Willkommen in der Dekade der Ozeanforschung

Schiff Ozeanforschung

Von 2021 bis 2030 haben die Vereinten Nationen die "Dekade der Ozeanforschung" ausgerufen. Meeresbiologe Gerhard J. Herndl erklärt in seinem Gastbeitrag zur Semesterfrage 2021, warum Ozeane auch für ein Binnenland wie Österreich bedeutend sind.

In der Dekade der Ozeanforschung sollen die Grundlagen zum nachhaltigen Schutz der Ozeane erarbeitet werden. Die Initiative der Vereinten Nationen möchte die internationale Zusammenarbeit in der wissenschaftlichen Erforschung der Ozeane zu stärken, um so die Ziele der "2030 Agenda für Nachhaltige Entwicklung" zu erreichen.

Innovative Technologien sollen dabei ermöglichen, die Prozesse in den Tiefen der Ozeane zu erforschen und die Erkenntnisse mit einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft in Einklang zu bringen. Das Ziel ist eine ganzheitliche Nachhaltigkeit: Innerhalb der zehn Jahre sollen die UN-Ziele zum Schutz des Ozeans und dessen Ressourcen erreicht und auch die Erhaltung der maritimen Biodiversität gewährleistet werden. Ein wichtiges Anliegen der UN ist außerdem, dass die Ozeanforschung allen Nationen dient.

Warum sind Ozeane auch für ein Binnenland wie Österreich von Bedeutung?

1. Ozeane reduzieren die globale Erderwärmung
Die Ozeane bedecken mehr als 70 % der Erdoberfläche und haben als großer Wärme- bzw. Kältespeicher außerordentliche Bedeutung für das Klima der Erde. Seit 1970 haben die Ozeane mehr als 95 % der durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe entstandenen Erderwärmung aufgenommen. Ohne diese Wärmeaufnahme des Ozeans wäre der Temperaturanstieg an Land noch viel höher. Durch diesen Ausgleich kommt es in den Ozeanen allerdings immer häufiger zu marinen Hitzewellen, sodass in bestimmten Meeresregionen die Temperatur des Oberflächenwassers auf über 30°C ansteigt. Dies führt in tropischen Korallenriffen zu einem großflächigen Absterben von Korallen, wie es am Great Barrier Reef vor Australien zu beobachten war. Gegenwärtig gelten nur mehr ungefähr 30 % aller tropischen Korallenriffe als intakt. Die Erwärmung der Ozeane und die Gletscherschmelze werden auch massive Auswirkungen auf die Meeresströmungen haben, die unser europäisches Klima maßgeblich bestimmen.
 
2. Plastik aus den Weltmeeren gelangt in unsere Nahrung
Die Zunahme der Plastikproduktion über die letzten Jahrzehnte hat zu einer Akkumulation von Plastik im Meer geführt. Gegenwärtig gelangen etwa acht Millionen Tonnen Plastik pro Jahr ins Meer. An der Wasseroberfläche findet sich allerdings nur ca. 1 % des Plastiks, der überwiegende Teil sinkt als Mikroplastik durch die Wassersäule zum Meeresboden. Mikroplastik wird von tierischem Plankton und filtrierenden Organismen, wie Muscheln, aufgenommen. Plastikrückstände findet man in fast allen Meeresorganismen, auch in Meeresfischen. Mikroorganismen sind zwar in der Lage, Plastik im Meer abzubauen, allerdings sind – wie Untersuchungen zeigen – deren Abbauraten viel geringer als die Eintragsraten von Plastik ins Meer.

Jedes Semester stellt die Universität Wien eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. Die Semesterfrage im Sommersemester 2021 lautet: "Was machen wir Menschen mit der Erde?" 

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3. Viele Fischarten sind vom Aussterben bedroht
Obwohl die Weltbevölkerung nur 2 % ihrer Nahrung aus dem Meer bezieht, sind über 80 % aller für die Fischerei interessanten Fischarten im Mittelmeer gefährdet. Im Nordatlantik sind über 40 % aller Fischarten vom Aussterben bedroht.
 
4. Die EU plant den Abbau seltener Metalle am Meeresboden
Viele große Meeres-Anrainerstaaten, aber auch die Europäische Union, planen am Grund der Ozeane den Abbau von auf dem Land mittlerweile selten gewordenen Metallen. Von besonderem Interesse sind hier Manganknollen, vor allem wegen ihrer hohen Gehalte an Kupfer, Nickel und Kobalt. Die Massivsulfide am Tiefseeboden sind reich an Kupfer und Zink, aber auch an Gold und Silber, neben Wismut und Selen. Autonome Fahrzeuge, riesigen Mähdreschern ähnlich, sollen diese Erzknollen vom Meeresboden aufsammeln. Dadurch werden die am Tiefseeboden lebenden Organismengemeinschaften zerstört. Tiefseeorganismen wachsen äußerst langsam – Versuche zeigten, dass auch nach 20 Jahren ein einmal zerstörter Tiefseeboden nicht wieder besiedelt ist.

Gerhard J. Herndl leitet die Doctoral School of Ecology and Evolution – eine von 14 neuen Doktoratsschulen, die im Herbst 2020 an der Uni Wien gestartet sind. "Die neuen Doktoratsschulen entsprechen internationalen Standards und werden höchsten Qualitätsansprüchen gerecht", so Jean-Robert Tyran, Vizerektor für Forschung und Internationales an der Universität Wien.


5. Der Anstieg des Meeresspiegels führt zu Flüchtlingsströmen
Der Klimawandel verändert die Lebensgemeinschaften in den Ozeanen – für den Nordatlantik ist dies bereits wissenschaftlich gut dokumentiert: Man spricht von einer "Tropikalisierung" des Nordatlantiks. Die Erwärmung der Ozeane, das Abschmelzen des Meereises in den Polarregionen und der Gletscher Grönlands werden den Meeresspiegel in manchen Regionen der Erde bis 2100 um bis zu 90 cm ansteigen lassen. Klimaänderungen und der Meeresspiegelanstieg werden Menschen zwingen, ihre Heimatregionen zu verlassen.

Warum braucht es die Dekade der Ozeanforschung?

Die Dekade der Ozeanforschung ist dringend notwendig, da sie die rücksichtlose Ausbeutung der Ozeane verhindern und stattdessen zu einer nachhaltigen Nutzung führen soll. Durch die Etablierung eines Informationsportals wird der Technologietransfer intensiviert, außerdem ist ein Ozeanbeobachtungssystem in allen Ozeanbecken geplant. Durch die verstärkte internationale Zusammenarbeit soll ein vertieftes Verständnis für marine Ökosysteme realisiert werden.

Gerhard J. Herndl ist Professor für Meeresbiologie am Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie. Die Arbeitsgruppe um Gerhard J. Herndl, die die Veränderungen des arktischen Ozeans untersucht, ist Bestandteil eines internationalen EU-Forschungsprojekts. (© Alexander Bochdansky)