Hundertfüßer – Vielbeinige, klebrige Räuber
| 20. Dezember 2019Niemand "verklebt" seine Feinde im Tierreich schneller als der Hundertfüßer und wenn es kalt wird, vergräbt er sich einfach unter der Erde. Aufgrund seiner Anpassungsfähigkeit reichen seine Lebensräume vom Regenwald bis in die Wüste. Zoologin Margret Eckard über Spidermans größten Konkurrenten.
Mensch & Tier im Kurzportrait
Forscherin: Margret Eckhard (© Julia Noe)
Art/Gattung: Homo sapiens
Ernährung: Pizza, Pasta, Burger, Gemüse, Obst
Lebensraum: Büro, Labor, Hörsaal, Konferenzen
Vorkommen: Institut für Integrative Zoologie und Core Facility für Cell Imaging Ultrastrukturforschung (CIUS)
Forschungstier: Henia vesuviana, Haplophilus subterraneus, Strigamia maritima (© Margret Eckhard)
Art/Gattung: Geophilomorpha
Ernährung: Tubifex, Porcellio scaber
Lebensraum: Labor an der Universität Wien
Vorkommen: Europa
Was ist so faszinierend an Hundertfüßern?
Obwohl ich Hundertfüßer seit Jahren in Komposthaufen oder im Wald rumwuseln sehe, ist mir nie klar gewesen, welches Potenzial in den kleinen Tierchen steckt. Obwohl sie blind sind, jagen sie aktiv Beute und töten sie schnell mit Gift. Die Arten, die ich derzeit untersuche, verteidigen sich darüber hinaus gegen größere Räuber, indem sie eine Art Sekundenkleber aus Hautdrüsen absondern. Bislang dachte ich immer, die rennen schnell weg, wenn es ungemütlich wird. Jetzt weiß ich, dass Hundertfüßer noch mehr in petto haben.
Welche Rolle spielen Hundertfüßer in ihrem Ökosystem?
Wie der Name Geophilomorpha, Erdläufer, schon ahnen lässt, findet man sie im Boden oder im Laubstreu. Die Bohrtechnik, um in den Boden zu gelangen, ähnelt denen von Regenwürmern. So tragen sie zur Bodenbelüftung bei. Doch ihre Rolle als Bodenräuber ist unerforscht. Ein Spezialist ist zum Beispiel Strigamia maritima. Diese Art lebt zwischen Steinen im Sand direkt am Meer und sucht in den angespülten Algen nach Nahrung. Aufgrund des hohen Salzgehalts ist das eine schwierige Umgebung, an die sich die Tiere perfekt angepasst haben.
Welche Anpassungsstrategien verfolgen die Hundertfüßer?
Hundertfüßer sind sehr gut in der Lage, sich ungünstigen Lebensumständen anzupassen, solange die Temperatur und Feuchtigkeit in der Umgebung einigermaßen passen. Die Winterkälte überstehen die Hundertfüßer, indem sie sich in tiefere Bodenschichten verkriechen. Ähnliches gilt während der Sommertrockenheit.
Für den Fall, dass Hundertfüßer aussterben würde: Welche Lücke würden sie hinterlassen?
Es würde auf jeden Fall eine spannende und skurrile Tiergruppe in dieser Welt fehlen.
Ein Tag im Leben von Hundertfüßer...
Aufstehen, fressen, schlafen, einmal im Monat zur Klebstoffabgabe gestresst werden.
Wussten Sie eigentlich, dass…
Hundertfüßer alle Kontinente mit Ausnahme der Antarktis besiedeln. In den Tropen und Subtropen ist die Artenvielfalt am größten.
Mythen rund um Hundertfüßer…
Wenn in China ein Kind geboren wird, werden Drachen in Form von Hundertfüßern (WeiFang-Drachen) gebastelt, die aus Dutzenden filigraner Papierscheiben und einem prächtigen Drachenkopf bestehen. Diese Drachen lässt man dann steigen und wenn man die Zeichnung auf dem Kopf nicht mehr erkennen kann, wird die Halteleine durchtrennt und das prächtig gearbeitete Stück zum Opfer der Winde. Der mythologische Drachen besitzt im chinesischen Volksglauben die Eigenschaften der Weisheit und Stärke, er verheißt Glück und Segen. In Korea besagt ein Aberglaube, dass man einen Geldsegen erwarten kann, wenn man einen Hundertfüßer im Haus findet.
Wird ein Hundertfüßer angegriffen, schleudert er den aus Drüsen tretenden Klebstoff gegen Angreifer und "verkleistert" diese. (© Margret Eckhard)
Die Superkraft von Hundertfüßern
Ihr Superklebstoff! Er schießt innerhalb von Millisekunden aus den Drüsen und härtet sofort aus. Schneller klebt im Tierreich kaum einer, nicht einmal Spiderman.
Das Lebensmotto des Hundertfüßers
"Ein Weiser schaut nicht auf die Füße, er überlegt den nächsten Schritt."
Jedes Semester stellt die Universität Wien eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. Die Semesterfrage im Wintersemester 2019/20 lautet: Wie schützen wir die Artenvielfalt? Zur Semesterfrage
Der Hundertfüßer und ich: Wie haben wir uns kennengelernt?
Die erste bewusste Wahrnehmung der Tiere erfolgte während der Bestimmungsübungen während meines Bachelors. Doch so richtig intensiv beschäftige ich mich mit dieser Tiergruppe erst seit meiner PhD Arbeit.
Margret Eckhard ist Doktorandin am Institut für Cell Imaging und Ultrastrukturforschung an der Fakultät für Lebenswissenschaften.