Gott als Kröte
| 31. Oktober 2018Ob Magie oder Blasphemie – theologische Gelehrte des Mittelalters konnten sich einiges erlauben. Für ihr Elise-Richter-Projekt ist Philosophiehistorikerin Edit Anna Lukács zu den Anfängen der Universität Wien zurückgegangen, um die Ausverhandlung des göttlichen Wissens im 14. Jahrhundert zu erforschen.
In den Antrittsvorlesungen des Mittelalters ging es hitzig zu: Neue Ideen wurden debattiert und widerlegt, Grenzen der Orthodoxie überschritten und Theologen der Häresie angeklagt. "Der Ton war höflich, aber spannungsvoll", so Edit Anna Lukács. Rund vier Jahre lang hat die Elise-Richter-Stipendiatin Vorlesungsnotizen, Disputationen, Bibelkommentare und mittelalterliche Handschriften von Gelehrten der Universität Wien analysiert.
Bücher in Ketten und verschwundene Quellen
Lukács hat eine Vielzahl an Katalogen durchforstet und über 7.000 Seiten mittelalterliche Dokumente gesichtet. Fündig geworden ist sie in Klosterbibliotheken und Buchbeständen des Collegium ducales, dem ersten Wiener Universitätsgebäude. Das heute nicht mehr existierende Bauwerk verfügte bereits Ende des 14. Jahrhunderts über einen eigenen Bibliothekssaal. Die mit Abstand größte Büchersammlung des mittelalterlichen Wiens befand sich jedoch im Dominikanerkloster: "Auch Angehörige der Universität nutzten die Bücher – das Kloster war gegenüber der Alma Mater und unweit der Bursen, also den mittelalterlichen StudentInnenheimen, gelegen", betont Lukács: "In der Klosterbibliothek waren die Wälzer zwar angekettet, dennoch wissen wir über eine Sammlung an Disputationen, die im Laufe der Jahre abhandengekommen und heute nicht mehr auffindbar ist."
"Die mittelalterlichen Dokumente sind wahre Schatzkisten", so Lukács. Die Mehrheit befindet sich mittlerweile in den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek – manchmal jedoch in einem katastrophalen Zustand. "Wir müssen die Dokumente digitalisieren und für nachfolgende ForscherInnengeneration bewahren", plädiert die junge Wissenschafterin. Im Bild: Eine von Schimmel befallene Handschrift, um 1410. (© privat)
Aussagekräftige "Kritzeleien"
Besonders fasziniert ist die Philosophiehistorikerin von den handschriftlichen Kommentaren der Gelehrten neben dem Text: "Manche dieser Dokumente sind seit Jahrzehnten nahezu unberührt, obwohl sie wertvolles Wissen bergen." Sie sind Zeugnis der mittelalterlichen Zusammenarbeit: Aus einer vorherigen Lektüre wurde ein Gedanke übernommen, neben dem Text vermerkt, bei späterer Rezeption von Kollegen aufgegriffen und weitergesponnen. "Manchmal überkam mich das Gefühl, direkt im Kopf der Professoren zu sitzen und den Duft der Tinte in der Nase aufsteigen zu spüren", schmunzelt Lukács.
Der Ideenaustausch fand aber nicht nur innerhalb der Alma Mater statt: "Die Universität Wien war schon im Mittelalter international, unterschiedliche Traditionen trafen hier aufeinander". Durch ihre präzise Quellenarbeit kann Lukács den Weg des göttlichen Wissens ziemlich genau rekonstruieren: die Thesen kamen von Oxford über Paris und Prag nach Wien (zum uni:view-Artikel "Oxforder Theologie in Wien").
Spiel mit der Wahrheit
Die theologische Theorie in Wien hat sich jedoch nicht linear entfaltet, es gab auch "Ausreißer" aus der allgemein anerkannten Lehre: Einer von Lukács spannendsten Funde ist eine Aufzeichnung des deutschen Theologen Heinrich von Langenstein, der zunächst an der Sorbonne studierte und ab 1384 an der Universität Wien unterrichtete. In einer Vorlesung bezeichnete er Gott als Kröte – ein blasphemischer Sprachakt und im Mittelalter unter Strafe. "Es war verboten, wurde aber trotzdem vorgetragen, um Studierende von der Verwendung der Philosophie in der Theologie und der Blasphemie abzuhalten. Dieses Spiel mit der Sprache und der theologischen Wahrheit hat mich fasziniert", so Lukács.
Zurück an die Anfänge der Uni Wien
Die bewegte Geschichte der Universität Wien wird übrigens nicht nur hierorts studiert: "ForscherkollegInnen in Frankreich, Deutschland und Rumänien haben Handschriften der Universität Wien entdeckt und analysiert – die Spannweite unserer Universitätsgeschichte ist unglaublich." Lukács selbst hat mittlerweile ihren Forschungsmittelpunkt nach Kanada verlegt, um als Visiting Fellow am Pontifical Institute of Mediaeval Studies der University of Toronto die Geschichte des Mittelalters aus einer anderen Perspektive zu bearbeiten.
Türen öffnen für Anschlussforschung
Der baldige Abschluss ihres Elise-Richter-Projekts ist für die junge Philosophiehistorikerin kein Ende, sondern vielmehr ein Anfang: "Meine Ergebnisse sollen Türen für andere WissenschafterInnen öffnen und ein Anreiz sein, sich mit dieser reichen Periode des Mittelalters zu beschäftigen." Es gibt noch viele Handschriften, die nur darauf warten, gelesen zu werden. (hm)
Das FWF-Projekt "Oxforder Theologie des 14. Jahrhunderts an der Universität Wien" unter der Leitung von Dr. Edit Anna Lukács vom Institut für Österreichische Geschichtsforschung wurde im Rahmen des Elise-Richter-Programms des FWF gefördert und läuft von 2014 bis 2018.