"Sozial eingebunden lernt es sich besser"

Studierende am Laptop

Von heute auf morgen musste der Lehrbetrieb auf home-learning umgestellt werden. Wie es den Studierenden mit dieser Veränderung geht, erheben Bildungspsycholog*innen der Universität Wien in der Online-Studie Lernen unter COVID-19. Marko Lüftenegger präsentiert ein erstes Stimmungsbild.

uni:view: Sie haben kurz nach dem landesweiten Lockdown die Studie Lernen unter COVID-19 ins Leben gerufen, deren Teilergebnisse nun vorliegen – wie geht es den Studierenden im home-learning?
Lüftenegger:
Die ersten Analysen mit einer Teilstichprobe zeigen, dass sich knapp zwei Drittel in der jetzigen Situation wohl fühlen und optimistisch sind. Jene Studierenden geben auch an, das home-learning motiviert und erfolgreich zu bewältigen. Es gibt aber auch eine kleinere Gruppe von etwa sechs Prozent der Befragten, die sich derzeit kaum bis nie wohl und zuversichtlich fühlt. Diese Studierenden beschreiben sich als wenig sozial eingebunden und nennen zudem technische Probleme, häufige Ablenkung oder das Fehlen eines ruhigen Arbeitsplatzes als Schwierigkeiten im home-learning.

Die Studie Lernen unter COVID-19 wird von Wissenschafter*innen der Fakultät für Psychologie durchgeführt und vom WWTF unterstützt. Für die vorliegenden Teilergebnisse wurden die Antworten einer Teilstichprobe von 2.559 Studierenden herangezogen. Auch Schüler*innen wurden befragt – Marko Lüftenegger kommentiert die Ergebnisse hier (zum uni:view Artikel).

uni:view: Was gelingt im home-learning gut und wo liegen die Herausforderungen in der aktuellen Situation?
Lüftenegger:
Die Studierenden geben an, sich durchschnittlich acht Stunden weniger mit studienbezogenen Aktivitäten zu befassen, als es noch vor der Umstellung auf home-learning der Fall war. Diese acht Stunden beschreiben allerdings "nur" den Durchschnitt. Es gibt sowohl jene, die im home-learning viel mehr zu tun haben als auch Studierende, die sich aktuell nur ganz wenig bis gar nicht mit Studieninhalten beschäftigen. Für circa zehn Prozent hat sich zeitmäßig gar nichts geändert. Was die Organisation des Lernens betrifft gelingt das drei Viertel der befragten Studierenden gut: Sie machen sich beim Lernen einen Plan über zu erledigende Aufgaben und haben auch einen Vorsatz was sie jeweils schaffen möchten. Knapp 40 Prozent gelingt es, ihre täglichen Lernzeiten auch einzuhalten. Sieben Prozent schätzen sich als "sehr erfolgreich" oder "ziemlich erfolgreich" im home-learning ein. Doch berichten auch etwa 16 Prozent von gröberen Problemen, ihr Studium aktuell bewältigen zu können. 

uni:view: Wie können die Studierenden im home-learning noch besser unterstützt werden?
Lüftenegger:
Auf COVID-19 war in dieser Form niemand vorbereitet, die Umstellung des Lehrbetriebes auf home-learning ist ohne große Vorbereitung innerhalb weniger Tage passiert. Die Daten zeigen, dass sich Studierende in der neuen Situation wohler und zugleich kompetenter fühlen, wenn sie sozial eingebunden sind. Um gute Lehre auch digital zu gestalten, braucht es zusätzliche Kompetenzen auf Seiten der Lehrenden, die sicherlich nicht alle in gleicher Weise und gleicher Geschwindigkeit erwerben können. Für diese Professionalisierung wird es wohl auch etwas Geduld auf allen Seiten brauchen.

Den Kontakt zu Studierenden aufrecht zu erhalten und Unterstützungsangebote anzubieten, funktioniert aber auch ohne elaborierte E-Kompetenzen und kann einen großen Unterschied machen. Konkret wünschen sich die Studierenden auch mehr Audio-und Videoaufzeichnungen und klare Informationen, etwa wann und auf welche Weise Prüfungen abgehalten werden.

