Buchtipp des Monats von Anna Durnova

Vor genau 150 Jahren, 1865, ist der Vorreiter in Sachen Hygiene, Ignaz Semmelweis, in Wien verstorben. Eine aktuelle Publikation der Politologin Anna Durnova von der Universität Wien beschäftigt sich mit diesem Ausnahmemediziner. In uni:view erzählt sie von ihrem Werk und gibt eine Buchempfehlung ab.

uni:view: Kürzlich ist Ihre Publikation "In den Händen der Ärzte. Ignaz Semmelweis – Pionier der Hygiene" erschienen, in der Sie sich intensiv mit der Lebensgeschichte von Ignaz Semmelweis beschäftigen. Was fasziniert Sie an diesem medizinischen Vordenker?
Anna Durnova:
Sein Kampf um die Wahrheit und sein letztendliches Scheitern, das uns viel über die Entstehung einer Entdeckung verrät. Ignaz Semmelweis war ein Gynäkologe, der seine Karriere dem Kindbettfieber geopfert hatte. Jede sechste Mutter starb bei der Geburt an Kindbettfieber, als Ignaz Philipp Semmelweis im Jahre 1846 die Bühne betrat.

Diese Krankheit war eigentlich ein Alptraum aller Geburtshelfer seiner Zeit. Die Epidemien von Kindbettfieber sorgten im 19. Jahrhundert in allen großen europäischen Krankenhäusern zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Ärzten über die Ursachen. Dieses meistens nach der Geburt auftretende hohe Fieber bei der Mutter führte zum Tod. Man wusste nicht wirklich warum, es gab allerlei Theorien, die Mehrheit erklärte die Krankheit durch den besonderen psychischen oder körperlichen Zustand der Mütter.

Ignaz Semmelweis hat die Krankheit nicht als eine Frauenkrankheit verstanden und meinte, es wäre eine massive Entzündung, die man durch entsprechende Desinfizierung der Hände von Seiten der Ärzte beheben könne. Seine statistischen Aufzeichnungen und seine Desinfizierungspraxis haben ihm Recht gegeben. Aber wie und wodurch diese Entzündung entsteht, das konnte Semmelweis den Fachkollegen gegenüber nicht erklären, weil er die Keime, welche die Entzündung verursachten, weder benennen noch sehen konnte.
 
uni:view: Er musste hart für die Durchsetzung seiner Denkansätze, u.a. "Hände waschen", kämpfen. Warum gab es diesen großen Widerstand?
Durnova:
Semmelweis erklärt eigentlich als erster die Händedesinfektion zum Mittel gegen Verbreitung von Krankheiten. Das war vor 150 Jahren eine vollkommen neue Erkenntnis. Sie baute auf dem Prinzip der Kontaktinfektion, die heute im Zentrum aller möglichen Hygienemaßnahmen steht. Zu seiner Zeit wurde allerdings den Händen diesbezüglich keine wichtige Rolle beigemessen. Man hat vor allem die Luft als Medium der Verbreitung gesehen, und dies hat sich auch auf die Vorstellung vom Kindbettfieber ausgewirkt.

Ich zeige in dem Buch noch einen anderen zentralen Aspekt des Widerstands: Und zwar wie wissenschaftliche Argumente im Kontext des gesellschaftspolitischen Alltags entstehen und wahrgenommen werden, und dass Emotionen diesen Prozess steuern. Dass junge ledige Mütter die häufigsten Opfer dieser Krankheit waren, war genauso prägend wie die Tatsache, dass mit der Entstehung der großen Geburtskliniken das Kindbettfieber erst epidemisch auftrat und daher bei vielen Angst und Misstrauen vor dieser neuen Einrichtung, und vor den Geburtshelfern, auslöste.

Dass die Hände der Ärzte im Mittelpunkt des Konfliktes standen war ebenfalls bedeutend: Es gab ihnen die Schuld an den Todesfällen und nährte den Berufsstreit der Ärzte mit den Hebammen, den wir eigentlich bis heute, wenn auch in anderen Formen, erleben.

uni:view: Semmelweis machte an der Universität Wien seinen Abschluss und seine Entdeckung wurde auch hier im Jahre 1846 gemacht. Wie war seine Beziehung zu Wien?

Durnova:
Es war kurz gesagt eine Hassliebe. Semmelweis bewunderte Karl Rokitanski und verdankte ihm die wesentliche Inspiration für seine Forschung. Die Wiener Karriere schien zunächst ein erfolgreicher Höhepunkt zu sein. Semmelweis' Vertrag an der 1. Abteilung der Geburtshilfe wurde aber im Jahre 1849 nicht verlängert und er verließ 1850 Wien, um in Budapest weiter tätig zu sein.

Für mich war interessant, wie der Wiener Alltag des 19. Jahrhunderts und Semmelweis' Entdeckung in einer Wechselwirkung standen. Es ist nie belegt worden, dass Johann Klein – sein Vorgesetzter – Semmelweis tatsächlich wegen seiner Entdeckung loswerden wollte. Gleichzeitig haben jedoch weder Klein noch ein anderer etablierter Fachkollege aus der Geburtshilfe in Wien seine Aufforderung, die Hände zu desinfizieren, unterstützt. Noch nach seiner Abkehr von Budapest gab es immer wieder Auseinandersetzungen mit den Wiener Kollegen, und die Wiener Abteilung hat Semmelweis' Desinfektionspraxis erst Jahre nach seinem Tod eingeführt.

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung.

1 x "In den Händen der Ärzte. Ignaz Semmelweis – Pionier der Hygiene" von Anna Durnova
1 x "Die Pest" von Albert Camus


uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Durnova:
Wenn wir schon beim Kampf um die Wahrheit sind, dann "Die Pest" von Albert Camus. Der Gegenstand des Buches, der Kampf gegen die Pestepidemie in Algerien, liest sich zunächst als eine recht depressive Geschichte. Eigentlich ähnlich wie Semmelweis' Kampf. Aber in diesem Kampf mit dem Tod gibt es für mich auch ganz wesentliche positive Momente; wie etwa, dass die Wahrheit eigentlich immer eine Erleichterung ist.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Durnova:
Die Moderne ist fatal lösungsorientiert: Wenn es keine Lösung gibt, dann ist nur Scheitern möglich. Das Erkennen seiner eigenen Grenzen, die Gewissheit, dass man scheitern wird, kann aber als ein wichtiger Moment der Menschlichkeit verstanden werden. Doktor Rieux weiß, dass er scheitert, aber er bewahrt sein Gesicht. Er akzeptiert das Ende tapfer und nähert sich diesem entschlossen und mutig. Diesen Mut brauchen wir ständig, heute wie damals – und vor allem in der Wissenschaft, wenn Neues entdeckt wird.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?

Durnova:
Die eigene Fortsetzung der Geschichte im Kopf. Das Bedürfnis, mit der Hauptfigur mal auf einen guten Kaffee zu gehen. (red)