Buchtipp des Monats von Barbara Prainsack

Politikwissenschafterin Barbara Prainsack

Geld ohne Leistung? Wer soll das bezahlen? Das sind nur einige Fragen, wenn es um das bedingungslose Grundeinkommen geht und denen sich die Politikwissenschafterin Barbara Prainsack von der Uni Wien in ihrem neuen Buch "Vom Wert des Menschen" auf verständliche und sachliche Weise nähert.

uni:view: Der Untertitel Ihres Buches "Vom Wert des Menschen" lautet "Warum wir ein bedingungsloses Grundeinkommen brauchen". Können Sie kurz erläutern, warum Sie das Grundeinkommen für gesellschaftlich notwendig erachten?
Barbara Prainsack: Es gibt viele Menschen, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen (können) – entweder, weil sie diese während der Coronakrise verloren haben, weil sie vorher schon keine finden konnten, oder weil sie zu jung oder zu alt dafür sind. Zusätzlich gibt es viele, die zwar eine Erwerbsarbeit haben, aber davon nicht leben können. Zudem scheint die Corona-Pandemie die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen in Österreich zu beschleunigen. Da wird die Frage, ob jeder Mensch ein Recht auf Subsistenz haben soll – also auf den für ein bescheidenes, aber würdiges Leben notwendige Lebensunterhalt – sehr akut. Sowohl, um Armut zu verringern, aber auch weil dieser Anspruch auf Grundsicherung dann etwas Verbindendes wäre – alle in einem Land lebenden Menschen hätten Anspruch darauf, unabhängig von Alter, Erwerbsstatus und Vermögen.

Veranstaltungstipp:
NACHGEFRAGT | Arbeiten nach der Pandemie: Resignation oder Chance?

Politikwissenschafterin Barbara Prainsack & Wirtschaftsjournalist Michael Nikbakhsha

Wo: online,
Livestream auf univie.ac.at und science.apa.at
Wann: Montag, 11. Oktober 2021, 16-17 Uhr
Nähere Informationen 

Genau an diesem Punkt wenden viele Kritiker*innen ein, dass es unfair sei, dass der oder die Millionär*in genauso eine monatliche Grundsicherung überwiesen bekomme wie die alleinerziehende Mutter. Und auf den ersten Blick stimmt das auch. Auf den zweiten Blick hat eine bedingungslose Grundsicherung für alle aber doch einige wichtige Vorteile. Dass nämlich die Bedarfsprüfung wegfällt, die auch Geld kostet, und Menschen stigmatisiert. Dass Menschen mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE), wenn sie ihre Erwerbsarbeit verlieren, "automatisch" abgesichert sind und relativ unkompliziert wieder in die Erwerbsarbeit einsteigen können, wenn sie einen neuen Job finden, ohne finanziell bestraft zu werden – weil man beim BGE ja beliebig dazuverdienen darf. Und wer mehr verdient – aus dem Grundeinkommen und der Erwerbsarbeit oder aus Kapitaleinkünften – der sollte mehr Steuern bezahlen. Der erwähnte Millionär würde dann als Teil seiner Einkommens-, Konsum- oder Vermögensteuern das BGE wieder "zurückzahlen".

uni:view: Ein Argument gegen das Grundeinkommen dreht sich natürlich um Geld: Wer soll das bezahlen?
Prainsack: Häufig werden die Kosten des BGE berechnet, indem die Bevölkerungszahl mit dem Betrag multipliziert wird, den jeder Mensch pro Jahr überwiesen bekommen würde. Da kommt dann eine Zahl heraus, die selbst kühle Gemüter in Panik versetzt. Dabei wird völlig vergessen, dass die Einführung eines BGE so ziemlich jeden Aspekt unserer Gesellschaft verändern würde: Ein großer Teil des ausbezahlten BGE würde wahrscheinlich nicht in Finanzprodukte investiert, sondern der Realwirtschaft, also Betrieben und Menschen, zu Gute kommen – was dann wiederum positive Konjunktureffekte hat. Zudem – das haben alle Experimente bisher gezeigt – leiden Menschen mit einem bedingungslosen Einkommen weniger oft an körperlichen und seelischen Erkrankungen, was unserem Gesundheitssystem auch Kosten sparen kann. Und so weiter. Es gibt so viele Aspekte, die sich nicht vorhersagen lassen, sodass jede Aussage, die vorgibt, zu wissen, wieviel die Einführung eines BGE uns kosten würde, unseriös ist.

Aber kosten wird es etwas, das ist klar. Jedes BGE-Modell macht spezifische Vorschläge zur Finanzierung: Häufig über die Erhöhung von Vermögenssteuern, Finanztransaktionssteuern, oder über die Erhöhung von Konsumsteuern – wie etwa der Mehrwertsteuer. Und in letzter Zeit mehren sich auch die Stimmen derer, die – in Anlehnung an die Modern Monetary Theory – argumentieren, dass Steuererhöhungen nicht der einzige Weg sind, um ein BGE zu finanzieren.

