Der Güterstrom Österreichs

Bauholz, Heringe und Seide – die meisten Güter fanden im 18. Jahrhundert ihren Weg nach Wien über die Donau. Mit der Erschließung der Aschacher Mautprotokolle schaffen der Historiker Peter Rauscher und sein Team erstmals die Datengrundlage, um den Donauhandel der Frühen Neuzeit darzustellen.

"Die Zeit, mit der wir uns beschäftigen, kennt keine Handelsstatistiken", stellt Historiker Peter Rauscher fest. Anfang des 18. Jahrhunderts wurde zwar jedes vorbeifahrende Schiff an den Mautstellen registriert – die Daten wurden aber nicht systematisch aufbereitet. Seit 2013 holen Peter Rauscher und Andrea Serles vom Institut für Österreichische Geschichtsforschung der Uni Wien diese Aufgabe nach. Sie digitalisieren in Kooperation mit dem Oberösterreichischen Landesarchiv die größte Sammlung noch erhaltener Mautregister und können so erstmals detaillierte Einblicke in den Donauhandel des frühen 18. Jahrhunderts geben.

Mehr als 30 Bände, jeweils zwischen 900 und 1300 Seiten dick, bearbeiten Rauscher und sein Team: Datum, Schiffsführer und Ladung jeder Fahrt zwischen 1706 und 1740 werden in einer Online-Datenbank erfasst, die von Beate Pamperl vom Institut für Geschichte programmiert wurde. Das vom FWF geförderte Quelleneditionsprojekt leistet auf seinem Gebiet Pionierarbeit und schafft so neues Datenmaterial für viele Fachbereiche, von der migrations- über die militär- bis hin zur handelsgeschichtlichen Forschung.

Marmor und Bauholz für die Städte

"Die Aufzeichnungen der großen kaiserlichen Mautstellen in Linz, Stein an der Donau oder Wien sind nicht mehr überliefert", bedauert Rauscher. Dass die Aschacher Bücher noch erhalten sind, verdanken die ForscherInnen dem Umstand, dass die Maut bis 1775 in Privatbesitz war. Die Bücher überdauerten so im Depot des Grafen von Harrach und ermöglichen es nun, neue Erkenntnisse über den Regional- und Fernhandel im barocken Habsburgerreich zu gewinnen.

Denn auch im frühen 18. Jahrhundert war der Handel bereits global organisiert. Tigerfelle aus Indien oder Farbholz aus Amerika kamen über die Ozeane in große Hafenstädte wie Hamburg oder Amsterdam und von dort dann bis nach Nürnberg, Augsburg oder Regensburg – den damaligen Handelsmetropolen im Süden des Heiligen Römischen Reichs. Dort sorgte die lokale Kaufmannschaft für den Weitertransport über die Donau, der Hauptroute des Güterverkehrs.

Der Magen der Habsburgermonarchie

Das Ziel der meisten Ladungen aus dem süddeutschen Raum, Italien oder Übersee waren Linz, Krems und Wien. Die großen Jahrmärkte zogen viele Kaufleute an, denn "an diesen Orten vollzog sich der Fernhandel", wie Rauscher erklärt, "wobei Wien, schon aufgrund des Kaiserhofs, eine Sonderstellung hatte."

Nach der Eroberung des osmanischen Ungarn wurde die Festungsstadt Wien zur Stadt der adeligen Hofgesellschaft und wuchs beständig. Bis 1700  wuchs Wien zur mit Abstand größten Stadt des gesamten Reiches mit einer immens hohen Nachfrage nach Gütern aller Art, wie Rauscher berichtet:  "Ob Baumaterial, Goldknöpfe oder Heringe – während in Linz und Krems Waren getauscht wurden, wurden sie in Wien konsumiert. Die Stadt war quasi der Magen Mitteleuropas."

Österreichischer Protektionismus

Ob Marmorlieferungen für die Wiener Karlskirche, Gämsen für die Menagerie des Prinzen Eugen oder Biber für fastende Christen – jede Fahrt wurde mitsamt Ladung und Eigentümer in Aschach notiert und wird so für die HistorikerInnen nachvollziehbar. Biber etwa galten in der damaligen Zeit als Fisch und waren neben Heringen eine beliebte Fastenspeise.

Obwohl noch viele Daten auf die Bearbeitung warten, zeigt sich bereits jetzt eine Tendenz: Die Gesamtanzahl der Lieferungen über die Donau sinkt im Laufe der ersten Hälfte des untersuchten Zeitraums. Einen möglichen Grund sieht Rauscher in der österreichischen Wirtschaftspolitik: "Im frühen 18. Jahrhundert versuchte der Kaiser die heimische Wirtschaft zu stärken und Importe zu beschränken. Ab 1720 beginnen die deutschen Städte zu klagen, dass der österreichische Markt aufgrund von Zollschranken teilweise wegbricht."

Das Team des Projekts: Peter Rauscher (Institut für Österreichische Geschichtsforschung), Beate Pamperl (Institut für Geschichte) und Andrea Serles (IÖG). (© privat)

Handelsgeschichte neu

Die Auswirkungen der habsburgischen Wirtschaftspolitik auf das Handelsaufkommen an der Donau erforscht Andrea Serles in ihrer Dissertation. Rauscher selbst möchte im Anschluss an die Erschließung der Mautbücher das Personennetzwerk und die Geschichte der Händler in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellen. Denn dank des Projekts sind nicht nur die Güterströme erstmals quantitativ fassbar, sondern auch wer diese Güter gehandelt hat.

"Aus der Handelsgeschichte der Frühen Neuzeit weiß man viel über Hafenstädte wie Hamburg und Amsterdam. Wie die Heringe aus Norwegen über Hamburg nach Wien gekommen sind, ist bisher aber weniger gut erforscht", erklärt Rauscher. Diese Lücke können er und sein Team mithilfe der Aschacher Mautprotokolle nun schließen. (pp)

Das vom FWF geförderte Projekt "Die Aschacher Mautprotokolle (1706–1740): Datenbank und Analyse" läuft unter der Leitung von PD Mag. Dr. Peter Rauscher vom Institut für Österreichische Geschichtsforschung an der Universität Wien und der Mitarbeit von Mag. Andrea Barbara Serles von 1.09.2017 bis 31.10.2020. Es ist Teil des 2013 begonnenen Langzeitprojekts "Der Donauhandel in der Frühen Neuzeit – Erschließung und Analyse der Aschacher Mautregister".