Vielfalt, Schönheit, Freiheit: Vögel
| 12. November 2019Haubenzwergfischer, Brillenvogel oder Wanderfalke: Vogel ist nicht gleich Vogel. Das macht die Wirbeltiere zu einem Paradebeispiel für Artenvielfalt. Im Zeichen der Semesterfrage gibt Ökologin Bea Maas Einblick in Lebensräume, Alltag und Superkräfte "ihrer" wichtigsten Forschungstiere.
Mensch und Tier im Kurzporträt
Name: Bea Maas
Art/Gattung: Homo sapiens quaerens
Ernährung: Flexitarierin
Lebensraum: Schreibtisch/Feldforschung
Vorkommen: Department für Botanik und Biodiversität
Name: Wanderfalke / Falco peregrinus (© Leander Khil)
Art/Gattung: Wanderfalke/Falken
Ernährung: fleischfressender Jäger (v.a. kleine und mittelgroße Singvögel)
Lebensraum: Felsenbrüter – in Städten, manchmal auf Gebäuden
Vorkommen: auf allen Kontinenten – außer Antarktika
Was ist so faszinierend an Vögeln?
Vögel sind in ihren Lebens- und Verhaltensweisen und Anpassungen an die Natur unglaublich vielfältig. Seit Jahrhunderten inspirieren Vögel nicht nur Wissenschaft, sondern auch Kunst und Kultur auf der ganzen Welt – und wir entdecken immer neue Arten. So vielfältig wie die über 10.000 Vogelarten dieser Erde sind die Methoden, mit denen sie erforscht werden – von der Beobachtung mit Ferngläsern bis hin zum Einsatz komplexer Technologien. Ihre Popularität und Vielfalt macht sie zu idealen "Modellorganismen" für die Forschung.
Welche Rolle spielen Vögel innerhalb ihrer Ökosysteme?
Durch ihre Fähigkeit zu fliegen und weite Strecken zurückzulegen, vernetzen Vögel Lebensräume, Ressourcen und biologische Prozesse. Zahlreiche Arten sind auf bestimmte Lebensräume wie Wälder, Wiesen oder Gewässer spezialisiert und liefern bereits über ihre An- oder Abwesenheit wertvolle Informationen über Landschaftsveränderungen oder für den Naturschutz. Vogelarten, die sich zum Beispiel speziell von Insekten, Nektar oder Aas ernähren, tragen zu sogenannten Ökosystemleistungen bei – als natürliche Feinde von Schädlingen, Bestäuber von Früchten, oder "Müllpolizei". Die Gesundheit der jeweiligen Ökosysteme und das menschliche Wohlergehen hängen direkt vom Vorkommen solcher Vogelarten und ihren biologischen Funktionen ab, die von sehr hoher wirtschaftlicher und auch spiritueller Bedeutung sind.
Sind Vögel gefährdet?
Obwohl Vögel extrem anpassungsfähig sind, beobachten wir, dass die Artenzahl und Häufigkeit in vielen Landschaften zurückgeht. Die Ausdehnung und Intensivierung von Landwirtschaft durch wachsenden Ressourcenbedarf und der Einsatz von schädlichen Umweltgiften schädigt die natürlichen Lebensräume der Vögel. EU-weit wird geschätzt, dass es 300 Millionen Agrarlandvögel weniger gibt als noch vor 20 Jahren – Tendenz steigend. In Österreich sind in diesem Zeitraum bereits zwei von fünf der häufigsten Feldvogelarten verloren gegangen.
Um diese Entwicklung aufzuhalten, braucht es gesteigerte Nachhaltigkeit in der Landnutzung und im Ressourcenverbrauch – aber auch Veränderungen durch Bildungs- und Aufklärungsmaßnahmen, die ein besseres Bewusstsein für unseren Ressourcenverbrauch und den Naturschutz fördern.
AKTUELL ZUM THEMA:
Eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht, viele davon bereits in den nächsten Jahrzehnten. Doch was hindert uns daran, Erkenntnisse aus der Naturschutzforschung in die Praxis umzusetzen? Bea Maas und KollegInnen publizierten dazu in der Fachzeitschrift Biological Conservation: zur Presseaussendung "Naturschutzforschung in der Praxis anwenden"
Ursachen des Artensterbens und Lösungsansätze aus ihrer Forschung erklären Bea Maas, Bernd Lenzner und Johannes Wessely vom Department für Botanik und Biodiversität in ihrem Beitrag auf dem Blog der Uni Wien zur aktuellen Semesterfrage: zum Blogbeitrag "Wieso, weshalb und warum das Artensterben uns alle betrifft"
Für den (fiktiven) Fall, dass Vögel aussterben würden: Welche Auswirkungen hätte das?
Die Auswirkungen eines Vogelartensterbens wären fatal für Mensch und Umwelt, da sie eine entscheidende Rolle im globalen Ökosystem spielen. Da sich viele Tier- und Pflanzenarten über die Erdgeschichte gemeinsam entwickelt haben und voneinander abhängen, folgt auf das Aussterben einer Art oft der Verlust anderer Arten und wertvoller Funktionen im Ökosystem. Aktuelle Forschung zeigt, dass sich viele Vogelarten und ihre Funktionen an einem kritischen "Kipp-Punkt" befinden – das bedeutet, dass sich ab einem gewissen Verlust von Arten und Individuen auch ökologische Prozesse verändern und zu kippen drohen.
