Buchtipp des Monats von Walter Manoschek
| 12. Mai 201615 Stunden lang interviewte Politikwissenschafter Walter Manoschek den ehemaligen SS-Unterscharführer Adolfs Storms. Daraus entstand eine preisgekrönte Dokumentation. Nun verarbeitete Manoschek das Material in der kürzlich erschienen Monographie "Dann bin ich ja ein Mörder!".
uni:view: 2008 gelang es Ihnen einen der mutmaßlichen Täter vom Massaker im burgenländischen Deutsch Schützen, den damals 89-jährigen Adolf Storms, zu interviewen. Das Resultat war ein Dokumentarfilm, der mehrfach prämiert wurde. Kürzlich ist auch ein Buch von Ihnen dazu erschienen, dem die DVD beigelegt ist. Warum war es Ihnen wichtig zusätzlich zum Film ein Buch zu verfassen?
Walter Manoschek: Dokumentarfilm ist ein gänzlich anderes Medium als gedruckter Text. Die Erzählstruktur muss klar und stringent verlaufen. Insbesondere dann, wenn man auf Kommentare aus dem Off verzichtet. Ich habe die Dokumentation so aufgebaut, dass sich die Geschichte quasi von selbst erzählt. Dann gilt es eine Dramaturgie zu entwerfen. Schließlich möchte man ja, dass die TV-ZuseherInnen nicht nach zehn Minuten zum nächsten Kanal switchen. Mit TV-Ausstrahlungen kann man Hunderttausende erreichen. Der Film wendet sich nicht nur an ein Spezialpublikum. Man muss die gängigen Sehgewohnheiten berücksichtigen, ohne inhaltliche Abstriche zu machen.
In einer Monographie hingegen kann man breiter ausholen und kontextualisieren. Der Text ist nicht auf eine bestimmte Seitenzahl beschränkt, sodass ein größerer erzählerischer Rahmen möglich ist. Die Beilage der DVD zum Buch soll zeigen, dass Buch und Film nicht deckungsgleich sind, sondern sich ergänzen. Interessanterweise hatte ich drei Jahre lang kein Konzept für ein Buch gefunden. Obwohl es aufgrund meiner Ausbildung anzunehmen gewesen wäre, dass es für mich leichter wäre ein Buch zu schreiben, als in einem Prozess des "Learning by doing" einen Dokumentarfilm zu gestalten. Bis zum Zeitpunkt des Drehs hatte ich noch nicht einmal eine Filmkamera in der Hand gehalten.
uni:view: Wie sind Sie persönlich damit umgegangen, nicht nur einem NS-Täter zu begegnen, sondern auch viel Zeit mit ihm zu verbringen und persönliche Gespräche zu führen?
Manoschek: Die Grundvoraussetzung liegt in der eigenen Erfahrung. Ich beschäftige mich seit dreißig Jahren mit Holocaustforschung. Vor zwanzig Jahren hätte ich ein solches Gespräch nicht führen können. Bei Interviews mit Tätern ist es zudem unabdingbar, mehr über die Tat zu wissen als der Täter selbst. Andernfalls bekommt man Deckerinnerungen serviert, die man nicht beurteilen kann und die letztlich wertlos sind. Und man muss innere Distanz halten. Ich habe Adolf Storms nie als einen vor mir sitzenden Massenmörder gesehen. Ich hatte keinen Masterplan, sondern war hochkonzentriert und agierte aus dem Bauch heraus. Das Schwierigste war, die Gesprächspausen halten zu können. Unser unausgesprochenes Arbeitsbündnis bestand darin, dass er mir etwas erzählen und ich von ihm etwas wissen wollte. Er hat ja diese Interviews freiwillig gemacht – aus welchen Gründen auch immer.
uni:view: Elfriede Jelinek schrieb über Ihren Film "Ich finde diesen Film großartig, vor allem weil er so sachlich ist." Das trifft auch auf das Buch zu. War das Ihr Anliegen, einen sachlichen Bericht über das Massaker zu machen – ist das denn bei einem Massenmord überhaupt möglich?
Manoschek: In der Holocaustforschung macht es keinen Sinn, emotional und moralisierend an ein Thema heranzugehen. Dass der Holocaust schrecklich gewesen ist, wissen wir. Vielmehr geht es darum, den Nationalsozialismus und den Holocaust verstehen zu lernen. Dass bedeutet, sich auf dessen innere Logik einzulassen – so schwer das auch ist. Erst wenn wir die Mechanismen der Taten und die Mentalitäten der Täter verstehen, können wir daraus für die Gegenwart und die Zukunft lernen. Trotz kilometerlanger Holocaustliteratur und Holocaustfilmen bin ich in diesem Punkt leider nicht sehr optimistisch. Dennoch: Wer hat uns versprochen, dass das Leben einfach ist…
GEWINNSPIEL BEREITS VERLOST!
Nicht so schlimm: in der in der Universitätsbibliothek finden sich die Werke zum Ausborgen.
1x "Dann bin ich ja ein Mörder!". Adolf Storms und das Massaker an Juden in Deutsch Schützen" von Walter Manoschek (inkl. DVD des Dokumentarfilms)
1 x "Unterwerfung" von Michel Houellebecq
uni:view: Und nun zu Ihrem persönlichen Buchtipp für unsere LeserInnen. Welches Buch empfehlen Sie?
Manoschek: Es sind zwei Bücher. Sie scheinen aufs Erste nichts miteinander zu tun zu haben. Sie spielen zu verschiedenen Zeiten und sind auch von den Textsorten unterschiedlich. Das erste Buch ist Stefan Zweigs "Die Welt von gestern". 1941, ein Jahr vor seinem Selbstmord in Brasilien geschrieben, ist es ein autobiographischer Rückblick auf die Verwerfungen der ersten Jahrhunderthälfte, in der kein Stein auf dem anderen geblieben ist.
Das zweite Buch ist Michel Houellebecqs "Unterwerfung". Ein futuristischer Roman, der in Frankreich des Jahres 2022 angesiedelt ist und ein Szenario entwirft, dass unserer Gesellschaft ihre Albträume schonungslos vorhaltet. Blicken wir nur auf die politischen Veränderungen der letzten zehn Jahre zurück – Finanzkrise, Arabischer Frühling, Ukraine, Syrien, IS usw. – so hätte wohl niemand eine solche Entwicklung prophezeit. Legt man "Die Welt von gestern" als Folie über die "Unterwerfung" dann stockt einem der Atem.
uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesen Büchern einfallen?
Manoschek: Die erste 19. Jahrhunderthälfte entwickelte sich hin zu einem heute noch kaum begreifbaren Inferno. "Unterwerfung" skizziert eine von denkbaren, aberwitzigen Entwicklungsmöglichkeiten – die vielleicht schon in ein paar Jahren überholt ist.
uni:view: Sie haben die letzten Sätze der Bücher gelesen. Was bleibt?
Manoschek: Es bleibt ein großes Unbehagen an die Zukunft – und das ist noch der hoffnungsvollste Begriff der mir dazu einfällt. (td)