Wie künstliche Intelligenz unsere Arbeit verändert

Markus Reitzig vor rotem Hintergrund

Kreativität, soziale Intelligenz, Fingerfertigkeit und Interpretationsgeschick: Wer diese Fähigkeiten besitzt, sollte auch in der digitalen Zukunft am Arbeitsmarkt erfolgreich sein. Das zeigt Ökonom Markus Reitzig in einer aktuellen Studie. Im Rahmen der Semesterfrage spricht er über die Ergebnisse.

uni:view: Sie haben in einer umfangreichen Studie am US-amerikanischen Arbeitsmarkt untersucht, wie maschinelles Lernen bzw. künstliche Intelligenz die Arbeitswelt verändern. Was ist das Ergebnis?
Markus Reitzig: Unsere Forschung basiert auf folgender These des Ökonomen Frey und des Informatikers Osborne, die im Jahr 2013 insgesamt 702 Berufe in den USA unter die Lupe nahmen: Menschen, die in Berufen arbeiten, in denen kein hohes Maß an Kreativität, sozialer Intelligenz sowie Fingerfertigkeit und Wahrnehmungsfähigkeit erforderlich ist, sollten danach in absehbarer Zukunft von Maschinen ersetzt werden.

Und tatsächlich zeigt unsere Studie: Je weniger ein Berufsprofil die oben genannten Fähigkeiten verlangt, desto eher machte sich das in sinkenden Gehältern bemerkbar. Bei gut bis sehr gut bezahlten Jobs, die eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, durch Maschinen – teilweise – ersetzt zu werden, ist der Effekt ökonomisch signifikant: Hier fallen die (erwarteten) Gehälter der letzten fünf Jahre um bis zu zehn Prozent als Funktion maschinellen Lernens.

uni:view: Warum haben Sie für die Studie den amerikanischen Arbeitsmarkt herangezogen?
Reitzig: Weil er ein hochtechnologisiertes Setting bietet, das eine gewisse Größe hat, in dem die Effekte von maschinellem Lernen oder künstlicher Intelligenz (ML/KI) bereits sichtbar sind und wo Daten öffentlich zugänglich sind. Mein Projektmitarbeiter Vlad Mitroi und ich haben drei Datensätze miteinander verbunden: Gehalts- und MitarbeiterInnenzahlen für sämtliche Jobs über alle Industrien in den USA der Jahre 2012 bis 2017, Daten zu den Fähigkeitsprofilen, die die jeweiligen Jobs kennzeichnen und schließlich Daten aus einer Kernpublikation der Kollegen Osborne und Frey aus Oxford: Sie haben für jeden Beruf einen Index gebildet, der beschreibt, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmter Job in Zukunft durch ML/KI-basierte Technologien ersetzt wird.

uni:view: Was war der Hintergrund dieser Untersuchung?
Reitzig: Künstliche Intelligenz hat sicherlich das Potenzial, alle Kernbereiche der Organisationsgestaltung zu beeinflussen. Es ist gut denkbar, dass Algorithmen in Zukunft (mit)entscheiden, wer was tut, wer wieviel Gehalt bekommt und wer wie informiert wird.

Diese Debatte basierte jedoch bisher auf reinen Prognosen: Die einen erwarten sich die Wunderwelt der Technik, während andere bereits die apokalyptischen Reiter einer Epoche sehen, in der wir alle maschinenunterjocht, arbeitslos und sinnentleert dahinvegetieren. Daher muss empirische Evidenz in die Debatte rein – auch wenn es für Datenanalysen noch früh ist.

Eine Frage, die man aktuell aber bereits betrachten kann, ist: In welchen Jobs haben maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz Einfluss auf das Gehalt – und wie groß ist dieser? Genau das haben wir uns angeschaut.

Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. Die Semesterfrage im Sommersemester 2019 lautet "Wie werden wir morgen arbeiten?". Am Montag, 27. Mai, findet um 18 Uhr im Großen Festsaal der Uni Wien die abschließende Podiumsdiskussion statt. Mehr Infos (© Universität Wien)

uni:view: Laut Ihrer Studie sind die größten Effekte bei den gutverdienenden ArbeitnehmerInnen zu beobachten. War dieses Ergebnis überraschend?
Reitzig: Ja, denn in vielen öffentlichen Debatten werden die Jobs der Mitarbeiterin am Fließband oder des Friseurs als gefährdet angesehen. Die vermeintlich besser Gebildeten fühlen sich sicher, weil in den letzten zweihundert Jahren vor allem jene ArbeitnehmerInnen durch technologischen Fortschritt verloren haben, die schlecht ausgebildet waren. Höhere Bildung beschützte Angestellte vor den Herausforderungen des technologischen Wandels.

