Adrian Constantin: Die Berechnung der Natur

Der Wittgenstein-Preis 2020 geht an Adrian Constantin von der Fakultät für Mathematik der Universität Wien. Die höchstdotierte wissenschaftliche Auszeichnung Österreichs will Constantin nutzen, um Wellenströmungen in der Atmosphäre zu erforschen.

Die mathematische Erforschung von Naturphänomenen ist seit vielen Jahren ein Forschungsschwerpunkt von Adrian Constantin: In seinem WWTF-Projekt "Equatorial wave-current interactions" untersucht er seit 2017 das folgenschwere Klimaphänomen El Niño. Die Auszeichnung mit dem Wittgenstein-Preis ermöglicht dem Professor am Institut für Mathematik der Universität Wien nun, einen ganz neuen Forschungsaspekt in Angriff zu nehmen: "Mich interessieren nach wie vor Wellen und Strömungen, aber nicht nur im Wasser, sondern auch in der Atmosphäre. Dass ich mich durch die Auszeichnung mit dem Wittgenstein-Preis intensiv mit dem Thema beschäftigen kann, freut mich wirklich sehr. Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein."

Bestehende Modelle von Strömungen oder Wellen sind meist stark vereinfachend und lassen viele geophysisch relevante Aspekte unberücksichtigt. Adrian Constantin möchte mit seiner Forschung diese Lücken schließen und detaillierte mathematische Beschreibungen der physikalischen Vorgänge vorlegen.  


Am Mittwoch, 17. Juni 2020, vergab der FWF die Wittgenstein- und START-Preise 2020: Österreichs höchstdotierte Auszeichnungen für wissenschaftliche Bestleistungen. Nach gleich zwei Wittgenstein-Preisen im letzten Jahr geht heuer wieder einer an die Uni Wien: an den Mathematiker Adrian Constantin. Einen START-Preis für außergewöhnliche Nachwuchswissenschafter*innen erhält die Anglistin der Uni Wien Julia Lajta-Novak (zum Artikel).

Wetter- und Klimaphänomene unter der Lupe

Naturphänomene mit Praxisbezug interessieren den Mathematiker nicht erst seit seinem WWTF-Projekt zu El Niño. Bereits im Rahmen eines ERC-Projekts von 2010 untersuchte Adrian Constantin Wasserwellen mit Wirbelverteilung, die für die Vorhersage von Tsunamis relevant sind. Constantin, der sich selbst als "reinen Mathematiker" bezeichnet, untersuchte hier den Einfluss von Strömungen auf die Wasseroberfläche. Die Forschungsergebnisse können in die Entwicklung neuer Tsunami-Frühwarnsysteme einfließen.

Bei der Erforschung des Klimaphänomens El Niño konzentriert sich Constantin auf Tiefenströmungen im Pazifik, deren Geschwindigkeit und Ausbreitung das Ausmaß von Wetteranomalien beeinflussen. Die Messdaten für die Simulationen und Modelle kommen von Kolleg*innen der Stanford University in den USA, die im Pazifik ganzjährige Forschungsschiffe betreiben. Anhand der erstellten Modelle kann zwar nicht vorhergesagt werden, wann ein El Niño auftritt, aber sie können Aufschluss darüber geben, in welcher Stärke er sich ausbreitet.

Die Verfahren, die Adrian Constantin entwickelt hat, um das Phänomen El-Niño zu berechnen, hat er Illustratorin Nana Swiczinsky im Wissensblick, dem Wissenschaftscomic der Universität Wien, erläutert. Die Illustrationen zeigen unter anderem, wie Passatwinde – und mit ihnen der Humboldtstrom – in El Niño-Jahren an Stärke einbüßen und sich warmes Wasser im westlichen Pazifik staut. (© Nana Swiczinsky/illuskills)

Der Blick in den Himmel

Dass sich Adrian Constantins wissenschaftlicher Blick verstärkt in Richtung Himmel verschiebt, hat gute Gründe: "Die Erforschung von Wellenströmungen in der Atmosphäre sind viel komplexer, weil hier zahlreiche Faktoren eine Rolle spielen. Sie ist aber auch faszinierend und vielversprechend. Durch den Wittgenstein-Preis können wir einige grundlegende Fragen in Angriff nehmen, die bisher vernachlässigt wurden."

Auch in Richtungen zu forschen, wo zu Beginn nicht klar ist, wohin sie genau führen, stellt für den Mathematiker ein Privileg dar: "So etwas ist nicht in allen Ländern möglich, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Umso mehr schätze ich es, jetzt die Zeit und die Mittel zu haben, Gastforscher*innen an die Universität Wien einladen zu können und damit auch unseren Jungforscher*innen die Zusammenarbeit mit diesen Expert*innen zu ermöglichen." (bw)

Adrian Constantin ist seit 2008 Professor an der Fakultät für Mathematik der Universität Wien. Seine Forschungsbereiche umfassen nichtlineare, partielle Differentialgleichungen im Bereich der Fluid-Bewegungen sowie daran anschließende mathematische Beschreibungen von Naturphänomenen. Seit 2010 rangiert er unter den "ISI Highly Cited Researchers" der 250 meistzitierten Wissenschafter*innen im Bereich Mathematik. Zu seinen Auszeichnungen zählen der Göran-Gustafsson-Preis der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften und der Friedrich-Wilhelm-Bessel-Preis der deutschen Humboldt-Stiftung.

Der Wittgenstein-Preis zeichnet exzellente Forscher*innen aller Fachdisziplinen, die herausragende Leistungen erbracht haben, aus. Der mit 1,5 Millionen Euro dotierte Preis garantiert ein Höchstmaß an Freiheit und Flexibilität für international herausragende Forschungsleistungen.