Buchtipp des Monats von Jakob Pietschnig

Jakob Pietschnig

Warum man lieber die Finger von Intelligenztests aus dem Internet lassen soll, wie sich Intelligenz tatsächlich messen lässt und warum der globale IQ sinkt, all das erklärt der Intelligenzforscher Jakob Pietschnig von der Uni Wien im Interview zu seiner jüngsten Publikation.

uni:view: Kürzlich ist Ihre Publikation "Intelligenz: Wie klug sind wir wirklich?" erschienen. Wie definieren Sie Intelligenz?
Jakob Pietschnig: Eine von allen akzeptierte wörtliche Definition von Intelligenz gibt es leider nicht. Wenn wir uns darunter aber die Schnittmenge von Klugheit, Begabung und Weisheit vorstellen, dann nähern wir uns der Sache schon gut an. Unter Intelligenzforscher*innen herrscht allerdings auch ohne eine "verbatim-Definition" ein guter Konsensus darüber was Intelligenz darstellt, warum sie wichtig ist und wie sie gemessen werden kann.

Wichtig ist es festzuhalten, dass es für verschiedene Anforderungen auch verschiedene spezifische Fähigkeiten braucht. So ist beispielsweise für das Lösen einiger Probleme mehr erfahrungsgebundenes Wissen (d.i. kristalline Intelligenz) für andere das schlussfolgernde Denken (d.i. fluide Intelligenz) wichtiger. Allerdings sind in der Allgemeinbevölkerung alle diese spezifischen Fähigkeiten positiv miteinander verbunden – das nennt man die positive Kupplung der Intelligenz. Das bedeutet, dass gute Schlussfolgerer*innen auch in der Regel gute Rechtschreiber*innen und Raumvorsteller*innen sind und umgekehrt. Trotzdem gibt es natürlich individuelle Stärken und Schwächen.

uni:view: Menschen sind sehr unterschiedlich. Plakativ gefragt: Während jemand eine Begabung für Zahlen hat, ist die andere Person sehr kreativ. Lässt sich Intelligenz tatsächlich messen
Pietschnig: Intelligenz lässt sich mit angemessenen psychometrischen Testinstrumenten sehr gut messen. Solche Testinstrumente sind auch ausgezeichnet dafür geeignet Stärken- und Schwächeprofile von Testpersonen darzustellen und damit auch Fördermöglichkeiten zu eröffnen. Hinter der Entwicklung solcher Testinstrumente steckt aber eine Menge Know-How und oft jahrzehntelange Entwicklungsarbeit.

Die Qualitätsstandards, die von solchen Tests verlangt werden, sind rigoros. Das was einem im Internet oder an anderen Stellen als IQ-Test präsentiert wird entspricht diesen Kriterien in keinster Weise. Es gehört auch eine entsprechende Ausbildung dazu, Intelligenztests zu administrieren, auszuwerten und zu interpretieren. Illustrieren lässt sich das beispielsweise anhand des österreichischen Psychologengesetzes. Dieses besagt, dass nur Personen, die einen akademischen Diplom- oder Masterabschluss eines zumindest 10-semestrigen Psychologiestudiums vorweisen können, befähigt (und berechtigt) sind einen IQ-Test zu erwerben oder vorzugeben.

uni:view: Sie konnten bei Ihren Forschungen an der Universität Wien nachweisen, dass der globale Intelligenzquotient sinkt. Wie sind Sie darauf gekommen?
Pietschnig: Ein Kollege und ich konnten 2015 in einer Überblicksstudie zeigen, dass der globale IQ über einen Großteil des 20. Jahrhunderts angestiegen ist, sich der Anstieg aber seit den 1980ern verlangsamt hat. In Folge wollten wir feststellen, ob sich der Anstieg auch im 21. Jahrhundert fortsetzt und in weniger gut untersuchten spezifischen IQ-Domänen, wie der Raumvorstellungsfähigkeit, zeigt.

Wir waren überrascht eine Abnahme seit den 1990ern beobachten zu können, vermuteten aber zunächst, dass das eventuell an speziellen Merkmalen dieser Fähigkeit, den beobachteten Stichproben oder dem Test an sich lag. Kurz nach unserer Beobachtung zeigte sich aber in anderen Studien, dass sich ähnliche Ergebnisse auch in etlichen weiteren Ländern zeigen ließ. Das legt die Schlussfolgerung nahe, dass wir auf globaler Skala eine Stagnation dieses sogenannten "Flynn-Effekts" oder sogar eine Umkehr beobachten können werden.

uni:view: Und was bedeutet ein global sinkender IQ für die durchschnittliche Intelligenz der Bevölkerung?
Pietschnig: Es scheint – noch? – nicht angebracht angesichts der Stagnation und Umkehr des Flynn-Effekts in Panik zu verfallen. Das hat mehrere Gründe: Einerseits gab es seit den frühen 1900er-Jahren eine massive Zunahme des globalen Bevölkerungs-IQs (30+ Punkte!). Bis so ein Anstieg "abgebaut" wäre bräuchte es wohl eine gewisse Zeit. Andererseits liegt nun beobachtbare Stagnation und Umkehr des Flynn-Effekts daran, dass sich die Menschheit zunehmend spezialisiert. Die Zeit der universalgelehrten Generalisten ist also vorbei. Das ist im Lichte des zunehmend notwendigen Wachstums des Expert*innenwissens für einzelne Berufe auch nicht überraschend. Die immer spezialisierter werdenden Bildungsbiographien der jüngeren Generationen illustrieren diese Entwicklung.

Es wirft jedoch die Frage auf, ob wir damit zufrieden sind, dass jede*r nur einen begrenzten Bereich eigener Expertise beherrscht oder ob wir gerne eine größere gemeinsame Schnittmenge hätten, über die wir alle reden können. Das ist letztendlich eine gesellschaftspolitische Frage.

Gewinnspiel! uni:view verlost 3 Bücherpakete, bestehend aus:

1 x "Intelligenz: Wie klug sind wir wirklich?" von Jakob Pietschnig
1 x "Aufklärung Jetzt: Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt" von Steven Pinker

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uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren Leser*innen?
Pietschnig: Ein tolles Buch ist "Aufklärung Jetzt: Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt" von Steven Pinker. Auf unterhaltsame Art und Weise erhält man hier einen datengetriebenen Blick über den eigenen – mitunter allzu pessimistischen – Tellerrand der gesellschaftlichen Entwicklung auf globaler Skala.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Pietschnig: In einigen Passagen des Buches bekommt man den Eindruck, dass Pinker die Welt zu sehr durch die rosarote Brille sieht. Das macht in diesem Fall allerdings wenig aus, weil es anhand fundierter Daten einen Blick auf soziale, ökonomische und gesellschaftliche Fortschritte erlaubt ohne deren Schattenseiten auszublenden.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Pietschnig: Es verbleibt hier ein angenehmes Gefühl darüber, dass trotz der vielen aktuellen Probleme die Menschheit in den letzten 100+ Jahren doch erhebliche Fortschritte auf globaler Skala gemacht hat. Dieses Gefühl täuscht nicht über drängende Probleme der heutigen Zeit wie Klimawandel, Armut oder Kriege hinweg, aber hinterlässt den ermutigenden Gedanken, dass wir als Gesellschaft etwas verändern können. (td)

Jakob Pietschnig, geboren 1982 in Wien, lehrt und forscht am Institut für Psychologie der Entwicklung und Bildung an der Universität Wien. Dort leitet der Intelligenzforscher den Arbeitsbereich für Differentielle Psychologie und Psychologische Diagnostik.