Zusammenarbeit wirkt: "Feinstaub verändert unser Klima"

Klimawandel, Feinstaub oder COVID-19 – die Erforschung winziger Aerosole liefert die wissenschaftliche Grundlage für viele Herausforderungen unserer Zeit. Im Interview erklären Uni Wien Physikerin Bernadett Weinzierl und Absolvent Gerhard Steiner ihre gemeinsame Forschung an der "Grenze des Messbaren".

Kurz gesagt:

- Forschung wirkt: Wissenschaftliche Ergebnisse liefern die Grundlage für konkrete Maßnahmen.

- Beispiel Klimaforschung: In den Tropen hat die Beeinflussung der Wolkenbildung durch kleine Partikel einen kühlenden Effekt auf das Klima – ein bisher unerkannter Effekt, welcher die Vorhersagen einer Vielzahl von Klimamodellen verzerrt.
 
- Forschung in der Krise: Die außergewöhnlichen Umstände in Krisenzeiten wirken sich oftmals positiv auf die Klimaforschung aus, da Vorher-Nachher-Werte erhoben werden können.

uni:view: Aerosolphysik trifft Industrie – wie sieht Ihre Kooperation aus?
Gerhard Steiner:
Ich bin an der Entwicklung von Messgeräten der Firma GRIMM beteiligt, die winzige Schwebeteilchen in der Luft bestimmen können. Die Messgeräte sind zum Beispiel in der chilenischen Wüste, im Kosovo, auf dem deutschen Forschungsschiff Meteor, aber auch in der Aerosolphysik und Umweltphysik Gruppe der Universität Wien im Einsatz.

Bernadett Weinzierl: Mein Team an der Universität Wien und ich stehen im intensiven Austausch mit der Industrie – wir nutzen die Geräte für unsere Forschung, liefern wichtigen Input für die Weiterentwicklung oder wenden die Technik in Bereichen an, für die sie so gar nicht vorgesehen war. Ein Beispiel: Als vor rund zehn Jahren der isländische Vulkan Eyjafjallajökull ausbrach, konnten wir schnell reagieren und mit unserer Messtechnik ausmachen, wieviel Vulkanasche tatsächlich in der Luft war.

Klimaforschung gegen Feinstaub


uni:view: Wo können Sie im täglichen Leben den Einfluss Ihrer Arbeit beobachten?
Steiner:
Wenn wir die Eigenschaften von Aerosolpartikeln messen, können wir den Lebenszyklus von Aerosolpartikeln verstehen. In der Aerosolphysik und Umweltphysik Gruppe an der Universität Wien ist gerade ein Nationales Observatorium für urbane Aerosolmessungen im Rahmen der pan-europäischen Forschungsinfrastruktur ACTRIS (Aerosol, Clouds and Trace gases Research Infrastructure) im Entstehen, in der auch unsere Geräte verbaut werden und die wir gemeinsam "tunen". Wir verbessern mit unserer Arbeit die Luft zwar nicht direkt, liefern aber die Basis für Entscheidungsträger*innen, damit entsprechende Maßnahmen getroffen werden können.

Weinzierl: Die Verteilung der Aerosole hat auch einen Effekt auf das Klima. In Kooperation mit der Harvard University, der NASA, NOAA und weiteren US-Institutionen haben wir über drei Jahre hinweg die Atmosphäre – von der Arktis bis zur Antarktis – aus dem Forschungsflugzeug heraus untersucht. In den Tropen konnten wir kleine Partikel aufspüren, die nach ihrer Entstehung in hohen Höhen absinken und als Kondensationskeime die Eigenschaften von Wolken in niedriger Höhe beeinflussen. Diese Beeinflussung der Wolken wirkt sich kühlend auf das Klima aus – ein Effekt, der in Modellen bis dato nicht mitberücksichtigt wurde. Ergo: Die tatsächliche Klimaerwärmung ist noch stärker, als wir bisher dachten. (Mehr zu den Messflügen der Universität Wien)

Wirkt. Seit 1365.
Die Universität Wien kooperiert in der Forschung mit Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Ihre Lehre bereitet jährlich rund 10.000 Absolvent*innen auf ihre Berufslaufbahn vor und regt sie zu kritischem Denken und selbstbestimmtem Handeln an. Mit dem Themenschwerpunkt "Wirkt. Seit 1365." zeigen wir Ihnen in verschiedenen Beiträgen, was die Universität Wien für unsere Gesellschaft leistet.

