Lust oder Langeweile?

Was bewegt Menschen? Und was treibt speziell WissenschafterInnen an? Darüber diskutierten Konrad Liessmann, Claudia Theune-Vogt, Johannes Gstach und Maria Seissl am runden Tisch. Der Beitrag erschien in der ersten Ausgabe von COMPETENCE, dem neuen Magazin des Postgraduate Center der Universität Wien.

COMPETENCE: Sie alle kommen aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen. Was treibt Sie an?

Maria Seissl: Mich treibt der Wandel an, ich will aktiv gestalten. Ich will nicht getrieben werden, sondern selbst antreiben. Meine Motivation ist eine agile und sich Veränderungen stellende Institution, und keine Gedächtnisinstitution. Wir hatten einen Kongress zur Thematik offener und offensiver Bibliotheken. Da hat man gesehen, dass es sehr viele neue Betätigungsfelder gibt.

Johannes Gstach: Für Sigmund Freud sind die grundsätzlichen menschlichen Antriebe einerseits das Streben nach Lust und andererseits auch die Lust an der Zerstörung. Dieser merkwürdige Todestrieb will die Dinge in ihre amorphe Gestalt zurückführen. Das spielt auch in meinen wissenschaftlichen Arbeiten eine gewisse Rolle. Es macht Freude, Bestehendes in Frage zu stellen und es insofern auch einer gewissen Destruktion zu unterziehen. Mich treibt also die Freude am Entdecken von Neuem an, aber auch die Lust, etwas zu verändern.

Konrad Paul Liessmann: Nach Aristoteles strebt jeder Mensch von Natur aus nach Wissen. Wir sind einfach neugierige Wesen. Es ist eine der vornehmsten Motivationen, die Welt, in der wir leben, verstehen zu wollen. Søren Kierkegaard wiederum hat gesagt, dass die Vermeidung von Langeweile unser Handeln bestimmt. Das Leben an sich – essen, schlafen, beischlafen –, das ist eigentlich langweilig. Also gehen wir darüber hinaus, beschäftigen uns mit Wissenschaft, mit Kunst, mit Sport. Wir suchen Zerstreuung, Aufregung, Herausforderungen und engagieren uns. Und zwar nicht, weil wir edel sind, sondern weil uns sonst langweilig wäre.

Claudia Theune-Vogt: In der Archäologie werden häufig gesellschaftlich aktuelle Themen wie Migration oder Umwelt aufgegriffen, die dann zu dezidierten Forschungsfragen führen. Zu meinen persönlichen Antrieben gehört mit Sicherheit die Neugierde. Je konkreter eine Frage ist, desto neugieriger werde ich. Aber auch die Forschungsfragen meiner DoktorandInnen treiben mich an. Das ist ein sehr guter Antrieb, die jungen Leute pushen mich immer weiter.

"Ich will nicht getrieben werden, sondern selbst  antreiben", so Maria Seissl, organisatorische Leiterin des Universitätslehrgangs "Library and Information Studies" und Leiterin des Bibliotheks- und Archivwesens der Universität Wien.


COMPETENCE: Verändern sich Antriebe im Lauf der Zeit?

Johannes Gstach: Die Deutung der Ursachen hat sich verändert. Den Antrieb eines geistig behinderten Menschen etwa hat man in früheren Zeiten mit diabolischen Mächten in Verbindung gebracht. Was uns als Menschheit antreibt, lässt sich auf einer phänomenologischen Ebene vielfältigst beantworten: Es gibt Menschen, die von Angst angetrieben sind. Von Lebensnot, vom Druck, sich ökonomisch am Leben zu erhalten und aus Umständen zu flüchten, in denen das nicht möglich ist. Was uns antreibt, hängt dann von den sozialen Umständen ab, in denen Menschen leben und leben müssen.

Claudia Theune-Vogt: Es kommen natürlich auch Einflüsse von außen dazu. Wenn das Wetter kälter wird, dann muss ich einfach in eine wärmere Region ziehen, wo ich noch Nahrung finde. Im Spätmittelalter hat besseres Wetter zu besseren Ernten und zu einer Bevölkerungsexplosion geführt. Es ist immer wieder zu beobachten, dass die Menschen neue Herausforderungen bewältigen, aber umgekehrt auch, dass Techniken wieder verloren gehen.

Maria Seissl: Gleichzeitig gibt es aber natürlich auch Pioniergeister, die immer Neues entdecken wollen. Was ist hinter dem Wall, was ist hinter dem Berg, was ist hinter dem Meer? Und es ist nicht unbedingt immer der Überlebenstrieb, der das auslöst.

