Mein Business: Authentisch bleiben und Gänsehaut-Momente genießen

Mit ihrer Beratungs- und Kommunikationsagentur FullAccess lösen die Gründerinnen Christina Riedler und Martina Gollner nicht nur ihr eigenes Problem. Sie ermöglichen Menschen mit Behinderungen, Großveranstaltungen wie das Donauinselfest besuchen zu können.

Stellen Sie uns bitte Ihr Unternehmen in 2 Sätzen vor …
Christina Riedler:
FullAccess ist Dienstleisterin für VeranstalterInnen, die sich auf die KundInnengruppe der Menschen mit Behinderungen spezialisiert hat. Wir unterstützen VeranstalterInnen mit einem Angebot aus Kommunikationsdienstleistungen, Ticketing, Schulungen und Vor-Ort-Service bei allen Herausforderungen, die sich im Zusammenhang von Events und Barrierefreiheit stellen und ermöglichen ihnen auf diese Weise, sich gemäß der "Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung" zu positionieren und die Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention, wie im "Nationalen Aktionsplan Behinderung 2012–2020" festgesetzt, umzusetzen.

Im Dossier "Mein Business" stellen Alumni der Universität Wien ihr Startup vor und verraten Tipps und Tricks für (zukünftige) GründerInnen. Das Dossier läuft in Kooperation zwischen dem uni:view-Magazin, der DLE Forschungsservice und Nachwuchsförderung und dem Alumniverband.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen – und wann stand fest: Ich gründe eine Firma?
Riedler:
Die Idee zu FullAccess ist eng mit unseren persönlichen Erfahrungen verbunden: Ich begleite seit vielen Jahren ehrenamtlich sehbehinderte Personen bei deren Freizeitaktivitäten und meine Geschäftspartnerin Martina Gollner, die ich seit der Schulzeit kenne, ist Absolventin des Studiengangs Soziale Arbeit am FH-Campus Wien und seit Geburt an hochgradig sehbehindert. Basierend auf den Erfahrungen, die wir über die Jahre auf den unterschiedlichen Events im In- und Ausland gemacht haben, lösen wir mit FullAccess im Grunde unser eigenes Problem.

Indirekt ist aber auch die britische Heavy Metal Band Iron Maiden an der Gründung nicht ganz unschuldig. Auf einem Festival in der Nähe von London haben wir vor vier Jahren auf der Plattform, die allen Menschen mit Behinderungen zugänglich war, einen jungen Mann auf einer Krankenliege gesehen. Er konnte weder Arme, Beine noch den Kopf bewegen, war aber komplett in Fan-Montur gekleidet. Mitzuerleben wie jemand, der so schwer beeinträchtigt ist, ohne Vorbehalte Teil dieses Festivalerlebnisses sein konnte und die Bedeutung, die die Musik für diesen Menschen gehabt haben muss, hat uns sehr berührt. Da war uns klar: In Österreich muss sich etwas ändern!

Sie haben Theater,- Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien studiert. Inwiefern hat ihr Studium beim Weg in die Selbstständigkeit eine Rolle gespielt?
Riedler:
Meine Studienwahl hatte keinen Einfluss auf die Entscheidung, mich selbstständig zu machen, trotzdem ist mein Gründungsweg eng mit der Universität Wien verbunden. Denn durch eine Werbeaktion vor dem Hauptgebäude, bei der ein Getränkehersteller Flyer mit einer Wettbewerbs-Ausschreibung verteilt hat, bin ich 2015 sozusagen in die GründerInnenszene "reingerutscht". Damals war mir die Erstellung eines Businessplans genauso fremd wie das Wort "Pitch". Gewonnen haben wir zwar nicht, aber es war eine außergewöhnliche Erfahrung in einer Glasbox auf der Mariahilferstraße vor live zugeschalteten InvestorInnen zu pitchen.

Mit dieser Erfahrung im Gepäck habe ich – über das Gründungsprogramm u:start – einige Veranstaltungen der Universität Wien zum Thema "Entrepreneurship" sowie einen Workshop zum Thema "Lean Start-up" besucht. Diesen Workshop leitete wiederum einer der Consultants des universitären Gründerservice INiTS, das uns schließlich ins Startup-Camp aufgenommen hat. Zu dieser Zeit haben wir auch die erste Förderung durch die Wirtschaftsagentur Wien erhalten.

u:start – Infoabend
Sie haben eine Geschäftsidee und möchten sie zum qualitätsvollen Businessplan entwickeln? Dann bewerben Sie sich jetzt bei u:start! Am Infoabend am 26. September um 18 Uhr im Campus der Uni Wien (Alte Kapelle) erfahren Sie alles rund um das Ausbildungsprogramm – von den Gründungsworkshops und Ausbildungsseminaren bis zum Mentoring durch erfahrene UnternehmerInnen. Um Anmeldung wird gebeten: ustart(at)univie.ac.at

