New Work: Goodbye Hierarchie, hallo Team?

Was passiert, wenn AbteilungsleiterInnen zu TeamleiterInnen werden und Arbeit nicht mehr an feste Abläufe gebunden ist? Gemeinsam mit WissenschafterInnen der Uni Wien beleuchtet das Karriereservice Uniport im Rahmen der Semesterfrage anhand von konkreten Beispielen aktuelle Trends am Arbeitsmarkt.

New Work, Agiles Management und Co.: Um Arbeitswelt-Trends wie teambasiertes Arbeiten, Gruppenverantwortung und häufige Feedbackrunden zu beschreiben, gibt es viele Bezeichnungen. Einer, der mit solchen "Modewörtern" nicht viel anfangen kann, ist Markus Reitzig, Professor für Strategisches Management am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Wien – welche Entscheidungsstruktur die effizientere sei, hängt ihm zufolge stark von der jeweiligen Branche ab. Für das 2012 gegründete österreichische Start-up "mySugr", das eine App für DiabetikerInnen anbietet und inzwischen 130 MitarbeiterInnen hat, war teambasiertes Arbeiten der Schlüssel zum Erfolg.

Trends am Arbeitsmarkt
Im Rahmen der Semesterfrage "Wie werden wir morgen arbeiten?" gibt Uniport – das Karriereservice der Universität Wien und Schnittstelle zwischen Universität und Berufswelt – regelmäßig Einblicke in aktuelle Arbeitstrends, befragt WissenschafterInnen der Universität Wien dazu und zeigt Beispiele aus der Praxis. Im ersten Beitrag nimmt Anabell Lutz für Uniport die Zukunft von Arbeitsstrukturen unter die Lupe.

Teamwork als Erfolgsrezept

Das Start-up wurde von Anfang an von INiTS, dem Gründerservice der Uni Wien und der TU Wien, gefördert und profitierte vom Know-how und Netzwerk des universitären Hightech Inkubators. Trotz der hohen MitarbeiterInnenzahl gibt es nach wie vor wenig klassische Hierarchien: "Entscheidungen werden hier je nach Gruppe, die für ein Thema zuständig ist, getroffen", so Mitarbeiter Christian Hattinger, der im Unternehmen für agile Entwicklungsprozesse zuständig ist und selbst an der Uni Wien studiert hat. "Neben der hohen Verantwortung in den Teams gibt es auch Zuständigkeiten auf individueller Ebene: So tragen Einzelpersonen auch außerhalb des Teams Verantwortung. Das nennen wir 'Rollen' – etwa für das Schreiben von Blogposts bis hin zum Recruiting neuer MitarbeiterInnen."

Christian Hattinger im Office

Christian Hattinger (re.) hat unter anderem Informatikmanagement an der Universität Wien studiert und dort gelernt, komplexe Inhalte auf klare und verständliche Weise zu vermitteln. Das hilft ihm jetzt in der Interaktion mit seinen MitarbeiterInnen. (© mySugr)

Liegt die Entscheidung beim Team?

Insgesamt sollen im jungen Unternehmen alle Teams so autonom wie möglich bleiben und ihre eigenen Entschlüsse fassen. Markus Reitzig erklärt, warum es manchmal absolut hinderlich sein kann, wenn eine zentrale Spitze alle Entscheidungen trifft: "Zum Beispiel, wenn ein Unternehmen ständig auf technische Innovationen reagieren und projektbezogen arbeiten muss. Hier ist es sinnvoller, Entscheidungen im Team zu treffen, als diese einer Führungskraft zu überlassen, die nicht bedeutend mehr Know-how als andere MitarbeiterInnen besitzt."

In anderen Branchen hingegen könne teambasiertes Arbeiten aber auch zu weniger Effizienz führen. Das sei etwa der Fall, wenn Tätigkeitsfelder klar abgesteckt sind und sich an den Aufgaben des Unternehmens über die Zeit wenig ändert. "Hier kann ein zentrales Management schneller und unkomplizierter reagieren", so Reitzig.