Klimaforschung in der Coronakrise


uni:view: Wie Aerosole transportiert werden, ist auch für die Verbreitung des Coronavirus relevant. Inwiefern trägt Ihre Forschung zu Fragestellungen rund um COVID-19 bei?
Steiner:
Wir können natürlich wenig über das Coronavirus an sich sagen, können aber die Größe der Tröpfchen und Partikel einschließlich Viruspartikel bestimmen. Die Aufenthaltszeit der Viruspartikel in der Luft hängt von ihrer Größe ab. Zum Beispiel braucht ein 100 nm Partikel (was in etwa der Größe des Coronavirus entspricht) etwas mehr als 300 Stunden, um ein Meter abzusinken, wohingegen ein 1000 nm Partikel für die gleiche Strecke nur noch siebeneinhalb Stunden braucht. Messtechnik aus der Aerosolphysik wurde beispielsweise auch genutzt, um die Wirksamkeit von Masken bzw. den unterschiedlichen Materialien für Masken zu testen.   

Weinzierl: Andersrum trägt die Coronakrise aber auch dazu bei, wissenschaftliche Fragestellungen aus unserem Bereich zu lösen. Beispielsweise lassen sich durch das verringerte Flugaufkommen rund um den Lockdown Vorher-Nachher-Werte erheben, mit denen auf die Effekte des Luftverkehrs geschlossen werden kann. Krisen haben der Klimaforschung auch in der Vergangenheit schon Fortschritte gebracht, so wurden nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl die Modelle für den atmosphärischen Transport von Luftmassen verbessert – dadurch, dass die Quelle für radioaktive Stoffe bekannt war, die normalerweise nicht in der Natur vorkommen, konnten die Transportwege sehr genau nachgezeichnet werden.  

uni:view: Inwiefern profitieren Ihre Studierenden an der Universität Wien von dem Praxisbezug Ihrer Forschung?
Weinzierl:
Studierende sind bei Messkampagnen dabei und sammeln hands-on Erfahrungen mit der neusten Technik. Bei unserer zweijährigen Summer School "Basic Aerosol Science" treffen sie auf unsere Industriepartner*innen, internationale Experte*innen aus dem Bereich der Aerosolphysik sowie auf Doktorand*innen anderer Universitäten, können sich ein Netzwerk aufbauen und lernen Fragestellungen aus der Praxis kennen.

Warum Physik an der Universität Wien studieren?
An der Universität Wien erhalten Studierende eine breite und wissenschaftlich fundierte Grundausbildung auf dem Gebiet der Physik und ihrer Anwendungen. Methoden physikalischen Experimentierens, die theoretische Beschreibung oder die computergestützte Modellierung physikalischer Zusammenhänge und Prozesse gehören zum Alltag von Physik-Student*innen. Im Rahmen von Humans of University of Vienna erzählt Sophie, was das Physik-Studium an der Uni Wien für sie ausmacht.


uni:view: Inwiefern können Sie bei Ihrer jetzigen Tätigkeit auf Ihr Studium an der Universität Wien zurückgreifen?
Steiner:
Ich habe den Vorteil, dass ich beide Seiten kenne – die Wissenschaft, aber auch die Industrie. Mit unseren Geräten gehen wir immer wieder an die Grenzen des Messbaren. So ist es uns gelungen, wegbereitende Technik hervorzubringen, mit der wir Partikel ab 1,1 Nanometer erfassen können. Zum Vergleich: Ein Nanometer entspricht 1/100000 eines dünnen Haares. Das wäre ohne meine wissenschaftliche Ausbildung natürlich nicht möglich gewesen. Mit ultrafeinen Partikeln habe ich mich während meiner Forschungszeit an der Uni Wien beschäftigt – in unseren Geräten steckt eine Menge Uni Wien Know-How!

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (hm)

Bernadett Weinzierl ist Professorin für Aerosol- und Cluster Physics, Aerosol Physics und Environmental Physics an der Universität Wien. In ihrem ERC-Projekt "A-LIFE" untersucht sie absorbierende Aerosolschichten und die Wechselwirkung zwischen der Absorption von Aerosolen und ihrer Lebenszeit.

Gerhard Steiner ist Absolvent der Universität Wien und senior scientist bei GRIMM Aerosol.