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uni:view: Als Bildungspsychologe beschäftigen sie sich mit Entwicklung und Förderung von Motivation, Wohlbefinden und sozialen Emotionen im Bildungskontext. Haben Sie einen "guten Rat" für die Studierenden im home-learning?
Lüftenegger:
Negative Emotionen entstehen insbesondere dann, wenn wir in wichtigen Angelegenheiten die Kontrolle über die Situation verlieren. Eine derartige Konstellation werden wohl viele Menschen in den letzten Wochen gleich mehrmals erlebt haben. Im Studienkontext könnte das beispielsweise so aussehen: Die Termine der Vorlesungsprüfung wurden verschoben. Die Ersatztermine stehen noch nicht fest und auch die Rahmenbedingungen sind unklar. Folge dieser unkontrollierbaren Situation können Ärger, Traurigkeit, Hilflosigkeit oder auch Vermeidungsverhalten in Hinblick auf andere studienrelevante Aufgaben sein. Eine Lösungsmöglichkeit wäre hier, den Fokus auf Dinge zu richten, die kontrollierbar sind. Also Aufgaben für das Studium zu erledigen, die aktuell möglich sind oder andere Prüfungen zu absolvieren. So stellen sich zumindest kleine Erfolge ein, es steigt die Selbstwirksamkeit und positive Emotionen treten in den Vordergrund. 

uni:view: Sie und Ihre Teamkolleg*innen von der Fakultät für Psychologie haben schnell reagiert und die aktuelle Krise zum Forschungsgegenstand gemacht – sehen Sie darin auch ein Stück weit wissenschaftliche Verantwortung?
Lüftenegger:
Jede*r sollte in der jetzigen Situation einen Beitrag für die Res Publica leisten – und wenn es nur das physical distancing ist. Als Wissenschafter*in, insbesondere mit einem Fokus auf Bildung, hat man jedoch eine besondere Verantwortung. Es sind so viele Menschen vom home-learning betroffen, hochgerechnet 1,5 Millionen, dass die Fragen, wie wir Lernprozesse optimieren und begleiten können, enorm wichtig sind. Im März war uns noch nicht bewusst, dass die Situation so lange andauern kann und uns eventuell immer wieder heimsuchen wird – die Maßnahmen wurden gelockert, doch es ist nicht absehbar, ob es im Herbst vielleicht schon die nächste home-learning-Phase geben wird. Unter diesem Aspekt sind die Ergebnisse unserer Studie natürlich noch wichtiger.

Bis voraussichtlich 30. Juni 2020 findet der Lehrbetrieb an der Universität Wien aufgrund von SARS CoV-2 in Form von home-learning statt. Was das bedeutet und wie die Situation gemeinsam gemeistert werden kann, gibt es im home-learning Hub für Studierende nachzulesen.

uni:view: Inwiefern ist das von Ihnen generierte Wissen wegweisend für gesellschaftliche und politische Entscheidungen rund um COVID-19?
Lüftenegger:
Wir sind an mehreren Initiativen beteiligt, die gerade unterschiedliche Daten zu COVID-19 sammeln und vernetzen, um ein gesamtheitliches Bild der Lage zeichnen zu können. Diese Initiativen sind von der Politik initiiert oder zumindest begleitet. Ich hoffe, dass neben den wichtigen gesundheitlichen Aspekten bei zukünftigen Entscheiden der Politik auch psychosoziale Aspekte wie die Einbindung der Lernenden und deren Bedürfnisse eine stärkere Rolle spielen werden.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch! (hm)

Marko Lüftenegger ist Assistenzprofessor für Entwicklungs- und Bildungspsychologie am Institut für Lehrer*innenbildung und am Institut für Psychologie der Entwicklung und Bildung der Universität Wien. Er forscht zu Entwicklung und Förderung von Motivation, Wohlbefinden und sozialen Emotionen im Bildungskontext sowie zur Wirksamkeit von Maßnahmen. (© privat)