Das Bildnis der Künstlerin

Clara Schumann, Frida Kahlo oder Marilyn Monroe – sie alle sind die Hauptfiguren biografischer Romane über historische Künstlerinnen. Dieses relativ junge Genre erforscht und analysiert die Anglistin und Literaturwissenschafterin Julia Lajta-Novak in ihrem aktuellen Hertha-Firnberg-Projekt.

Glückliche Ehefrau und Mutter oder ein Opfer des Patriarchats und eines psychopatischen Ehemanns – so unterschiedlich können die Sichtweisen auf ein und dieselbe historische Person, in diesem Fall die Künstlerin Clara Schumann, sein. "Es ist spannend, wie verschieden das Leben ein- und derselben Person in verschiedenen Werken nachgezeichnet wird", erzählt Julia Lajta-Novak begeistert: "Oft erzählen fiktionale Biographien mehr von der Zeit, in der sie entstehen, als über die Zeit, die sie porträtieren: 1955 beschreibt Werner Quednau Clara Schumann als 'brave' Ehefrau; die Autorin Janice Galloway zeichnet sie in ihrem Werk 'Clara' im Jahr 2002 als feministische Vorreiterin."


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Fakt und Fiktion

Fakt ist, dass Clara Schumann zu Lebenszeiten ein Star war – berühmter als ihr heute bekannterer Ehemann. Wo beginnt und wo endet die Fiktion der biografischen Romane? Das ist eine der wesentlichen Forschungsfragen im Hertha-Firnberg-Projekt "Portrait of the Woman Artist: Gender and Genre in Biofiction" der Anglistin Lajta-Novak: "Welche historischen Fakten haben die AutorInnen der Romane geändert, welche übernommen, und was haben sie dazu gedichtet? Ein ungemein spannender Forschungsbereich." Das Hauptaugenmerk legt die Wissenschafterin dabei auf die Figurendarstellung der Protagonistinnen als Frauen in ihrem jeweiligen historischen Kontext.

Hybrid-Genre "fiktionale Biographie"

Über Clara Schumann, mit der sich Julia Lajta-Novak bereits in ihrer Diplomarbeit beschäftigt hat, "entdeckte" die Nachwuchsforscherin die fiktionale Künstlerinnenbiographie als bisher vernachlässigtes Forschungsthema. "In den vergangenen 15 bis 20 Jahren sind eine Vielzahl historischer Künstlerinnenbiographien erschienen, man kann also bereits von einem eigenen Genre sprechen."

Wachsendes Korpus

Die Anglistin hat den Anspruch, einen Überblick über das Genre zu bieten: "Das Ziel ist es, einen umfassenden Korpus der fiktionalen Künstlerinnenbiographien zu erstellen. Da ich regelmäßig neue Werke entdecke, die meinen Auswahlkriterien entsprechen, ist das gar nicht so einfach." Mittlerweile, nach rund einem von insgesamt drei vom FWF geförderten Projektjahren, umfasst die wachsende Sammlung schon über 60 Werke. Lesen wird die Wissenschafterin alle fiktionalen Künstlerinnenbiographien, die sie findet, zur Analyse dann bestimmte auswählen.



Bis dato finden sich in dem Korpus so unterschiedliche Frauen wie Nell Gwynne – Schauspielerin und Geliebte von Charles II –, Virginia Woolf, Frida Kahlo, Billie Holiday, Maria Callas und Alma Mahler Werfel. Was all diese Frauen eint, neben der Tatsache, dass sie herausragende Persönlichkeiten ihrer Zeit waren, ist der Beruf Künstlerin. Im Bild ist ein Buchcover eines Romans über Nell Gwynne von Susan Holloway Scott aus dem Jahr 2008 zu sehen.



Schnittstelle Öffentlichkeit

Ein Aspekt, den sie sich anschaut, ist das gespannte Verhältnis zwischen Weiblichkeit und Öffentlichkeit: "Die Ausübung von Kunst ist ja immer mit dem Schritt in die Öffentlichkeit verbunden – ob durch die Veröffentlichung von Gedichten und Romanen, Schauspiel auf der Bühne, etc. Historisch betrachtet sind es ja zumeist die Männer, die nach draußen in die Gesellschaft gehen und dort wirken; nicht so im Fall der Künstlerinnen", erklärt Julia Lajta-Novak.

Sie untersucht, wie die Leben der Protagonistinnen beschrieben und welche anderen Genres dazu eingesetzt werden, wie z.B. Bildungsroman, Romanze, historiografische Metafiktion, etc. Weiters beschäftigt sich Lajta-Novak mit Modellen weiblicher Subjektivität: "Wird Gender in den Vordergrund gerückt und werden dabei Normen kritisiert? Ist es etwas Naturgegebenes oder performativ hervorgebracht?"

Biographieforschung: junges akademisches Feld

Erst kürzlich ist die Anglistin von einem Forschungsaufenthalt am Centre for Life-Writing Research des King College London zurückgekehrt. "Es war interessant zu sehen, was sich in Großbritannien in diesem Forschungsbereich gerade tut. Doch auch in Wien steht man London um nichts nach: Erst vor ein paar Jahren wurde hier ein Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biographie gegründet." Das Projekt von Lajta-Novak ist also am Puls der Zeit, neben Methoden der modernen Biographieforschung arbeitet die Wissenschafterin mit Gendertheorien der vergangenen zwei Jahrzehnte.

Forschen und Lehren

Im aktuellen Sommersemester hält Lajta-Novak am Institut für Anglistik und Amerikanistik einen Kurs über Nell Gwynne, eine historische Künstlerin, über die fast ein Dutzend fiktionaler Biographien erschienen sind – ein enormer Fundus für die Anglistin: "Ich finde es spannend, wenn die Lehre so nah an der Forschung dran ist. Von den interessanten Diskussionen und neuen Ideen profitieren beide Seiten, sowohl die Studierenden als auch ich und meine Forschung." (td)

Das dreijährige FWF-Projekt "Fiktionale Biographien von Künstlerinnen: Gender und Genre" von Mag. Dr. Julia Lajta-Novak, M.A. läuft im Rahmen des Hertha-Firnberg-Programms und startete im Herbst 2012.