Musik war sein Hobby

Der jüngste Sohn Maria Theresias, Kurfürst Maximilian Franz, war ein großer Musikliebhaber. 3.500 Werke umfasste seine Notensammlung, über die bislang kaum etwas bekannt ist. Drei MusikwissenschafterInnen der Universität Wien nehmen sich dieser Forschungslücke in zwei FWF-Projekten an.

Musik lag im ausgehenden 18. Jahrhundert in der Bonner Luft. Der Kölner Kurfürst und Erzbischof Maximilian Franz, jüngster Sohn Kaiserin Maria Theresias und selbst Musiker, gilt nicht nur als der erste wichtige Förderer von Ludwig van Beethoven, sondern sammelte in seiner Bonner Residenz mit großer Leidenschaft die neuesten Musikwerke – seine Bibliothek umfasste rund 3.500 Werke.

Maximilian Franz von Österreich (1756–1801), der jüngste Sohn Maria Theresias, war von 1784 bis 1801 Kurfürst sowie Erzbischof von Köln und Fürstbischof von Münster mit Sitz seines Hofes in Bonn. (© Wikipedia/gemeinfrei)

"Obwohl Maximilian in der Musikgeschichte recht prominent ist, ist über seine Musiksammlung bislang nur wenig bekannt", sagt Birgit Lodes, Musikwissenschafterin an der Universität Wien. Gemeinsam mit ihren ProjektmitarbeiterInnen John David Wilson und Elisabeth Reisinger möchte sie das ändern: Seit 2013 widmen sich die drei WissenschafterInnen in zwei FWF-Projekten der Musikbibliothek des Kurfürsten.

Papierberge an Musik


1794, kurz vor der Besetzung Bonns, wurde Maximilians Sammlung vor den französischen Truppen in Sicherheit gebracht. Der Hauptteil der Werke landete über dynastische Erbwege schließlich in den 1830er Jahren in der norditalienischen Stadt Modena. "Leider sind die Werke in der Biblioteca Estense mit den dortigen Beständen verschmolzen und wurden nicht extra gekennzeichnet", berichtet Projektmitarbeiter und Musikwissenschafter John David Wilson von den Rechercheschwierigkeiten: "Unsere Hauptaufgabe bestand also zunächst einmal darin, die Bonner Stücke überhaupt zu erkennen und ihrer Herkunft zuzuordnen."

Die Musiksammlung von Maximilian Franz wurde 40 Jahre lang quer durch Europa transportiert, bevor sie letztendlich in Modena landete, wo sie sich noch heute befindet. (© John David Wilson)

Die kurfürstliche Sammlung als Datenbank

Wie sieht eine Partitur aus Bonn aus und wie ihr Einband? Gibt es eine bestimmte Signatur oder ein typisches Wasserzeichen? Um eine handschriftenkundliche Untersuchungsmethode zu entwickeln, arbeiteten sich John David Wilson und Elisabeth Reisinger in Norditalien allein bei der Suche nach den Opern durch unzählige Mappen, Kartons und schließlich über 21.000 Blätter. Doch der Aufwand hat sich gelohnt: In einer frei zugänglichen Online-Datenbank wurden im Rahmen des ersten Projekts, das sich ausschließlich den Opern widmete, knapp 90 aus Bonn stammende Handschriften sowie ergänzend dazu an die 230 Opernaufführungen am Bonner Hoftheater umfassend dokumentiert.

Das Bonner Publikum war offen für Neues

"Anhand der vielfältigen Quellen konnten wir die Opernspielpläne des Hoftheaters rekonstruieren und die institutionellen Rahmenbedingungen bestimmen. Auch zeigen sich durch Bearbeitungen im Aufführungsmaterial dessen Anpassung an die lokalen Gegebenheiten sowie verschiedene ästhetische Präferenzen. Auf diese Weise ergibt sich ein gutes Bild der Bonner Hofopernpraxis im späteren 18. Jahrhundert", berichtet Projektmitarbeiterin Elisabeth Reisinger. Deutlich wird: Bonn befand sich im Bereich der Oper, aber auch generell im Musikleben, am Puls der Zeit.

"Selbst Stücke, die zeitgenössisch auf Grund ihrer Komplexität als schwierig galten – etwa die späten Mozartopern –, wurden in Bonn gut aufgenommen. Im aufgeklärten Bonn gab es ein Publikum mit einem ausgesuchten musikalischen Geschmack", ergänzt John David Wilson.

