das Potenzial der mündlichen Aufführung.

Als Literaturwissenschafterin und Life-Writing-Spezialistin setzt sich Julia Lajta-Novak mit interessanten Lebensgeschichten kritisch auseinander – sowie mit der zentralen Frage, was, wie und warum Menschen über sich erzählen und welche Bedeutung wir diesen Erzählungen beimessen. "Ich finde meine beiden Forschungsgebiete die Spoken Word Studies und die Auto/Biografieforschung überaus spannend und freue mich sehr, dass ich sie in meinem START-Projekt zusammenführen kann", so Julia Lajta-Novak vom Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien.  

Leidenschaft für "Spoken Word"

Bereits 2013 erhielt die Anglistin ein Hertha-Firnberg-Stipendium des FWF, seit 2016 leitet sie im Rahmen des Elise-Richter-Programms das Projekt "Die Künstlerin im biographischen Roman: Gender und Genre". In ihrem neuen START-Projekt legt sie den Fokus vor allem auf performative Formen wie Poetry Slam.

Ihre Leidenschaft für Spoken Word führt Lajta-Novak auf ihr Auslandsjahr zurück: "Eigentlich wollte ich nach meinem Studium der Anglistik und Amerikanistik einen Schlussstrich ziehen. Ich dachte aber, ich brauche unbedingt eine weitere Ausbildung, um auf dem Arbeitsmarkt irgendwie Fuß fassen zu können. Also studierte ich Kulturmanagement am Goldsmiths College in London. In diesem Jahr merkte ich, dass mir die Literatur und die Diskussion darüber sehr fehlten. Ich besuchte also zahlreiche Lesungen und Literaturfestivals und war erstaunt über die großartigen Performances von Dichterinnen und Dichtern wie Patience Agababi oder Anthony Joseph. Da erschloss sich mir eine ganz neue Art, Literatur zu erleben."


Am Mittwoch, 17. Juni 2020, vergab der FWF die Wittgenstein- und START-Preise 2020: Österreichs höchstdotierte Auszeichnungen für wissenschaftliche Bestleistungen. Nach gleich zwei Wittgenstein-Preisen im letzten Jahr geht heuer wieder einer an die Uni Wien: an den Mathematiker Adrian Constantin (zum Artikel). Einen START-Preis für außergewöhnliche Nachwuchswissenschafter*innen erhält die Anglistin der Uni Wien Julia Lajta-Novak.

Poetry Performance

Während es eine umfangreiche Werkliste zur Geschichte der britischen Lyrik gibt, wird Lyrik dabei implizit immer als gedrucktes Werk gefasst. "Tatsächlich ist der mündliche Vortrag aber ein ebenso wichtiges Medium, in dem Gedichte 'publiziert' und rezipiert werden", erklärt Lajta-Novak. Gerade in den vergangenen 50 Jahren wurden zahlreiche Strömungen der Poetry Performance populär, wie etwa Jazz Poetry, Beat Poetry, Sound Poetry, Poetry Slam oder Spoken Word. Diese haben das Gesicht der britischen Lyrik maßgeblich verändert. Von der Live-Performance abgesehen, bedienen sich diese auch anderer Kanäle.

Heutzutage sind Youtube & Co. zentrale Medien. Es gibt mittlerweile "Performance Poets", die die herkömmlichen Verlagshäuser komplett umgehen und deren erfolgreiche Karrieren vorwiegend auf dem mündlichen Vortrag basieren. Ein guter Teil der Szene hat sich ins Internet verlagert. "So kritisch man Youtube sehen mag, gibt es bisher benachteiligten Dichterinnen und Dichtern (Poets of Colour, Frauen, Queer Poets) die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen", betont Lajta-Novak. 

In ihrem START-Projekt "Poesie des Sprechens: Britische Lyrik-Performance, 1965-2015" untersucht Julia Lajta-Novak die Bedeutung des Lyrikvortrags für die jüngere britische Literaturgeschichte unter Berücksichtigung des ästhetischen und semantischen Potenzials der mündlichen Darbietung, der alternativen institutionellen Strukturen, Publikationskanäle, Karrierewege, Präsentationsformate, Stile und poetischen Gattungen, die aus der Performance-Szene hervorgegangen sind. Damit wird ein Prototyp und Werkzeugkasten für einen neuen Zweig der historisch-literarischen Forschung auch jenseits des britischen Kontexts bereitgestellt. Das Projekt wird wesentliche Grundlagenarbeit leisten, um die Performance-Forschung für Lyrik als einen interdisziplinären Forschungszweig international zu etablieren. 

Britische Lyrikgeschichte 

Die Anglistin will in ihrem Projekt einerseits ein wichtiges Kapitel der britischen Lyrikgeschichte systematisch beleuchten. "Es beinhaltet unter anderem Einzelstudien zu 'Black British Poetry', also dem Schaffen schwarzer oder asiatischer Dichterinnen und Dichter, die in der Performance-Szene wesentlich mehr Gehör finden als im herkömmlichen Verlagswesen, dem Poetry Slam und dem recht neuen Genre des 'Spoken Word Play'", erläutert Lajta-Novak. Letzteres wird auch "One-person Poetry Show" genannt und liefert ein zusammenhängendes, abendfüllendes Programm.

"Da Spoken-Word-Texte oft autobiografisch sind, leisten wir mit dem Projekt auch einen wichtigen Beitrag zur britischen Kulturgeschichte allgemein. Wir kooperieren unter anderem mit dem Spoken Word Archive der Organisation Apples & Snakes, das erst vor Kurzem eröffnet wurde", ergänzt die Anglistin.

Andrerseits will die junge Forscherin in ihrem Projekt eine Methode der Lyrikgeschichtsschreibung entwickeln, die speziell auf den mündlichen Vortrag abzielt und es ermöglichen wird, sowohl die Ästhetik als auch die Performance-Szene sowie soziokulturelle Aspekte des Lyrikvortrags zu integrieren. "Diese Methode wird über den britischen Kontext hinaus anwendbar sein und damit einen wichtigen Beitrag zur Geschichtsschreibung der mündlichen Lyrik allgemein darstellen", so Lajta-Novak. (FWF/ps)

Julia Lajta-Novak forscht am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien und arbeitet im Rahmen einer Elise-Richter-Stelle des FWF an ihrer Habilitationsschrift "Portrait of the Woman Artist: Gender and Genre in Biofiction". Sie studierte Anglistik und Musik in Wien und Edinburgh sowie Kulturmanagement in London. Forschungsaufenthalte führten sie u.a. an die Universität Salzburg, das King’s College London, das Institute of English Studies der Universität London und die English Faculty der Universität Oxford. Für ihre wissenschaftlichen Arbeiten erhielt Lajta-Novak unter anderem den Theodor Körner Preis, den Dr. Maria Schaumayer Preis, das Doc-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und den Preis der Universität Salzburg für hervorragende Lehre. 

Das START-Programm des Wissenschaftsfonds FWF richtet sich an junge Spitzenforschende, denen die Möglichkeit gegeben wird, auf längere Sicht und finanziell weitgehend abgesichert ihre Forschungen zu planen. Es ist mit bis zu 1,2 Millionen Euro dotiert und zählt neben dem Wittgenstein-Preis zur prestigeträchtigsten und höchstdotierten wissenschaftlichen Auszeichnung Österreichs.