Neues braucht Zeit
| 13. März 2017"Offen für Neues" lautet das Motto der Universität Wien. Aber wie kommt das Neue in die Welt? Darüber diskutierten Renate Faistauer, Thomas Glade, Mira Kadric-Scheiber und Franz Kolland. Der Beitrag erschien in der zweiten Ausgabe von COMPETENCE, dem Magazin des Postgraduate Center der Universität Wien.
COMPETENCE: Gehört das Neue den Jungen?
Franz Kolland: Das Alter gilt als die Lebensphase, in der nichts Neues mehr geschieht. Das ist auch ein Vorwurf aus den USA gegenüber Europa: zu viele alte Menschen, keine Innovationsfähigkeit. Ich sehe das anders. Denken Sie nur an die Robotik: Der rasende Fortschritt in diesem Gebiet kommt, zugespitzt gesagt, über die Alten – nämlich in Zusammenhang mit der Pflege.
Thomas Glade: Aber wer baut die Pflegeroboter? Doch eher die jungen Menschen. Es braucht initiale Ideen und die Erfahrung der älteren Generation, aber der Nachwuchs eröffnet neue Zugänge. Das ist hier an der Universität nicht anders: In meinem Team zum Beispiel bringen die DoktorandInnen Programmierkenntnisse mit, da kann ich kaum mehr mitreden. Aber das Team profitiert ungemein davon.
Mira Kadric-Scheiber: Damit etwas Neues entsteht, braucht es nicht nur die initiale Idee, sondern auch Menschen, die damit weiter arbeiten, die einen Nutzen von der Umsetzung haben. Alle Beteiligten müssen eingebunden werden. Und so würde ich die Alten und die Jungen zusammen sehen, in allen Bereichen, die mit oder für Menschen arbeiten.
Renate Faistauer: Die Lernforschung zeigt: Es ist ein Mythos, dass man ab einem stimmten Alter nichts Neues mehr lernen kann. Aber: Kinder lernen anders als Erwachsene – das muss im Unterricht berücksichtigt werden. Darüber hinaus spielt Zeit eine Rolle: Es macht einen Unterschied, ob ich jeden Tag in der Schule sitze oder nur einmal in der Woche im Sprachkurs.
COMPETENCE: In Ihrer eigenen Forschung: Entsteht Neues von innen heraus oder durch äußere Impulse?
Glade: Innovation kommt aus verschiedenen Richtungen. Der Forscher ist ja deshalb einer, weil in ihm ein Feuer brennt. Aber wenn ich mir z.B. die EU-Rahmenprogramme anschaue: Sie geben klare Themen vor, die aus Anwendersicht interessant sind. Wenn nun der oder die Forschende erfolgreich sein möchte, im Sinne einer Drittmitteleinwerbung – was man wiederum seitens einer Universität forcieren kann –, dann wird er oder sie versuchen, in Richtung der ausgeschriebenen Themen innovativ zu sein.
Faistauer: Ein Beispiel für etwas Neues, das meinen Forschungsbereich von außen verändert hat, ist der gemeinsame europäische Referenzrahmen, der u.a. auch den Sprachunterricht europaweit vergleichbar machen will. Ob das eine gute Neuerung war oder nicht, darüber kann man diskutieren. Aber eine Forschung, die abseits von gesellschaftlichen Begebenheiten stattfindet, ist an sich nicht sehr nützlich.
Kadric-Scheiber: Die Idee für den Postgraduate-Lehrgang "Dolmetschen für Gerichte und Behörden" ist aus der Migrationsbewegung 2015 entstanden, dem Mangel an Dolmetschenden, dem Pool an qualifizierten Arbeitskräften, die ihren ursprünglichen Beruf in Österreich nicht ausüben können. Er ist für drei Sprachen konzipiert, die dringend benötigt werden, Arabisch, Dari/Farsi und Türkisch. Es gab also die Anforderung von außen, aber es war auch Neugier und sehr viel Mut nötig, da wir mit wenig erprobten Methoden experimentierten und das Risiko eingingen, zu scheitern. Der Universitätslehrgang hatte jedoch für seinen erstmaligen Start im November 2016 unglaublich viele Anmeldungen.
"Ideen, die ich alleine im Kopf entwickle, werden wenig Erfolg haben. Ich muss andere teilhaben lassen", so Mira Kadric-Scheiber vom Institut für Translationswissenschaft und Leiterin des Universitätslehrgangs Behörden- und Gerichtsdolmetschen. (Foto: Barbara Mair/Universität Wien)
Glade: In meinem Fall kann es eine Lawine oder Überschwemmung sein, dann stehen die PolitikerInnen da in ihren Gummistiefeln und fordern: So etwas darf nie wieder passieren. Es gibt einen Druck, oder sagen wir: ein Zeitfenster, in dem wir Innovationen umsetzen können. Oder auch einmal die Frage stellen: Was, wenn das in Wien passiert wäre? Wenn man sich mit Katastrophen beschäftigt, wird man gerne von der Politik als Unruhestifter verteufelt. Dabei ist das Gegenteil unser Sinn.
Kolland: In der Altersforschung ist derzeit das Thema Demenz sehr präsent, wir haben viele Menschen in einer bestimmten Situation, und dafür brauchen wir Rezepte. Dieser Druck führt schon dazu, dass wir innovativ werden, uns bewegen. Dennoch bin ich ein wenig skeptisch, wenn es darum geht, Innovation steuern zu wollen. Ob nicht da und dort die Kreativität ein Element ist, das sich nicht in eine Programmatik einpassen lässt …
Glade: Ein Zuviel an Steuerung kann auch ein Schuss nach hinten werden, wenn ich mir z.B. Universitäten anschaue, die prozentuale Einwerbungen haben müssen: Die ForscherInnen sind nur noch getrieben. Unser System gibt uns zum Glück noch die Möglichkeit des Rückzugs. Es wird aber allgemein immer weniger respektiert, dass Neues zu denken auch Ruhe braucht.
COMPETENCE: Welche Rolle spielt Interdisziplinarität für die Innovation?
Faistauer: In meinem Fach, Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (DaF/DaZ), eine große, wenn ich qualifizierten Unterricht anbieten will, muss ich mich auch mit anderen Forschungen auseinandersetzen. Die Studierenden bringen aus den anderen Fächern neue Zugänge in den eigenen Forschungs- und Lehrkontext zurück. Ein anderes Beispiel: Vor einigen Jahren wurde an unserem Fachbereich eine DaZ-Professur eingerichtet, die es uns ermöglicht migrationspädagogische Perspektiven stärker zu berücksichtigen. Das war und ist eine unglaubliche Bereicherung.
Kolland: Interdisziplinarität ist Teil einer Innovationsorientierung. Der Blick über Fächergrenzen hinweg bringt neue Gedanken ins eigene Fach. Für Studierende kann das aber mitunter auch schwierig sein, vor allem wenn beim Berufseinstieg die Frage "Wer bin ich eigentlich?" wichtig wird. Viele Stellen sind nach Disziplinen ausgeschrieben und der Wissenschaftsbetrieb, z.B. Begutachtungssysteme bei Publikationen, ist im Großen und Ganzen immer noch disziplinär ausgerichtet.
Glade: Mein ehemaliger Professor hat immer gesagt: Es braucht das Standbein und das Spielbein. Man muss seinen disziplinären Kern haben. Dann kann man hinüberschauen in andere Disziplinen, aber auch hinaus aus der Wissenschaft in die Praxis, und zusammenwirken. Ich bin fest überzeugt, dass wir die heutigen Probleme auf unserer Welt nicht aus einer Disziplin heraus lösen können, weder die Migrationsströme noch das Alter oder meine Naturkatastrophen.
COMPETENCE: Was brauchen Sie, um innovativ zu sein?
Faistauer: Wir werden fürs Denken bezahlt, das ist nicht so schlecht. Rückblickend hätte ich gerne weniger Verwaltungstätigkeit gehabt, die mir zugegebenermaßen großen Spaß gemacht hat, aber ohne sie hätte ich wahrscheinlich mehr und besser geforscht.
Glade: Wobei ich nicht so weit gehen würde und fordern, wir müssen jetzt einen Profi-Institutsvorstand aus der Wirtschaft holen, wie das im angelsächsischen Raum gang und gäbe ist – ein Chaos, weil Wissenschaft anders funktioniert als ein Industriebetrieb.
Faistauer: Was ich meine, ist das symbolische Kammerl, das es eben auch braucht, in das ich mich zurückziehen und Neues denken kann, Zeit zur Verfügung zu haben, die nicht von Papieren und organisatorischen Problemen ausgefüllt ist.
Glade: Natürlich brauche ich auch Geld. Und es wäre mir lieb, wenn der Aufwand, es zu beantragen, geringer wäre. Ich war vor kurzem in die Evaluierung eines Schweizer Forschungsinstituts eingebunden, wo Budget praktisch keine Rolle spielt, und es ist unglaublich, wie der dortige unbürokratische Zugang zu Mitteln die Produktivität antreibt.
"Neues kann nur aus einer gewissen Ruhe heraus entstehen. Es lässt sich nicht zwischen zwei Termine schieben", so Thomas Glade vom Institut für Geographie und Regionalforschung und Leiter des Universitätslehrgangs Risikoprävention und Katastrophenmanagement. (Foto: Barbara Mair/Universität Wien)
Kolland: Konkurrenzdenken halte ich nicht für besonders belebend, aber ein stärkerer Fokus auf Teamarbeit als große Anregung für Innovation, das würde uns in den Sozialwissenschaften guttun. Was sich auf bestimmte Formen der Innovation jedoch ungünstig auswirken kann, ist die zunehmende Verwertungsorientierung. Das mag durchaus antreiben, in bestimmte Richtungen, aber manche Dinge werden ausgeblendet.
Faistauer: Der Anspruch, stetig Neues zu schaffen, kann auch ins Gegenteil umschlagen. Man kann nicht am laufenden Band innovativ sein.
Glade: Darum würde ich gerne entschleunigen. Es sollte Aufgabe der Universität sein, diese gewisse Ruhe zu gewährleisten, nicht noch mehr Output, noch mehr Publikationen, noch mehr Drittmittel. Das ist ein zweischneidiges Schwert.
Kolland: Die Universitäten sollten mehr und längerfristig riskieren, mehr Vertrauen haben. Wir sollten uns nicht von Rankings und dergleichen in unserem Selbstbewusstsein behindern lassen. Oft verändert man zu schnell, aber Wachsen braucht auch Zeit.
Kadric-Scheiber: Ich denke, wir sind uns alle einig, dass gute Arbeitsbedingungen einfach sehr wichtig sind. Das kann mehr Zeit für die Forschung sein, ein gutes Sekretariat, ein bestimmtes technisches Gerät, Angebote zur Teamentwicklung. Ich möchte das, was ich Neues erdenke und beginne, in ein solides Forschungsprojekt umwandeln können.
Die zweite Ausgabe von COMPETENCE steht ganz unter dem Metathema "Wie entsteht Neues?". Das Magazin richtet sich an alle, die sich für Weiterbildung interessieren und sich über Trends im Bereich Postgraduate Studies und Lifelong Learning informieren möchten. Zum Magazin COMPETENCE