"Einige finden es klasse, andere sind dem Wahnsinn nah"

Bis zu neun Leute in einem Team, jeden Morgen eine Kurzbesprechung: Gibt es Blockaden oder Probleme, die gelöst werden müssen? Brauchen wir Hilfe von anderen oder schaffen wir das selbst? Wie ist der Tagesplan? "Bei uns gibt es keine festgefahrenen Muster, Aufgaben und damit verbundene Autoritäten verteilen die MitarbeiterInnen je nach Projekt. Auf Heimarbeit sind wir aber nicht ausgelegt – unsere MitarbeiterInnen sollen hier sein und miteinander reden. Trotzdem gibt es Rückzugsmöglichkeiten für fokussiertes Arbeiten", erklärt der Uni Wien Alumnus Hattinger.

Aber nicht alle arbeiten gut und gerne im Team: "Liest man Erlebnisberichte derjenigen MitarbeiterInnen, denen teambasierte Organisation über alle Bereiche ihres Arbeitsalltags verschrieben wurde, wird deutlich: Einige finden es klasse, andere sind dem Wahnsinn nah", betont Wirtschaftswissenschafter Reitzig und fügt schmunzelnd hinzu: "'Jeder Jeck ist anders' – wie man im Rheinland sagt."

Porträt von Prof. Markus Reitzig

"Teamarbeit kann auch anstrengend sein", ist Markus Reitzig vom Institut für Betriebswirtschaftslehre überzeugt: "In der Teamkultur sind alle MitarbeiterInnen ständig gefordert. Alles wird kollektiv erarbeitet – was ist unser Ziel, was ist zu tun, wer tut es, wer bekommt was dafür, wer redet wann mit wem?" (© Markus Reitzig)

Seit 2017 gehört das Start-up einem Pharma- und Medizintechnikriesen. "Natürlich haben wir darüber diskutiert, was das für uns bedeutet. Es war jedoch allen klar, dass wir unsere Arbeitsweisen behalten und weiterentwickeln werden", erzählt Hattinger die Unternehmensgeschichte weiter. Und das mit Erfolg: die App wurde bekannter und das junge Unternehmen konnte personell wachsen. "Wie unsere Unternehmensstrukturen in ferner Zukunft genau aussehen werden, kann hier aber noch keiner sagen", fügt der Uni Wien-Alumnus hinzu. Sicher sei aber, dass sich die Teams nach dem Produkt ausrichten werden – und nicht umgekehrt.

Dezentrale vs. zentrale Führung

Markus Reitzig glaubt nicht, dass agiles Management hierarchische Strukturen bald komplett verdrängen wird: "Solange der Mensch arbeitet, werden sowohl die zentrale als auch die dezentrale Unternehmensführung eine Bedeutung haben".  Als auf den ersten Blick ungewöhnliches Beispiel nennt der Wissenschafter das Militär, das in vielen Köpfen der Inbegriff der Hierarchie sei: "Natürlich sind Hierarchien dort in vielen Bereichen auch gelebte Wirklichkeit – der General sagt's dem Oberst, der dem Oberstleutnant, der dem Major und so weiter." Innerhalb von hochspezialisierten, kleinen Einsatzkommandos der Elitestreitkräfte läuft es laut Reitzig aber anders ab: "Deren Vorgehensweise erinnert viel mehr an die eines Teams mit viel Eigenverantwortung der SoldatInnen."

Für die Zukunft der Arbeit lässt sich also festhalten: Keine Organisation muss sich komplett auf die eine oder andere Form der Unternehmensführung festlegen.

Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen die Semesterfrage. Im Sommersemester 2019 lautet sie "Wie werden wir morgen arbeiten?". Zur Semesterfrage (© Universität Wien)

Zur Autorin:
Annabell Lutz studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien und Journalismus an der FHWien der WKW. Als freie Journalistin sieht sie immer wieder wie unterschiedlich die Vorstellung von Menschen – je nach Generation und Branche – von Karriere und Arbeit ist. Für Uniport hat sie die Zukunft von Arbeitsstrukturen unter die Lupe genommen.

VERANSTALTUNGSTIPP:
JobTalk: Hier reden alle mit! Flache Hierarchien im Reality-Check
Bringen flache Hierarchien für ArbeitnehmerInnen nur Vorteile mit sich? Und wie sieht es aus ArbeitgeberInnen-Perspektive aus? Um diese und weitere Fragen dreht sich der JobTalk von Uniport am 14. Mai 2019 ab 18 Uhr.
Sky Lounge, Oskar-Morgenstern-Platz 1 (DG), 1090 Wien
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