Konrad Paul Liessmann: Wir müssen unterscheiden: Einerseits haben wir gewisse innere Antriebe wie persönlichen Ehrgeiz. Auf der anderen Seite gibt es Probleme, die durch Umwelt, Gesellschaft, Kriege oder demografische Entwicklungen von außen an uns herangetragen werden. Und mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Es gibt also auch Antriebe, die erst durch bestimmte gesellschaftliche Notwendigkeiten zu Antrieben werden.

"Was uns antreibt, hängt von den sozialen Umständen ab", sagt Johannes Gstach, Leiter des Universitätslehrgangs Psychotherapeutisches Fachspezifikum: Individualpsychologie und Selbstpsychologie am Postgraduate Center.


COMPETENCE: Wie sieht es mit Geld als Antrieb aus? Müssen wir uns schämen, wenn wir um des Geldes willen arbeiten?

Johannes Gstach: Ich schäme mich nicht, dass ich für meine Arbeit Geld bekomme. Der Mensch ist nicht dafür geschaffen, Barmherzigkeit zu üben und von der Mildtätigkeit anderer zu leben. Der Geldmechanismus ist historisch gewachsen. Geld ist ein symbolisches Entgelt für eine Leistung, um sich damit andere Waren aneignen zu können. Eine andere Frage ist, ob unsere Gesellschaft dem Geld zu viel Wert beimisst.

Konrad Paul Liessmann: Das Streben nach Geld ist in unserer Zeit einer der stärksten Motivatoren. Es stellt sich aber die interessante Frage: Wonach strebt eigentlich jemand, der nach Geld strebt? Strebt er nach Macht oder nach einer Yacht, nach Ländereien oder nach Frauen? Ich weiß es einfach nicht, denn Geld steht immer nur für etwas anderes. Deshalb finde ich Menschen, die einfach nur nach Geld streben, sehr blass.

Maria Seissl: Der Idealzustand ist, wenn man etwas gerne tut und auch noch Geld dafür bekommt. Für viele Menschen sind aber Routine, Monotonie und Zwang an der Tagesordnung. Sie haben kaum Wahlmöglichkeiten und sind nicht glücklich.

"Wonach strebt eigentlich jemand, der nach Geld strebt?", fragt Konrad Paul Liessmann, Leiter des Universitätslehrgangs Philosophische Praxis am Postgraduate Center.


COMPETENCE: Beim Thema Antrieb fällt mir auch die Formulierung "sich gehen lassen" ein. Darunter wird oft verstanden, nichts zu tun …


Konrad Paul Liessmann: Nach Freud hat jedes organische Leben nur den einen inneren Antrieb, in den anorganischen Zustand zurückzukehren. Das Leben ist dann nur ein Umweg, um endlich sterben zu können. Im Leben bekommen wir ständig – etwa dank der Bequemlichkeitsindustrie – einen Vorgeschmack darauf, wie schön es wäre, nichts zu tun. Sich bewegungslos in ein Flugzeug zu setzen, das ist ein Vorgeschmack auf den Tod. Psychoanalytisch gesehen sind das zivilisierte Formen  thanatologischer Antizipationen. Aber auch der Schlaf als Bruder des Todes ist für uns immer der Beweis dafür, wie schön es ist, nichts zu tun. Wir würden über Triebe, Antrieb und Antriebslosigkeit ganz anders sprechen, wenn wir Wesen wären, die nicht schlafen müssten.

Claudia Theune-Vogt: Wir müssen zwischen dem Nichtstun und dem Sich-gehen-Lassen unterscheiden. Wer sich gehen lässt, sorgt nicht mehr für sich. Ich habe mich mit der Geschichte von Anne Frank beschäftigt. Sie hat irgendwann nicht mehr für sich gesorgt, sie hat sich gehen lassen. Das können wir auch in den Konzentrationslagern ganz gut fassen. Wer noch ein bisschen Selbstachtung hat, versucht noch etwas Hygiene zu bewahren und an Essen zu kommen. Anne Frank hat das am Ende nicht mehr gemacht. Sie hat sich gehen lassen und ist nach wenigen Tagen gestorben.

"Wer sich gehen lässt, sorgt nicht mehr für sich", meint Claudia Theune-Vogt, Leiterin des Zertifikatskurses "Archäologische Denkmalpflege" am Postgraduate Center und Dekanin der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät.