Buchtipp des Monats von Nuno Maulide

Nuno Maulide am Tisch lesend

Chemie ist überall, ob in Medikamenten, Smartphones oder Zahnpasta – ohne sie wäre unser Alltag ein gänzlich anderer. Der Chemiker Nuno Maulide beschreibt in seiner jüngsten Publikation gemeinsam mit Tanja Traxler die enorm vielschichtige Welt der Chemie.

uni:view: Der Titel Ihrer jüngsten Publikation, die Sie gemeinsam mit der Physikerin Tanja Traxler geschrieben haben, lautet "Die Chemie stimmt! Eine Reise durch die Welt der Moleküle". Wohin führt die Reise Ihre Leser*innen?
Nuno Maulide: Im Buch nehmen wir die Leser*innen mit auf eine wunderbare Reise durch die Welt der Chemie. Wir zeigen, wie weit verbreitet die Chemie im Alltag ist und warum manche Sprüche (wie zum Beispiel: "Ich möchte keine Chemikalien in meinem Essen!") absurd sind, da all das, was es um uns gibt, aus Chemikalien besteht. Selbst die Unterscheidung "natürlich" und "unnatürlich" macht wenig Sinn, wenn man verstanden hat, dass es keinen Unterschied gibt zwischen einem Molekül A, welches in der Natur vorkommt, und demselben Molekül A, das in einem Chemielabor hergestellt wurde.

Das hat aber nichts mit einer blinden Wissenschaftsgläubigkeit zu tun – uns geht es darum, ein grundlegendes Verständnis für die Chemie zu vermitteln, womit jeder selbst besser abwägen kann, in welchen Bereichen wir uns mehr Chemie wünschen sollten oder eher nicht.

uni:view: Einleitend im Klappentext steht die Frage "Ist die Chemie besser als ihr Ruf?" Was sagen Sie dazu?
Maulide: Ja, die Chemie ist definitiv besser als ihr Ruf! Stellen wir uns kurz eine Welt ohne chemische Forschung und Industrie vor: Es wäre eine Welt, in der die meisten Menschen keine 50 Jahre alt werden, weil es keine Antibiotika oder Impfungen gibt. Es wäre eine Welt, in der Hungersnöte die gesamte Menschheit betreffen, weil es keine Düngemittel, Kunststoffverpackungen oder Konservierungsmittel gibt. In einer Welt ohne Chemie gibt es natürlich auch keine Deosprays, Autos oder Smartphones. Ich denke, damit ist klar: Vieles, was wir schätzen und was uns völlig selbstverständlich ist, basiert auf chemischer Forschung.

Jedes Semester stellt die Universität Wien eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. Die Semesterfrage im Wintersemester 2020/21 lautet: "Welche Wirkstoffe haben Zukunft?" Zur Semesterfrage 

uni:view: Wie beeinflusst Chemie unseren Alltag?
Maulide: Chemie ist wirklich überall: Wenn man in der Früh aufsteht und die Zähne putzt, ist die Zahnpasta eine sorgfältig vorbereitete Chemikalienmischung; die Duschgels und Shampoos, die wir benutzen, sind ebenfalls Produkte der chemischen Kosmetikindustrie. Falls wir krank sind, nehmen wir Tabletten, die in der überwiegenden Mehrheit aus Einzelsubstanzen chemischer Natur bestehen. Viele Textilien für unsere Kleidung resultieren aus chemischen Prozessen. Darüber hinaus ist ein Grundverständnis für chemische Prozesse notwendig, wenn wir uns gesund ernähren wollen und ein langes Leben führen wollen. Denn auch Atmung, Verdauung oder Zellalterung sind raffinierte chemische Prozesse.

uni:view: Im Buch werden chemische Lösungsansätze für globale Probleme wie Klimawandel oder Ernährungssicherheit diskutiert. Können Sie ein Beispiel geben?
Maulide: Die Chemie hilft uns schon jetzt dabei, nachhaltige Energieformen zu erschließen, innovative Akkus oder neue Recyclingverfahren für Plastik zu entwickeln. Im Buch wagen wir auch einen Blick in die Zukunft und sehen uns an, an welchen Zukunftsprojekten Chemiker*innen weltweit arbeiten. Bei diesen Projekten geht es zum Beispiel um ein Auto, das mit Wasser statt Benzin betrieben wird, oder ein künstliches Blatt, welches aus Kohlendioxid Sauerstoff herstellt.

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung:

1 x "Die Chemie stimmt! Eine Reise durch die Welt der Moleküle" von Nuno Maulide und Tanja Traxler 
1 x "The Tipping Point" von Malcolm Gladwell

uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren Leser*innen? 
Maulide: "The Tipping Point" von Malcolm Gladwell. Gladwell ist ein bekannter kanadischer Autor. Das erste Buch von ihm das ich gelesen habe war "Blink" – ab dem Moment war ich sofort ein Fan seiner Analysen.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Maulide: Genau in diesen Zeiten ist es faszinierend zu lesen, wie Gladwell im Buch bereits im Jahr 2000 "drei Gesetze von Epidemien" definiert hat – nicht an virale Epidemien wie die Coronakrise denkend, sondern z.B. an Botschaften, Ideen oder einfach Moden, die in unseren Köpfen genauso "ansteckend" sind.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Maulide: Wie winzig kleine Faktoren die Ursachen für viele, mysteriöse Änderungen in unserer Gesellschaft sein können!

Nuno Maulide ist seit Oktober 2013 Professor für Organische Synthese an der Universität Wien. Hier forscht er vor allem im Bereich der stereoselektiven Synthese von organischen Verbindungen und an der Entwicklung von neuen Synthesemethoden sowie deren Anwendungen für die gezielte Herstellung bioaktiver Naturstoffe. Ein großes Thema dabei ist eine nachhaltige, umweltfreundliche Chemie – ein Bereich, für den er 2016 einen "Consolidator Grant" des ERC erhielt. 2019 wurde Nuno Maulide zum "Wissenschafter des Jahres 2018" ernannt.