Karriere mit Sinn gesucht

Geld und Aufstieg sind für StudienabsolventInnen immer schwerer zu erreichen – und längst nicht mehr das, worauf es ihnen in der Karriere vorrangig ankommt. Sinnstiftung, Selbstverwirklichung und das Arbeiten für eine bessere Welt werden immer wichtiger, wissen die Karriere-ExpertInnen von Uniport.

Würde man die alten Griechen nach der Sinnerfüllung ihrer Arbeit fragen, wären sie wohl verwundert. Für sie war Arbeit in erster Linie ein Laster, das vom "schönen Leben" ablenkt. 2500 Jahre später will die neue Generation Z beides vereint wissen: Zeit zum Leben und eine Arbeit, die für Selbstverwirklichung genügend Freiraum bietet.

Ihr Motto: Arbeiten, um zu leben und nicht umgekehrt. "Flexible Arbeitszeitmodelle sorgen dafür, dass auch im Privatleben ausreichend Platz für eigene Interessen ist", erklärt Beate Großegger, die an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien lehrt und das außeruniversitäre Institut für Jugendkulturforschung leitet. Die Suche nach Autonomie und Selbstverwirklichung zählt mehr als Aufstieg und Karriere. Dies gilt insbesondere für weibliche Absolventinnen, wie viele Forschungsdaten über die Jahre gezeigt haben.

House of Jobs: ArbeitgeberInnen zum Zuhören, Fragen und Kennenlernen
Das neue Karriere-Event der Uni Wien "House of Jobs" am Mittwoch, 12. Juni 2019, unterstützt StudienanfängerInnen, Studierende und Alumni beim Planen ihrer beruflichen Zukunft. Unternehmen schicken für einen Tag ihre MitarbeiterInnen an verschiedene Uni Wien-Standorte, die sich in Gesprächen, Q&A-Areas und Job-Interviews vorstellen. Hier geht’s zu den Standorten in den Geistes- und Sozialwissenschaften

Klassische Karriere vor dem Aus?

Der Traum von der klassischen Karriere im Sinne von Aufstieg und hohem Gehalt rückt für die neue Generation der AbsolventInnen mitunter in weite Ferne. "Sie sind formal zwar deutlich besser qualifiziert als ihre Vorgängergenerationen, ihre persönlichen Karriereperspektiven sind aufgrund der Inflation der Bildungstitel aber gebremst. Immer mehr junge Menschen erreichen immer höhere Abschlüsse, was grundsätzlich ja erfreulich ist, aber eben auch dazu führt, dass der Wettbewerb um die wirklich guten Jobs schärfer wird", bringt Beate Großegger die derzeitige Situation auf den Punkt.

"Junge Talente brauchen gute Rahmenbedingungen", sagt Beate Großegger vom Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. "Autonomie und Selbstverwirklichung zählt mehr als Aufstieg und Karriere." (© Vreni Arbes Fotografie)

"Auch wenn man hohe Motivation mitbringt und bereit ist, in die berufliche Karriere viel Zeit und Energie zu investieren, bekommt man den absoluten Spitzenjob nicht so leicht", fasst die Kommunikationswissenschafterin und Jugendkulturforscherin zusammen. Sie sieht auch die psychische Gesundheit als Schlüsselthema der beruflichen Gesundheitsförderung. AbsolventInnen sind verunsichert, wie präsent das Thema Burnout bei den Vorgängergenerationen ist – zeigt dies doch, dass der Weg zum Spitzenjob seinen Tribut einfordern kann.

Selbstverwirklichung und Sinnsuche


Angesichts dessen ist nach dem Studienabschluss Kopfarbeit der anderen Art angesagt. Geistige Großkaliber à la: "Wer bin ich, was kann ich und was will ich?" müssen erstmal beantwortet werden. Nicht selten gesellen sich für Uni-AbsolventInnen noch weitere existentielle Fragen hinzu: "Welcher Job ist für mich sinnvoll? Ist das Unternehmen, bei dem ich arbeite, im Einklang mit meinen Werten? Lassen es die Rahmenbedingungen zu, dass ich meine Arbeit als sinnstiftend erfahren kann?"

Ein Job ist dann sinnvoll, wenn ein Mehrwert für die Gesellschaft darin enthalten ist. Das sollte auf jede Arbeit in unserer Gesellschaft zutreffen. Ob der Job auch als sinnerfüllt oder sinnstiftend erlebt wird, hängt von den eigenen Zielen und Werten ab. Oft geht es darum, die eigene Arbeit als wirksam zu erleben. Das, was ich tue, macht einen Unterschied – ich trage zum Unternehmensziel bei und bekomme im besten Fall noch Anerkennung dafür. Auch für Tatjana Schnell, Professorin am Institut für Psychologie an der Universität Innsbruck, ist das eigene berufliche Sinnerleben der Motivator schlechthin, um Leistungen zu erzielen und auch in schwierigen Zeiten am Ball zu bleiben.

Im Rahmen der Semesterfrage "Wie werden wir morgen arbeiten?" gibt Uniport – das Karriereservice der Universität Wien und Schnittstelle zwischen Universität und Berufswelt – regelmäßig Einblicke in aktuelle Arbeitstrends, befragt WissenschafterInnen der Universität Wien dazu und zeigt Beispiele aus der Praxis.

Unternehmen sind gefragt

Beate Großegger rät Unternehmen, bei der Suche nach High Potentials auf deren Bedürfnisse einzugehen. "Es geht darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit ambitionierte junge Leute das, was sie tun, auch gut und gerne tun", so die Jugendkulturforscherin. "Dazu gehört ein kommunikativer Führungsstil. Junge Talente brauchen Feedback, das sich respektvoll zu ihrer Eignung und ihren persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten äußert, aber nicht beschönigt. Ebenso wichtig sind größtmögliche Flexibilität in der Arbeitsgestaltung und individualisierte Anreizsysteme, die auf unterschiedliche Interessen der MitarbeiterInnen reagieren.

Das bestätigt Benjamin Herr, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Wien, für den sinnstiftende Arbeitsbedingungen auch das Resultat sozialpolitischer Aushandlung sind. "Die 'Freizeitoption' z.B. in der Elektro- und Elektronikindustrie ist ein Beispiel, wie Unternehmen versuchen, auf neue Bedürfnisse ihrer MitarbeiterInnen einzugehen. Beschäftigte können in diesem Sektor zwischen einer Lohnerhöhung oder mehr Freizeit wählen."

In Social Start-ups mitgestalten


Ein Teil von engagierten Jobsuchenden will die Dinge selbst in die Hand nehmen, frei nach der Annahme: Die Welt wird sich nicht nach unseren Vorstellungen entwickeln, wenn profitorientiertes Wirtschaftswachstum an erster Stelle steht. Es braucht Menschen, die selbst ihren Teil zur gesellschaftlichen Veränderung beitragen, sich für ihre Werte einsetzen möchten und sich nicht davor scheuen, Verantwortung zu tragen. Und hier bieten Social Start-Ups ein besonderes Potential."

Aber Selbstverwirklichung bezieht sich längst nicht mehr nur auf eigene Vorlieben und Interessen. "Viele GründerInnen von Social Start-Ups möchten die Welt zum Besseren verändern", erklärt Uni Wien-Soziologe Benjamin Herr, der sich in seiner aktuellen Publikation mit Essenauslieferungs-Start-Ups wie Foodora, Deliveroo und UberEats beschäftigt hat. (© Michel Mazohl)

Das Alleinstellungsmerkmal von Social Start-Ups ist sozialer Mehrwert. Das kann die ökonomische Teilhabe marginalisierter Gruppen sein, die Förderung entwicklungs- oder klimapolitischer Ziele oder schlichtweg die Nutzung nachhaltiger Ressourcen bei der Herstellung von Gütern", so Soziologe Benjamin Herr. "Bei manchen Projekten ist das Label 'Sozial' sicher eine Marketingmaßnahme. Aber bei manch anderem Social Start-Up ist die Grundmotivation, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern."

Sinn macht die neue Arbeitswelt


Ob profitorientiertes Unternehmen oder Social Start-Up – wie BewerberInnen und Unternehmen zusammenkommen, wird uns auch in Zukunft beschäftigen. Für Unternehmen zeigt sich, dass versprochene Werte wie Vertrauen, Freiheit oder Verantwortung auch tatsächlich gelebt werden müssen, um Sinnerleben für MitarbeiterInnen zu ermöglichen. Für AbsolventInnen hingegen gilt, sich über den eigenen Platz in der Arbeitswelt und deren Gestaltung Gedanken zu machen. Für unserer aller Zukunft darf sich für beide Seiten auch noch folgende Frage dazugesellen: "Wofür braucht mich die Welt?".

Mag. Anita Ring hat an der Uni Wien Psychologie studiert und ist bei Uniport als Karriereberaterin und Coachin beschäftigt. In ihren Beratungen unterstützt sie Studierende und AbsolventInnen dabei, den Bewerbungsprozess zu meistern und stimmige (berufliche) Ziele anzustreben. Die Themen Potentialfindung, Persönlichkeitsentwicklung sowie berufliche Veränderungen liegen ihr besonders am Herzen.