Die Stadt im Wandel
| 10. April 2013Ob UNO-City oder Gemeindebau – Vielfalt findet an ganz unterschiedlichen urbanen Orten statt und prägt die Entwicklung von Städten. Anhand von sieben europäischen Städten untersucht die Sozialanthropologin und Soziologin Ayse Caglar von der Universität Wien in einem WWTF-Projekt die Interaktion urbaner AkteurInnen.
MigrantInnen und Diversität in europäischen Städten stehen schon lange im Fokus von SozialanthropologInnen und StadtforscherInnen. Ayse Caglar, Professorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien, forscht bereits seit Mitte der 1990er Jahre zu Migration, Globalisierung und transnationalen Prozessen. In ihrem aktuellen Projekt "Cityscalers", das im Rahmen des "Diversität – Identität Call 2011" des WWTF läuft und mit 300.000 Euro gefördert wird, stehen kulturelle Vielfalt, Migration und urbane Veränderungen im Fokus.
"Soziale Kräfte"
Wie positioniert sich eine Stadt regional und global, wie verändert sie sich dabei – Stichworte Umstrukturierung, Kapitalflüsse, demografischer Wandel – und welche Rolle spielen dabei MigrantInnen? Mit diesen Kernfragen beschäftigt sich das internationale Projektteam, das neben Projektleiterin Ayse Caglar und Nina Glick Schiller von der Manchester University (Senior Advisor) aus zwei Postdocs – Florian Huber (Universität Wien) und Baris Ulker (Metropolitan Program, Berlin) – sowie zwei Prädocs – Claire Bullen (Manchester University) und Melinda Szabo (CEU Budapest) – besteht.
"MigrantInnen sind soziale Kräfte der urbanen Gesellschaft, die den politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Wandel einerseits aktiv mitgestalten und andererseits selbst durch diesen Prozess beeinflusst werden", so Ayse Caglar.
Dieser Artikel erschien im Forschungsnewsletter April 2013. |
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Sieben Städte
Die ForscherInnen kommen im Laufe von "Cityscalers" viel herum: Untersucht werden sieben Städte. Wien, Berlin und Budapest sind Hauptstädte, die sich an der Schnittstelle von Ost- und Westeuropa positionieren. Linz, Pecs, Essen und Marseille sind europäische Kulturhauptstädte, die sich in der Ausrichtung ihrer Stadtentwicklung deutlich von den Hauptstädten unterscheiden.
Im ersten Teil des Projekts steht die Datensammlung auf der Agenda. Interviewt werden StadtentwicklerInnen, AkteurInnen der Stadtpolitik, Interessenvertretungen von MigrantInnen – und natürlich MigrantInnen selbst. "Daraus entstehen sogenannte 'Narratives', also Erzählungen zu Migration, Vielfalt und urbane Entwicklung", so Caglar: "Auf dieser Basis erarbeiten und analysieren wir anschließend die Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der Positionierungskämpfe der Projektstädte."
VERANSTALTUNGSTIPP: Erste Ergebnisse des Projekts "Cityscalers" werden am 11. und 12. April 2013 auf der Konferenz "The Crisis, Displacements, Cities, and Migrants" – einer gemeinsamen Veranstaltung der Universität Wien und des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften (IFK) – präsentiert. Nähere Informationen und Programm |
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Selbstbild der Städte
Die ausgewählten europäischen Kulturhauptstädte haben die Hochblüte der Industrialisierung hinter sich und fokussieren in der Stadtentwicklung vermehrt auf die Kreativwirtschaft, was möglicherweise wiederum neue Chancen für MigrantInnen bieten kann. Hier ist es besonders interessant für die ForscherInnen der Universität Wien, die unterschiedlichen Anträge für die Bewerbung um das Label Kulturhauptstadt zu vergleichen – also das "Selbstbild der Städte".
"Obwohl MigrantInnen in allen diesen ehemaligen Industriestädten präsent sind, treten sie in den Narrativen bzw. im Selbstbild dieser Städte nicht auf dieselbe Art und Weise hervor", so Caglar: "Während beispielsweise MigrantInnen im Kulturhauptstadt-Antrag von Essen eine zentrale Rolle einnehmen, sind sie im Fall von Pecs in diesen Dokumenten sowie in den Narrativen unsichtbar."
Marseille nimmt eine Sonderrolle im Sample ein, da sie nicht an der Ost-West-Achse Europas liegt und die einzige Hafenstadt ist. Sie hat durch ihre Lage eine sehr lange Tradition der Einwanderung. MigrantInnen waren zwar beim Aufbau der Stadt beteiligt, doch Marseilles' Blick auf ihre Vielfalt ist nicht eindeutig. Einerseits werden MigrantInnen dafür gepriesen, dass sie Marseille ein besonderes kosmopolitisches Flair verleihen, andererseits werden sie für die sozialen Probleme und das negative Image der Stadt verantwortlich gemacht. |
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Beispiel Wien
Da das Projekt von der Universität Wien geleitet wird, liegt ein besonderes Augenmerk auf der Bundeshauptstadt Österreichs. Für die Sozialanthropologin Ayse Caglar, die seit Februar 2011 in Wien ist – zu ihren weiteren wissenschaftlichen Karrierestationen zählen u.a. Montreal, Berlin, Florenz, Budapest und Göttingen – eine ideale Möglichkeit, sowohl die Stadt besser kennenzulernen als auch unvoreingenommen an die Vergleichsstudie heranzugehen. "Uns interessiert u.a., wer in Wien überhaupt als Migrant oder als Migrantin angesehen wird. Ein Beispiel: Durch die UNO und andere internationale Organisationen im 22. Bezirk existiert dort eine recht große internationale Community. Unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts werden ihre Mitglieder jedoch von den WienerInnen nicht als MigrantInnen gesehen – im Gegensatz zu den MigrantInnen im 10. oder 15. Bezirk", sagt Caglar.
Stadtbilder zeichnen
Wer wird wann und wo als 'Ausländer' bzw. MigrantIn wahrgenommen, welcher Diskurs wird darüber geführt, welche Politiken kommen dabei zum Tragen und welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Die Beantwortung dieser Fragen für jede der sieben Städte in Bezug zu ihren jeweiligen Stadterneuerungsprozessen wird den WissenschafterInnen ein anschauliches und lebendiges Bild zu den Veränderungen liefern – sowohl aus der Eigen- und Fremdwahrnehmung jeder der Städte, als auch im Zusammenhang mit ihrer jeweiligen Vision. (td)
LESETIPP: Warum MigrantInnen wichtig für das Branding der Stadt werden können, einen bedeutenden politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Faktor darstellen und bei der Aufwertung von Stadtvierteln eine Rolle spielen, darüber spricht Ayse Caglar aktuell im Interview mit "Der Standard": zum Artikel "Alle wollen weltoffen sein, aber keine Ghettos". |
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Das Projekt "Cityscalers" läuft im Rahmen des "Diversität - Identität Call 2011" des WWTF unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Ayse Caglar vom Institut für Kultur- und Sozialanthropologie. Es startete im Juli 2012 und ist mit einer Fördersumme von 300.000 Euro auf zwei Jahre anberaumt. Das internationale Projektteam besteht aus: Nina Glick Schiller (Manchester University), Claire Bullen (Manchester University), Florian Huber (Universität Wien), Melinda Szabo (CEU Budapest) und Baris Ulker (Metropolitan Program, Berlin).