Wie gerne leben Sie in Wien?
| 16. Mai 2013"Da bin i, da bleib i, in Wien möcht i sterbn" heißt ein altes Lied des Wiener Volkssängers Carl Lorens. Doch wie zufrieden sind die WienerInnen mit ihrer Lebens- und Arbeitssituation heutzutage? Dieser Frage gehen die Soziologen Roland Verwiebe und Tobias Troger in einer aktuellen Studie nach.
"Europaweit einzigartig": So bezeichnet der Soziologe Roland Verwiebe das Design der repräsentativen Studie, die er gemeinsam mit Tobias Troger, Bernhard Riederer und Caroline Berghammer in Kooperation mit der Stadt Wien durchführt. 8.000 WienerInnen (mit Hauptwohnsitz) ab 16 Jahren werden im Rahmen der Studie telefonisch interviewt. "Der Umfang des Samples ist enorm: Gewöhnlich werden in Umfragen für ganz Österreich maximal 10.000 Personen befragt", erklärt Roland Verwiebe, seit August 2011 Vorstand des Instituts für Soziologie der Universität Wien.
Umwelt, Sicherheit, Wohnen
Etwa 5.000 Interviews haben die SoziologInnen bereits ausgewertet. Die Ergebnisse sind vorläufig, es lässt sich aber bereits eine deutliche Tendenz feststellen: Die Zufriedenheit mit der Lebensqualität in Wien ist hoch. Von den bisher Befragten leben 69 Prozent sehr und 29 Prozent gerne in Wien. Der Umweltqualität der Stadt geben 30 Prozent die Note "Sehr gut", 46 Prozent sagen "Gut" und 20 Prozent "Befriedigend". Auch die öffentliche Sicherheit empfinden 94 Prozent der Befragten als sehr gut bis befriedigend.
Von Innere Stadt bis Liesing
Pro Gemeindebezirk werden mindestens 300 AnwohnerInnen befragt. Die dabei gewonnenen Daten sind nicht nur für soziologische Fragestellungen und die benachbarter Disziplinen – wie z.B. Stadtforschung – wertvoll, sondern natürlich auch für die Stadt Wien. "Die Magistratsabteilungen können anhand der Daten eruieren, wo mögliche Probleme liegen oder wie bestimmte Initiativen von der Bevölkerung reflektiert werden", erläutert Projektmitarbeiter Tobias Troger.
"So lassen sich auf Basis von Wohngebieten Aussagen über Lebensqualität, Armutsgefährdung, Arbeitsmarktsituation, Zufriedenheit mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Grünanlagen und kulturellen Einrichtungen, etc. treffen. Solche spezifischen Daten gibt es europaweit nicht", hebt Roland Verwiebe hervor. (Foto: Kromus/PID) |
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Aufwärtstrend seit 1995
Die Studie wird bereits zum vierten Mal durchgeführt. Daher ist im Rahmen des aktuellen Projekts auch ein systematischer Vergleich mit den drei Vorgängerstudien aus den Jahren 1995, 2003 und 2008 inkludiert. Schon bei den bisherigen vorläufigen Ergebnissen fällt auf: In vielen abgefragten Bereichen kommt es seit der ersten Studie 1995 zu einem Positivtrend, die Zufriedenheit mit dem Leben in Wien nimmt zu.
"In den 17 Jahren zwischen der ersten und der aktuellen Umfrage ist die Wiener Bevölkerung nicht nur gewachsen. Sie veränderte sich zudem in ihrer Altersstruktur, das durchschnittliche Bildungsniveau und der Anteil von EinwohnerInnen mit einem anderen Geburtsland als Österreich nahmen zu. MigrantInnen nehmen die Stadt möglicherweise anders wahr als gebürtige WienerInnen", erläutert Projektleiter Roland Verwiebe mögliche Gründe, und ergänzt: "Nach der Gesamtauswertung ist es natürlich wichtig, sich einzelne Gruppen genauer anzuschauen." Denn trotz der insgesamt günstigen Trends vermutet der Soziologe, dass in bestimmten Bereichen die Schere weiter auseinandergeht: "Zum Beispiel ist das Armutsgefährdungsrisiko in Wien in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen."
MigrantInnen aus der Türkei und Ex-Jugoslawien
Ein gezieltes Oversampling kommt dabei MigrantInnen aus der Türkei und Ex-Jugoslawien zu, mit denen die Interviews in ihrer Muttersprache geführt wurden. Durch eine ausreichende Fallzahl lassen sich somit auch für diese speziellen Gruppen Aussagen treffen. "Für unsere Studie ist es von besonderem Interesse auch die Situation von MitbürgerInnen, die aus dem Ausland nach Wien gezogen sind, differenziert zu betrachten. D.h. sowohl die gefühlte Lebensqualität als auch die konkreten Lebensverhältnisse."
Aktuelle Debatten aufgenommen
Die Wissenschafter des Instituts für Soziologie nehmen in ihrer Studie auch aktuelle Themen hinzu, die in den Vorgängerstudien nicht vorkamen – wie beispielsweise Armut und soziale Ausgrenzung sowie Work-Family-Balance. Gerade die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei ein wichtiges sozialwissenschaftliches Thema mit gesellschaftspolitisch hohen Implikationen: "Das Konzept 'ein Ernährer pro Haushalt' gehört der Vergangenheit an. Es ist daher wichtig, Informationen über beide PartnerInnen abzufragen. Besonders die Frage, wie sich der Kinderwunsch und die Karrierepläne beider PartnerInnen vereinen lassen, wird immer wesentlicher", erklärt Verwiebe. Work-Family-Balance ist ein wichtiger Arbeitsschwerpunkte am Institut für Soziologie der Universität Wien.
Möglichkeit der gesellschaftspolitischen Partizipation
Dass die Ergebnisse der Studie anschließend in eine qualifizierte Politikberatung umgesetzt werden, ist Roland Verwiebe und Tobias Troger besonders wichtig: "Wir Soziologen haben die Verpflichtung, uns an den öffentlichen und gesellschaftspolitischen Diskursen zu beteiligen. Das Projekt gibt uns die Chance dazu." (mw)
Das Projekt "Lebensqualität in Wien im 21. Jahrhundert" läuft unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Roland Verwiebe, Vorstand des Instituts für Soziologie, von 2012 bis 2014. ProjektmitarbeiterInnen sind Tobias Troger, BA MA, Mag. Dr. Caroline Berghammer und Mag. Bernhard Riederer. Projektpartner sind die Stadt Wien und die Firma IFES - Institut für empirische Sozialforschung GmbH.