"Ökonomisch nicht anders möglich"
| 28. April 2017Katastrophenmanagement und Gesundheitswesen gepaart mit einer ökonomisch-sozialen Sichtweise – das sind die Schwerpunkte der Wirtschaftswissenschafterin Marion Rauner. Im Interview spricht sie u.a. über die Gefahr von Epidemien und die Notwendigkeit von Primary Health Care Centern.
uni:view: Sie sind außerordentliche Professorin an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Ihr Fachbereich ist Gesundheitsmanagement. Wie passen Wirtschaft und Gesundheitswesen zusammen?
Marion Rauner: Österreich hat eine Wirtschaftsleistung von rund 300 Milliarden, davon entfallen etwa zehn Prozent auf den Gesundheitsbereich – also ein recht großer Wirtschaftsfaktor. In den letzten hundert Jahren hat sich die Lebenserwartung sehr stark durch Gesundheitsvorsorge, Hygiene und Impfkampagnen verlängert. Prävention ist dabei der spannende Bereich der Zukunft, denn in einer stetig alternden Gesellschaft müssen die Leute gesund gehalten werden. Und wenn die Menschen alt sind, ist auch die Pflege ein großes Thema, das uns vor große Herausforderungen stellen wird. All das geht natürlich mit der Wirtschaft einher – denn schlussendlich muss das System finanzierbar sein.
uni:view: Welche Forschungsschwerpunkte verfolgen Sie konkret?
Rauner: Das Gesundheitswesen zieht sich wie ein roter Faden durch meine Forschungsschwerpunkte, wie u.a. strategisches Krankenhausmanagement, regional optimierte und integrierte Gesundheitsdienstleistungen oder internationale Gesundheitssysteme. In den letzten Jahren ist sowohl durch Impulse meiner Studierenden sowie der Zusammenarbeit mit Rettungsorganisationen auch Katastrophenschutz zu einem meiner Schwerpunkte geworden. Das passt sehr gut mit dem Gesundheitswesen zusammen, da bei Katastrophen in erster Linie die Gesundheit gefährdet ist. Die zwei großen Bereiche sind hier die Logistik der Erstversorgung von Verunfallten und die Vorbeugung bzw. Eindämmung möglicher Epidemien.
Generell gilt es, für die Zukunft vorauszudenken, falls es wieder zu resistenten Epidemien kommt. Besonders Tuberkulose und Polio könnten problematisch werden, da die heutige Bevölkerung Österreichs nicht mehr gut durchgeimpft ist. Da Polio sehr ansteckend ist, müssen über 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sein, um eine Epidemie zu vermeiden. Diesen Impffaktor haben wir nicht mehr.
uni:view: Sie haben von Seiten der Universität Wien am großen EU-Projekt "S-Help – Securing Health. Emergency. Learning. Planning" mitgewirkt. Was waren die Ziele des internationalen, mittlerweile abgeschlossenen, Projekts?
Rauner: Das Projekt lief unter dem großen Thema Katastrophenschutz. Ziel war es, ein Entscheidungsunterstützungssystem bzw. ein Kommando-Kontroll-System zu entwickeln. Derzeit haben wir die spezifischen Strukturen von fünf Ländern konkret ausgearbeitet, damit die Entscheidungsträger im Katastrophenfall besser zusammen arbeiten können. Trotzdem das EU-Projekt offiziell abgeschlossen ist, werde ich mit meinen Studierenden noch weitere EU-Länder analysieren; jedes einzelne Land bedarf dabei einer Untersuchungszeit von einem halben Jahr. Generell geht es um die Frage, wie man auf europäischer Ebene besser kooperieren und agieren kann, wenn in einem Land eine Katastrophe passiert.
Zentral im Projekt war es, das Rad nicht neu zu erfinden, sondern vorhandene Ressourcen sinnvoll zu koppeln. Die EU verfügt über bestimmte Katastrophenschutzmodule wie z.B. Notquartiere, Wasseraufbereitungsanlagen oder Rettungsteams, die ein Land, wenn es sich selber nicht mehr helfen kann, anfordern kann. Im Projekt haben wir zunächst die Ressourcen, über die jedes Land verfügt, in ein System eingefügt und darauf aufbauend eine Logistik für den Ernstfall entworfen. Wichtig ist dabei auch die zeitliche Komponente, d.h. wann kommen die Ressourcen und wie lange stehen sie zur Verfügung.
uni:view: Gehen wir nun von Katastrophen zur Gesundheitsversorgung allgemein, konkret zu einem Ihrer Schwerpunkte, dem Strategischen Gesundheitsmanagement. Was lässt sich hier aus Ihrer ökomischen Sicht verbessern bzw. wo hakt es?
Rauner: Über die letzten Jahre hinweg habe ich mir die Entwicklung der Krankenhausstruktur speziell in Wien angeschaut. Dabei ist natürlich zentral, welche großen Zentren für die Bevölkerungsversorgung wo vorhanden sind bzw. errichtet werden. In dieser Hinsicht steht Wien mit dem Versorgungszentrum im Norden, dem Kaiser-Franz-Josef-Spital im Süden und natürlich dem AKH gut da.
In der Gesundheitsversorgung abseits der Krankenhäuser sind die Primary Health Care Center ein sehr wichtiger Punkt. Die ÄrztInnen laufen Sturm, weil sie diese nicht wollen, aber ökonomisch ist es anders nicht möglich. Kein Arzt und keine Ärztin kann durchgehende Öffnungszeiten anbieten. Zu den Randzeiten laufen also alle in die Krankenhaus-Ambulanzen – das AKH hat eine Million ambulante Versorgungen pro Jahr. Das ist ein Wahnsinn. Hier sind die Primary Health Care Center eine gute Alternative: Diese sind sieben Tage die Woche von 0 bis 24 Uhr geöffnet und entlasten somit die Krankenhaus-Ambulanzen. Als Ökonomin muss ich sagen: Anders ist es nicht finanzierbar. (td)
ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Marion Rauner ist am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Wien tätig.