Ein typischer Tag im Leben eines Vogels
Der frühe Vogel fängt den Wurm. Dieses Motto ist gar nicht abwegig, da Vögel wirklich Frühaufsteher sind. In der Regel sind sie dämmerungsaktiv, also zu frühen Morgen- und späten Nachmittagsstunden geschäftig. Dazwischen kehrt etwas Ruhe ein. Ansonsten kann man den Alltag eines Vogels nicht verallgemeinern. Es gibt sehr soziale und eher einzelgängerische Arten, Standortstreue und Weltreisende, Endemiten und Kosmopoliten, Vegetarier und Fleischfresser – und viele mehr!
Der Wiedehopf (hier ein Afrikanischer Wiedehopf) ist ein effektiver Insektenfresser von hohem Wert für biologische Schädlingskontrolle in Kulturlandschaften und Wäldern – und ein Vogel von großem Symbolcharakter. Die Intensivierung von Agrarlandschaften hat jedoch zu einem starken Rückgang der Wiedehopf-Population geführt. (© Bea Maas)
Spannende Fakten zu Vögeln
Alle Vögel haben Federn, aber nicht alle können fliegen! Strauße, Nandus und Emus sind dafür sehr schnelle Läufer – wie auch der Wegekuckuck, der über 40 Stundenkilometer zu Fuß auf den Tacho bringt! Die meisten Spechte sind akrobatische Kletterer. Zwischen dem 2,8 Meter großen Strauß und der 5,7 cm kleinen Bienenelfe gibt es tausende faszinierender Arten – wovon die meisten im Flug unterwegs sind. Wanderfalken erreichen im Sturzflug auf ihre Beute bis zu 340 Stundenkilometer und sind somit die schnellsten Tiere überhaupt – und die am weitesten verbreitete Vogelart der Welt.
Vögel sind "Energiesparmeister" und haben ihren Körper perfekt ans Fliegen angepasst, durch ausgefeilte Aerodynamik, "federleichte" hohle Knochen und Luftsäcke, die im Gegensatz zu unseren Lungen laufend von Luft durchströmt werden. An dieser Energieeffizienz könnte sich der Mensch ein Beispiel nehmen, vor allem im Bereich Ressourcenverbrauch und Nachhaltigkeit!
Jedes Semester stellt die Universität Wien eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. Die Semesterfrage im Wintersemester 2019/20 lautet: Wie schützen wir die Artenvielfalt? Zur Semesterfrage
Die Superkraft von Vögeln
Vögel können fliegen! Wer träumt nicht davon? Auch ihre Anpassungsfähigkeit ist erstaunlich. Die über 10.000 Vogelarten unserer Erde sind so vielfältig, dass sie sich ständig an neue Bedingungen anpassen – jedoch nur über sehr lange Zeiträume. Vom Urvogel Archaeopteryx bis zu neu entdeckten Darwinfinken auf den Galapagosinseln hat sich einiges getan.
Doch der Wandel von Klima und Umwelt, den wir Menschen verursachen, macht den Anpassungskünstlern schwer zu schaffen, da die Veränderungen für biologische Anpassungen zu schnell ablaufen. Selbst die anpassungsfähigsten Arten wie Kohlmeise, Rauchschwalbe und Elster sind langfristig bedroht – was das oben beschriebene "Horrorszenario" eines Artensterbens beunruhigend realistisch erscheinen lässt.
Schmalschnabelstare sind endemisch auf Sulawesi in Indonesien verbreitet und leben in großen Kolonien von 20 bis 150 Individuen. Ähnlich wie Spechte nutzen sie freistehende und bereits vorgeschädigte Bäume für ihre Bruthöhlen und Nahrungsbeschaffung, wodurch sie Lebensräume für viele andere Arten schaffen. (© Bea Maas)
Vögel und ich: Wie haben wir uns kennengelernt?
Meine erste wissenschaftliche Arbeit handelte von den Effekten jahrelanger Landschaftsveränderungen auf Vogelartengemeinschaften auf Sulawesi, Indonesien. Die Ergebnisse zeigten, dass man starke Veränderungen einer Landschaft nicht nur an den Artenzahlen ablesen kann. Während die Anzahl von Vogelarten trotz massiver Abholzung des Regenwalds und der Intensivierung der Landwirtschaft über einen Zeitraum von sechs Jahren nahezu gleich blieb, veränderte sich die "funktionelle Zusammensetzung" der Artengemeinschaft dramatisch. Arten mit einem sehr kleinen oder abgegrenzten Verbreitungsgebiet (sogenannte Endemiten) und Waldarten hatten stark abgenommen, während häufige und an das Offenland angepasste Arten zugenommen hatten.
Seither bin ich fasziniert von der Bedeutung ökologischer Funktionen für das Verständnis und den Umgang mit der Umwelt. Mein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Untersuchung von Ökosystemleistungen – den Funktionen der Natur, von denen wir Menschen essenziell abhängen und profitieren.
Bea Maas forscht und lehrt in der Abteilung Conservation Biology, Vegetation Ecology and Landscape Ecology am Department für Biodiversitätsforschung der Fakultät für Lebenswissenschaften. Aktuell ist sie an den Projekten "REGRASS", wo sie zum Thema natürliche Schädlingsbekämpfung in Niederösterreich forscht, und "DiFFcacao" beteiligt - hier arbeitet sie über die Bedeutung von Vögeln und Fledermäusen in der Kakaoproduktion in Peru forscht.