Der Buchtipp im Buchtipp!
Barbara Prainsack wurde kürzlich zum Mitglied des Covid-19 Beraterstabes von Bundesminister Mückstein als Teil des Obersten Sanitätsrates bis Ende 2022 bestellt. Sie forscht im Rahmen des Austrian Corona Panel Project (ACPP) zu den sozialen und politischen Auswirkungen der Coronapandemie. Dazu ist jüngst ihre Publikation "The Pandemic Within. Policy Making for a Better World" erschienen.

uni:view: In Ihrem Buch "Vom Wert des Menschen" kommen verschiedene Menschen und damit auch verschiedene Meinungen zum Ausdruck. Was sind die typischen "Für und Wider" Ihrer Interviewpartner*innen?
Prainsack: Ich habe in den letzten Jahren mit vielen Menschen in unterschiedlichen Ländern und Kontexten über das Thema gesprochen; einige von ihnen waren bereits Bezieher*innen einer Form von bedingungslosem Einkommen, wie etwa einer Alterspension, oder Einkünften aus Vermögen. Diese Menschen hatten Erfahrung damit, wie es sich anfühlt, sich nicht sorgen zu müssen, was passiert, wenn man keine Erwerbsarbeit hat. Manche dieser Menschen wünschen sich, dass alle Menschen frei von Existenzangst leben können. Andere sind gegen eine Einführung einer bedingungslosen Grundsicherung für alle, weil sie fürchten, dass viele dann weniger arbeiten würden.

Letzteres Phänomen zeigt sich auch in Umfragen: Wenn man Menschen fragt, ob sie im Fall eines BGE ihre Erwerbsarbeit aufgeben würden, sagen nur ganz wenige, dass sie das tun würden: In einer Umfrage in Deutschland im Jahr 2016 waren es fünf Prozent. Ganze 22 Prozent aber glaubten, dass die meisten anderen Menschen ihre Erwerbsarbeit an den Nagel hängen würden, wenn sie ein BGE erhielten. Ich lese das als Zeichen dafür, dass das, was viele Menschen an der Idee eines Grundeinkommens zweifeln lässt, das dominante Menschenbild ist. Wenn man in den Medien tagein, tagaus von Leuten hört, die sich in den "sozialen Hängematten" des "Wohlfahrtsparadies Europa" ausruhen wollen, dann wundert ein solches Menschenbild auch wenig.

Daneben gibt es natürlich auch Menschen, die sich vor den bereits erwähnten Steuererhöhungen fürchten. Oder jene, die das BGE ablehnen, weil sie es für eine Aushöhlung des Sozialstaats halten. Beides sind wichtige Punkte, die aber – wie ich in dem Buch zeige – nicht unbedingt zutreffen müssen. Es gibt mittlerweile BGE-Modelle, die beides verhindern können.

uni:view: Gerade die Corona-Krise hat viele Menschen wirtschaftlich hart getroffen. Wie wäre Ihrer Meinung nach die Krise verlaufen, gäbe es bereits ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Prainsack: Es ist kein Zufall, dass gerade jetzt in der Krise in vielen Ländern die Rufe nach einem BGE lauter werden. Eine bedingungslose Grundsicherung hätte vielen Menschen, die unter Einkommensverlusten leiden oder gelitten haben, die Situation erträglicher gemacht. Auch in Österreich scheint die Zustimmung zum BGE zu wachsen, wie wir im Rahmen des Projekts Austrian Corona Panel-Projekts erhoben haben (Corona-Panel: "Grundeinkommen gewinnt in Österreich an Zustimmung"). Ob es sich dabei um einen stabilen Trend handelt, werden wir hoffentlich im Rahmen unserer nächsten Erhebungen erfahren. 

Barbara Prainsack ist Professorin für Vergleichende Politikfeldanalyse am Institut für Politikwissenschaft, Leiterin der Forschungsgruppe Zeitgenössische Solidaritätsstudien (CeSCoS) an der Universität Wien und Mitglied des Austrian Corona Panel Project (ACPP). Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen u.a. Medizin- und Gesundheitspolitik, Vergleichende Forschungspolitik sowie Institutionen und Politik der Solidarität. Die Politikwissenschafterin wurde im September 2021 als Mitglied des Covid-19 Beraterstabes von Bundesminister Mückstein als Teil des Obersten Sanitätsrates bis Ende 2022 bestellt.


Der Buchtipp des Monats mit Barbara Prainsack ist im Oktober 2020 erstmals in uni:view erschienen und wurde anlässlich der aktuellen Semesterfrage im WS 2021/22 "Worauf legen wir noch Wert?" von Barbara Prainsack aktualisiert.