Willkommen im Wandel
| 08. November 2013Frisch aus der Druckerpresse: die neue Ausgabe des Alumni-Magazins "univie". Wir bringen als Kostprobe einen Ausschnitt aus dem Titelthema "Alternde und vielfältige Gesellschaft": WissenschafterInnen und AbsolventInnen der Universität Wien sprechen über eine Gesellschaft im Wandel.
Wo sind Sie der kulturellen Vielfalt zuletzt bewusst begegnet? Im türkischen Supermarkt ums Eck, beim Arzt, der ein Inder ist, im Gespräch mit der slowakischen Frisörin, oder einfach beim Mithören eines Gesprächs junger MigrantInnen in der Straßenbahn? "In Wien spürt man die Vielfalt eigentlich permanent im Alltag", stellt Christoph Reinprecht, Migrationssoziologe an der Universität Wien, fest.
Nahezu jede/-r zweite WienerIn verfügt heute über einen Migrationshintergrund, sprich ist im Ausland geboren oder hat Eltern, die im Ausland geboren wurden. Für Wien sei das eine Chance, wieder eine Qualität als Stadt zu entwickeln, die verloren war, sagt Reinprecht und spielt damit auf die Zeit Wiens während der Monarchie an, als über 50 % der Bevölkerung aus Zugewanderten bestand. Seit 1989, mit dem Fall des Eisernen Vorhangs, hat Wien wieder massiv an Vielfalt gewonnen. Im Unterschied zu Städten wie Paris oder London sei die Vielfalt in der Stadt aber weniger sichtbar als vielmehr hörbar – an den unterschiedlichen Sprachen, die uns im Alltag umgeben, so Reinprecht.
Faktor Vielfalt
Wie sich Städte mit ihrem kommunalen Angebot auf die vorhandene Vielfalt einstellen, untersucht der Soziologe aktuell in einem Forschungsprojekt mit dem Österreichischen Städtebund. In Regionen wie dem Rheintal in Vorarlberg, die eine lange Tradition an migrantischer Arbeiterschaft haben, sei das Bewusstsein der Kommunalverwaltungen, ihr Angebot auf die Zugewanderten zuzuschneiden, bereits vorhanden. "Es ist interessant wie leichtfüßig und selbstverständlich diese Thematik in die Sozialplanung integriert wird, das funktioniert in Klein- und Mittelstädten manchmal besser als in der Großstadt", meint Reinprecht. Konkret sollten öffentliche Einrichtungen gemeinsam mit Wohlfahrtsverbänden wie Caritas oder Volkshilfe und lokalen Akteuren, auch ethnischen Vereinen, vor Ort flexible Strukturen entwickeln – und damit Zugewanderten den Zugang erleichtern.
Was Anbieter sozialer Dienste in Bezug auf Migration und Alter jedenfalls beherzigen sollten, sei die Tatsache, dass sie es nicht nur mit dem Individuum zu tun haben, sondern mit dem Individuum und seiner sozialen Einbettung, gibt der Soziologe zu bedenken. Im Krankenhaus sehe man die soziale Einbettung der PatientInnen besonders deutlich – etwa wenn die erweiterte Familie im Krankenzimmer sitzt oder ÄrztInnen aufgrund sprachlicher oder kultureller Barrieren nicht direkt mit den PatientInnen sprechen können, aufgrund sprachlicher oder kultureller Barrieren. Durch die Hintertür kämen auf diese Weise Impulse herein, die positiv auf die Institution als Ganzes wirken können. "Angestoßen durch Migration kommt es zu neuen Entwicklungen, die letztlich dem gesamten System gut tun", so Reinprecht.
Innovation durch Vielfalt
Mit Innovation durch die migrantische Stadtbevölkerung beschäftigen sich auch Ayse Caglar und ihr Team. Im Projekt "Cityscalers" geht die Kultur- und Sozialanthropologin Zusammenhängen von kultureller Vielfalt, Migration und urbanen Veränderungsprozessen nach. Welche Rolle nehmen unterschiedliche MigrantInnen in der Positionierung von Städten im globalen Wettbewerb ein? "MigrantInnen spielen für die Aufwertung der Städte eine wichtige Rolle", berichtet Florian Huber, der als Postdoc im Projekt mitarbeitet.
Konkret sehe man das im Wiener Brunnenviertel in Ottakring, wo insbesondere Unternehmen der Kreativwirtschaft eine wichtige Rolle zukommt. "Die Frage ist: Ab wann setzen Gentrifizierungsprozesse ein, wo Verdrängung stattfindet? Da MigrantInnen in allen Schichten vertreten sind, können sie Gentrifizierungsprozesse auslösen, aber auch selbst verdrängt werden", gibt Huber zu bedenken.
Während im Brunnenviertel um den Yppenplatz in Ottakring weitgehend ein friedliches Nebeneinander zwischen Gruppen mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen, den alteingesessenen WienerInnen und dem jungen Publikum der hippen Lokalszene herrscht, sei es im Bereich des Karmelitermarktes im zweiten Bezirk bereits zu Verdrängung gekommen, so Huber. "Wien hat aber eine lange Geschichte des gemeinnützigen und sozialen Wohnbaus. Im Unterschied zu Städten wie London oder New York ist die Dynamik dieser Prozesse daher deutlich langsamer."
Mit Interesse schaut der Stadtforscher auf Wiens neu entstehende Stadtviertel rund um den Hauptbahnhof oder die Seestadt Aspern. Für ihn gibt es in Wien gute Beispiele, wie es gelingen kann, Diversität zur Normalität zu machen.
Zuwanderung prägt
"Nicht nur im historischen Rückblick war Wien eine Stadt, wo sich Wege kreuzen. Wien ist Standort internationaler Firmenzentralen, was sich positiv auf die Stadt auswirkt. Dadurch widersteht sie auch einem einseitigen ‚diversity branding‘ mit einer einheitlichen Auffassung von MigrantInnen. Stattdessen findet sich in Wien eine breite Vielfalt von ‚Newcomers‘, die auf unterschiedliche Weise einen Beitrag zur Entwicklung und zur Positionierung der Stadt leisten", meint Projektleiterin Ayse Caglar. Weiterlesen...
WEITERLESEN: Mehr über Zuwanderung, Alterung der Gesellschaft und "Kinder in der Krise" in der Gesamtversion des Artikels "Wie Wandel wirkt" im aktuellen univie, dem Magazin des Alumniverbandes der Universität Wien. LESEN SIE AUCH: Die Redaktion von uni:view, der Online-Zeitung der Universität Wien, hat wie immer den Bereich "UNIVERSUM" im Alumni-Magazin mitgestaltet. Lesen Sie hier unseren Gastbeitrag: "Spiel und Wirklichkeit" |
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