Digitalisierung wirkt: Wer beherrscht unsere Daten?

Uni Wien Alumna Silke Graf und IT-Rechtsexperte Nikolaus Forgó bringen ihre Expertise in aktuelle Debatten ein. Im Interview sprechen sie über Datensouveränität, digitale Tools im Rechtsalltag und Anforderungen an zukünftige Jurist*innen.

Kurz gesagt
- Datenschutz mitdenken: Wissenschaftliche Expertise und rechtliche Instrumente garantieren die Einhaltung des Grundrechts in der digitalen Entwicklung
- Digitalisierung wirkt: Juristische Berufsfelder werden digitaler und Arbeitsprozesse automatisiert
- An der Universität Wien werden zukünftige Jurist*innen auf digitale Herausforderungen vorbereitet

uni:view: Frau Graf, nach Ihrem Studium an der Uni Wien und Ihrer Ausbildung zur Rechtsanwältin sind Sie bei PwC Legal eingestiegen und sind dort mit der Digitalisierung des Rechts beschäftigt. Was bedeutet das?
Silke Graf:
Als Head of Legal Tech versuche ich, Prozesse der Rechtsberatung mithilfe digitaler Tools zu automatisieren und effizienter zu gestalten. Ein Beispiel aus dem unternehmerischen Alltag: Wenn Mitarbeiter*innen unsicher sind, ob sie Geschenke von Kund*innen annehmen dürfen, muss die jeweilige Rechtsabteilung die immer gleichen Fragen stellen, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Ein digitales Tool, das online abrufbar und rund um die Uhr zur Verfügung steht, stellt die Fragen automatisiert, gibt den Nutzer*innen unmittelbar eine Antwort und der Fall wird auch noch dokumentiert.

uni:view: Und Sie, Herr Forgó, liefern am Institut für Innovation und Digitalisierung des Rechts der Universität Wien die theoretische Basis?
Nikolaus Forgó:
Genau! Wir forschen zu Aspekten wie E-Commerce- und Verbraucherschutzrecht, aber auch Innovation in den juristischen Berufsfeldern und Legal Tech. Das, was wir in der Forschung entwickeln, muss natürlich in der Praxis geprüft und eingesetzt werden – deshalb brauchen wir Personen wie Frau Graf.

Grafik mit Schriftzug "Wirkt"

Die Universität Wien kooperiert in der Forschung mit Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Ihre Lehre bereitet jährlich rund 10.000  Absolvent*innen auf ihre Berufslaufbahn vor und regt sie zu kritischem Denken und selbstbestimmtem Handeln an. Mit dem Themenschwerpunkt "Wirkt. Seit 1365." zeigen wir Ihnen in verschiedenen Beiträgen, was die Universität Wien für unsere Gesellschaft leistet.

Datensouveränität in der Digitalisierung

uni:view: Und wie sieht es mit dem Recht in der Digitalisierung aus?
Forgó:
Ein Aspekt, mit dem wir uns in diesem Kontext beschäftigen, ist die Datensouveränität – wer beherrscht unsere Daten? Unsere Aufgabe als Jurist*innen ist es, mit rechtlichen Instrumenten zu garantieren, dass im Zuge der technologischen Entwicklung Grundrechtspositionen nicht aufgegeben werden (müssen). Ich bin beispielweise bei einem Projekt dabei, in dem smarte Polizeihelme entwickelt werden: Ein im Helm integriertes Display soll den Polizist*innen anzeigen, wer das Gegenüber ist und ob die Person vielleicht schon vorbestraft ist. Ob das mit dem Grundrecht vereinbar ist? Es kommt darauf an! Und zu ermitteln, worauf es genau ankommt, ist unser Job.

Abbildung des Coronavirus

Corona-Virus: Wie es unser Leben verändert
Von neuen familiären Abläufen bis hin zu den Auswirkungen auf Logistikketten: Expert*innen der Universität Wien sprechen über die Konsequenzen des Corona-Virus in unterschiedlichsten Bereichen. (© iXismus/Pixabay)
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uni:view: Apropros Grundrecht: Was geht Ihnen als IT-Rechtsxpert*innen bei aktuellen Diskussionen rund um Standort-Tracking und Corona-Apps durch den Kopf?
Forgó:
Ich bin wissenschaftliches Mitglied des Datenschutzrats, ein Beratungsgremium für die österreichische Bundesregierung, und habe in dieser Funktion ein Gutachten zu Tracing-Apps verfasst. Darin habe ich mich klar dafür ausgesprochen, ein Gesetz zu schaffen, das den freiwilligen Gebrauch einer Corona-App garantiert. Zu Beginn war ich auch am Rande mit der Entwicklung von NOVID-19 befasst, einer Tracing-App, die den Datenschutz von Anfang an mitgedacht hat, also "privacy by design" versucht. In Georgien wird die App, wie ich höre, bereits eingesetzt, in anderen Ländern steht sie möglicherweise vor der Implementierung. Doch mittlerweile ist eine App auf meiner persönlichen Liste an Dingen, die wir im Kampf gegen das Coronavirus brauchen, nach hinten gerutscht – wir tragen zum Beispiel häufig keine Masken bzw. halten uns nicht an MNS-Empfehlungen, obwohl das eine so einfache und grundrechtsfreundliche Maßnahme wäre. Ob es vor diesem Hintergrund eine App braucht, weiß ich nicht.

Graf: Da zeigt sich eine deutliche Schieflage: Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes wird als einschränkender empfunden als eine App, die Standortdaten trackt. Datenschutz ist ein medienwirksames Thema, über das sich viele Menschen rasch eine Meinung bilden, doch wird die Tragweite mancher Entscheidungen nicht erkannt.

uni:view: Frau Graf, COVID-19 hat der Digitalisierung einen Schub gegeben. Welche Veränderungen können Sie in Ihrem Bereich wahrnehmen?
Graf:
Es sind viele neue und spannende Ideen entstanden, doch aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Krise sind Unternehmen verständlicherweise sehr zurückhaltend Investitionen für Projekte zu tätigen, die sie als nicht absolut notwendig erachten. Die Rechtsbranche wird für Technologie und Innovation zwar aufgeschlossener, aber es ist noch ein langer Weg.

Digitalisierung: Anforderungen an zukünftige Jurist*innen

uni:view: Wie kann bereits in der Ausbildung der Grundstein für ein neues Mindset gelegt werden?
Forgó:
In meine Lehrveranstaltungen lade ich immer wieder Vertreter*innen aus der Praxis ein – etwa Partner*innen von Facebook, Google oder Microsoft, aber auch von kleinen und mittelständischen europäischen Untrernehmen. Sie schildern reale Probleme und die Studierenden entwickeln einen rechtlichen Zugang zu diesen Problemen. Das, was sie bei uns lernen, findet Anwendung und wirkt in die Gesellschaft hinein. Im Rahmen von Hackathons entwickeln Studierende auch konkrete Tools und Apps zu aktuellen Themen, die dann auf einen Markt treffen. So ist zum Beispiel ris+ entstanden, eine Suchmaschine für Gesetze, die das Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) nutzbarer machen möchte, oder hatefree.net, eine digitale Toolbox für Opfer von Kriminalität im Netz.

Graf: Ich habe an der Universität Wien studiert und 2016 den Lehrgang Informations- und Medienrecht absolviert – das hat meinen Horizont erweitert und mir gezeigt, was wir mit Recht alles tun können. Es ist so wichtig, bereits in der Ausbildung mit digitalen Themen in Berührung zu kommen, denn nichts anderes wird Absolvent*innen in der Praxis erwarten.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch!
(hm)

Nikolaus Forgó ist Professor am Institut für Innovation und Digitalisierung des Rechts der Universität Wien und forscht zu allen Fragen des IT-Rechts, insbesondere Datenschutz- und Datensicherheitsrecht. Er ist u.a. für die Europäische Kommission, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, den Deutschen Ethikrat und verschiedene deutsche und österreichische Ministerien beratend tätig. In der Podcast-Reihe Ars Boni spricht er mit internationalen Expert*innen über Themen rund um COVID-19 und Recht.

Silke Graf studierte Rechtswissenschaft an der Universität Wien und absolvierte den postgradualen Universitätslehrgang Informations- und Medienrecht unter der Leitung von Nikolaus Forgó. Seit 2019 ist sie Head of Legal Tech bei PwC Legal Austria. Für ihre Leistungen wurde sie 2018 mit dem "Woman of Legal Tech Award" ausgezeichnet.