Die Universitätsbibliothek Wien veranstaltet im Rahmen von "20 Jahre Uni Wien Campus" die Reihe "Erlesenes Erforschen". Am Mittwoch, 23. Mai, stellen Birgit Lodes, Elisabeth Reisinger und John David Wilson sowie Christine Siegert vom Beethoven-Haus Bonn zwei soeben erschienene Bücher zu Beethoven und der Musikbibliothek Maximilians vor. Zudem werden einige Arien und frühe Klaviervariationen von Beethoven erklingen. Es musizieren Jerilyn Chou und Alfredo Ovalles. Mehr Informationen

Von der Opern- zur Kirchenmusik

Aufbauend auf der im ersten Projekt gewonnenen Expertise führen Birgit Lodes und ihr Team aktuell ein Nachfolgeprojekt zu den geistlichen Musikquellen in der Musikbibliothek Maximilian Franz' durch. Wobei es DIE Musikbibliothek des Kurfürsten gar nicht wirklich gab: "Die Sammlung erfüllte unterschiedliche Funktionen und wurde daher auch an mehreren Orten aufbewahrt. Das Material für die Oper befand sich am höfischen Theater. Aber auch Stücke aus der persönlichen Bibliothek des Kurfürsten wurden für Aufführungen entlehnt. Die Kirchenmusik-Werke hingegen gehörten der Hofkapelle und wurde auch gesondert in der Hofkirche aufbewahrt", erläutert Lodes. Die ForscherInnen konnten nachweisen, dass in Modena noch 86 Prozent des Kirchenmusikbestandes des Bonner Hofs vorhanden sind – insgesamt mehr als 365 Werke. Ein wirklicher Glücksfall für die Musikwissenschaft.

"Das Material ist einmalig. Es ermöglicht uns, grundlegende Erkenntnisse über die kirchenmusikalische Praxis am Hof zu gewinnen: Was wurde wann von wem gespielt, wie wurde hier ein geistlicher Herrscher in der Musik repräsentiert? Spannend ist für uns auch die Frage, wie die Hofmusiker, etwa Beethoven, durch die religiösen und ästhetischen Haltungen am Hofe geprägt wurden", beschreibt John David Wilson das Forschungsinteresse.

Der kurfürstliche Hof brachte jährlich einen Hofkalender in Deutsch und Französisch heraus. Der Ausschnitt zeigt einige Musiker, die im Jahr 1789 ein Gehalt vom Hof bezogen. (© Beethoven-Haus Bonn)

Wenn Beethoven schummelt

Das nach eigener Aussage "wunderbare Team" und die Möglichkeit einer Rekonstruktion der Musikpraxis des ausgehenden 18. Jahrhunderts begeistern die MusikwissenschafterInnen nach wie vor an ihrer Arbeit. Vor allem, wenn sie dabei zuweilen auf Kurioses stoßen: John David Wilson fand heraus, dass Beethoven einige seiner Werke falsch datiert hat. "Manche Kompositionen entstanden gar nicht so früh, wie er uns weiß machen möchte. Vielleicht hat er sich ein bisschen dafür geschämt, dass er in seinen früheren Bonner Jahren nicht so produktiv war und hat daher beim Datum etwas geschummelt", schmunzelt der Forscher.

Dem Wiener Team vom Institut für Musikwissenschaft ist es wichtig, dass andere ForscherInnen auf ihrer Arbeit aufbauen können. "Unsere Datenbank und auch der gedruckte Katalog bieten viele Möglichkeiten für weitere Forschungen, beispielsweise für die Beethoven- oder Hofmusikforschung", freut sich Birgit Lodes. So wie für die Opernquellen werden im Laufe dieses Jahres auch für den umfangreichen Bestand an Kirchenmusik eine Online-Datenbank sowie ein Katalog entstehen. (mw)

Veranstaltungstipp: Am Samstag, 16. Juni, veranstaltet das Institut für Musikwissenschaft der Uni Wien einen Tag der offenen Tür. Ob Spannendes aus der musikalischen Akustik, der Musikgeschichte und der Ethnomusikologie: BesucherInnen können die faszinierende Welt des Hörens entdecken, Schwingungen visualisieren, interaktiv komponieren, körperliche Reaktionen auf Musik und Geräusche beobachten. Zum Programm

Das FWF-Projekt "Die Opernbibliothek von Kurfürst Maximilian Franz (1780–1794)" lief von Jänner 2013 bis Juni 2017. Projektleiterin war Univ.-Prof. Dr. Birgit Lodes, ProjektmitarbeiterInnen Dr. John David Wilson und Mag. Dr. Elisabeth Reisinger, BA, alle drei vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit PD Dr. Juliane Riepe (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) und dem Beethoven-Haus Bonn durchgeführt. Das Nachfolgeprojekt "Die Musikbibliothek von Kurfürst Maximilian Franz: Identifizierung der erhaltenen geistlichen Musikquellen samt einer Rekonstruktion ihrer Verwendung, 1784–1794" wird ebenfalls vom FWF gefördert und läuft von Juni 2016 bis November 2018.