Heute stellt sich das aber nicht mehr so einfach dar: Jene Berufe, für die einige ArbeitnehmerInnen in den 1980ern noch lange studieren mussten und heute gut bezahlt werden, bestehen oft aus analytischen Tätigkeiten. Und in genau diesen Berufen werden Maschinen eben exponentiell besser.

uni:view: Wie erklären Sie sich die Ergebnisse?
Reitzig: Die Ergebnisse sind plausibel, wenn man davon ausgeht, dass der Ersetzungseffekt der Technologien den Aufwertungseffekt menschlicher Arbeit übersteigt. Das scheint bei vielen Berufen in der "relativen Verlierergruppe" nachvollziehbar. Etliche Tätigkeiten im Bereich Kreditvergabe, Steuererklärung, Budgetallokation oder Immobilienmaklerei werden durch moderne Technologien nicht nur für den Menschen besser ausführbar, sie machen ihn auch teilweise obsolet.

uni:view: Was bedeuten diese Ergebnisse für die Zukunft der Arbeitswelt?
Reitzig: Ganz konkret kann es sein, dass von dieser Entwicklung einige kurzfristig überrollt werden, die wir klassischerweise nicht als potenziell Arbeitslose kennen: Das sind Personen über vierzig, mit guter Ausbildung, hohem Gehalt, hohen finanziellen Verbindlichkeiten und Lebensstandards. Um dem entgegenzusteuern, müssen sich Menschen komplementäre Fähigkeiten zu den Technologien der Zukunft aneignen. Auch Metalernen – also das Lernen zu lernen – wird ein großes Thema.


uni:view: Wie sollte die Politik auf diesen Trend reagieren?

Reitzig: Trotz aller Investitionen in Bildung wird der Faktor Mensch bei der Wohlfahrtsstiftung wahrscheinlich immer weniger wichtig. Personen, die sich am Ende aber durch ihren Einsatz heute den Job von morgen selbst nehmen, sollte man unter Umständen am nachhaltigen Erfolg "ihres" Unternehmens auch anders beteiligen als durch Gehaltszahlung. Ich halte den Gedanken übrigens für höchstliberal, weil er auf die Sicherung von Freiheit abstellt.

uni:view: Wie sieht das Büro der Zukunft aus?

Reitzig: Superspannend. Die Binsenweisheit, dass das Büro mehr ist als ein Ort der Arbeit, wird stärker in den Mittelpunkt rücken. Organisationen sind auch Orte der Identifikation, an die Leute gehen, weil sie den sozialen Austausch neben der Familie brauchen. Wenn irgendwann tatsächlich deutlich weniger Arbeit zu vergeben ist, wenn der Kampf um die verbleibende wertstiftende Arbeit grösser wird, dann wird das ein zentrales Thema.

uni:view: Am Ende noch zu unserer Semesterfrage: Wie werden wir morgen arbeiten?
Reitzig: Wir werden noch mehr mit Maschinen zusammenarbeiten als bisher. Insbesondere künstliche Intelligenz wird das Tätigkeitsfeld von Menschen verändern. Wie bei früheren technologischen Revolutionen wird es zur Aufwertung einiger menschlicher Fähigkeiten kommen und zum Austausch anderer. Anders als bei den Umwälzungen der letzten 200 Jahre könnte künstliche Intelligenz sehr gut ausgebildete TeilnehmerInnen am Arbeitsmarkt, die derzeit primär für ihre analytischen Fähigkeiten bezahlt werden, ersetzen.

Kreativität, soziale Intelligenz, Fingerfertigkeit und Interpretationsfähigkeiten scheinen also bereits jetzt die Fähigkeiten zu sein, die ArbeitnehmerInnen brauchen, um von künstlicher Intelligenz zu profitieren, anstatt durch sie gefährdet zu werden.

uni:view: Vielen Dank für das Interview! (ps)

Markus Reitzig hat seit 2012 die Professur für Betriebswirtschaftslehre - Strategisches Management am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Wien inne. Seine Forschungsschwerpunkte sind Strategisches Management, Organisationsdesign und Innovationsforschung. Er beschäftigt sich unter anderem mit Fragen rund um das Thema Start-up Unternehmen.

In der Studie "Same Same or Different? Early Stage Evidence on the Effects of Machine Learning and Artificial Intelligence on the US Labor Market" haben Markus Reitzig und Vlad Mitroi vom Institut für Betriebswirtschaftslehre anhand des amerikanischen Arbeitsmarkts zwischen 2012 und 2017 erstmals Daten dazu analysiert, wie maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz die Arbeitswelt verändern.

Veranstaltungstipp: "Die Jobs der Zukunft – wie viele können mit?": Die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften lädt am Dienstag, 30. April 2019 zu einer neuen Ausgabe der Veranstaltungsreihe "Wissenschaft & Praxis", die diesmal im Zeichen der aktuellen Semesterfrage der Universität Wien "Wie werden wir morgen arbeiten?" steht. Zur Anmeldung