Haben Sie sich das Gründen so vorgestellt?
Riedler:
Wir haben es uns unbürokratischer vorgestellt. Allein die Unternehmensgründung war ein Gewaltmarsch. Die Tatsache, dass eine Gründerin von Geburt an hochgradig sehbehindert ist, hat viele öffentliche Stellen dazu veranlasst, dezidiert von einer Gründung mit einer Person mit Behinderung abzuraten: "zu unsicher, zu riskant". Daher ist viel Zeit und Energie allein in die Beantwortung der Frage nach der geeigneten Rechtform bzw. dem Anstellungsmodell geflossen, von der das Projekt auch (steuerrechtlich) profitieren kann. Dabei wurden wir mehrmals an Stellen wie das "GrüZe für Menschen mit Handicap" verwiesen, die zu diesem Zeitpunkt aber schon monatelang nicht mehr existierten! Die Lektion, die wir daraus gelernt haben: Zum Gründen braucht es einen langen Atem, TeampartnerInnen, auf die man sich zu hundert Prozent verlassen kann und ein hohes Maß an Belastbarkeit und Resilienz.

Was war für Sie die größte Herausforderung?
Riedler:
Den Fokus auf eine lösungsorientierte Herangehensweise zu richten, übertriebenen Perfektionismus abzulegen und sich immer wieder selbst zu motivieren.
 
Ihr schönster Augenblick?
Riedler:
Gänsehaut-Momente, wie das Feedback einer Begleitperson am heurigen Donauinselfest: "Ich habe meine Frau schon lange nicht mehr so lebendig erlebt". Um den Besuch der Familie einer Frau im Elektrorollstuhl mit diversen Beeinträchtigungen samt hochbetagter Mutter möglich zu machen, hat die Familie viel auf sich genommen, sogar ein rollstuhlgerechtes Fahrzeug für die Fahrt aus Linz wurde angemietet, und auch von unserer Seite war einiges an Detailplanung gefragt. Zu wissen, dass unsere Arbeit den Ausschlag für die Entscheidung gegeben hat, auf ein Festival zu kommen, macht unglaublich stolz, demütig und lässt jede Anstrengung vergessen.

Haben Sie Vorbilder?
Riedler:
Nicht wirklich. Mich faszinieren Menschen, die gegen alle Widrigkeiten Dinge erreicht haben, die man ihnen vielleicht nicht zugetraut hätte. Menschen, die Dinge ausprobieren, sich immer wieder neu erfinden und ihre kindliche Neugierde auch nach Rückschlägen behalten haben, sind meine Inspiration.

Welche Tipps würden Sie Ihrem damaligen "Gründer-Ich" aus heutiger Sicht geben?
Riedler:
Erinnere dich daran, dass Zeit ein äußerst dehnbarer Begriff ist. Von der Idee bis zur praktischen Umsetzung vergeht in der Regel dreimal so viel Zeit wie geplant – relax!
Lerne dich in Geduld zu üben und akzeptiere, dass Perfektionismus eine noble Tugend ist, die du aber besser schnell ablegst: "Just get s**t done!" Du wirst mit vielen Meinungen und "Ratschlägen" bombardiert werden, aber vertrau auf dein Bauchgefühl und auf dein Team. Niemand kennt dein Projekt besser als du.

Wie hätte Sie die Uni mehr unterstützen können?
Riedler:
Mir hat das Workshop- und Informationsangebot geholfen, allerdings war es für mich als totales "Greenhorn" damals eher ein Zufall, dass ich auf die Angebote der Uni zu dem Thema gestoßen bin. Es wäre sicher hilfreich, diese Angebote in den institutsinternen Newsletter-Aussendungen zu berücksichtigen. Wir freuen uns über den guten Kontakt zum Team Barrierefrei der Universität Wien.

Steckbrief

Name: Christina Riedler
Alter: 36
Studium: Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien
Gründungsjahr: 2016
Mein Business: FullAccess Event Services OG
Mein Motto: "Success is not final, failure is not fatal: it is the courage to continue that counts." (Winston Churchill)
Mein Tipp für GründerInnen: Gründet mit einer Idee, die euch persönlich wirklich etwas bedeutet, denn wenn herausfordernde Phasen kommen – und sie werden kommen – hilft euch diese Leidenschaft für euer Projekt weiter. Bleibt authentisch – eure Gegenüber merken den Unterschied.
Link zur Webseite: www.fullaccess.at // www.aeontickets.com

Das Interview führte Siegrun Herzog vom Alumniverband.