Buchtipp des Monats von Andrea Grill
| 06. März 2017Passend zu Frühlingsbeginn kommt der März-Buchtipp von Schmetterlingsforscherin Andrea Grill. Ein poetisch-literarisches Doppelalbum empfiehlt sie unseren LeserInnen.
uni:view: Kürzlich ist Ihr Buch mit dem schlichten Titel "Schmetterlinge" erschienen. Was erwartet die LeserInnen?
Andrea Grill: Das Buch nimmt sie mit in das Leben der Schmetterlinge und auch in das der (Schmetterlings-)ForscherInnen. Einerseits ist es die Gelegenheit zu dem Gedankenexperiment, wie wäre es, wenn ich ein Schmetterling wäre? Was würde ich tun? Wie würde ich leben? Andererseits gibt die Erzählung Einblicke in den Alltag von Menschen, die sich beruflich mit Schmetterlingen beschäftigen. Es ist im Grunde die Biographie einer Schmetterlingsforscherin, also eine Art Roman, in dem das Beschriebene aber der Realität entspricht.
uni:view: Im Klappentext ist zu lesen, dass Sie die Frage "Was fühlt ein Schmetterling?" in dem Buch beantworten. Das macht natürlich neugierig. Können Sie auch hier kurz die Antwort darauf skizzieren?
Grill: Darf ich dazu aus dem Buch zitieren: "'Wie fühle ich mich?' ist für uns eine derart zentrale Frage, dass wir uns kaum vorstellen können, dass andere, eine Raupe beispielsweise, ohne sie auskommen. Sich vorzustellen, ein Schmetterling zu sein, ähnelt dem Versuch, sich vorzustellen, in einem vier-, sieben- oder x-dimensionalen Raum zu leben. Es ist so weit von unserer täglichen Erfahrung entfernt, dass es nur gelingen kann, wenn man Modelle bildet, die von dieser Erfahrung ausgehen. Das Modell eines vierdimensionalen Dings kann, zum Beispiel, aus Scheiben eines dreidimensionalen Dings bestehen, die zeitlich verschoben angeordnet werden. Ein Schmetterling zu sein, egal in welchem Stadium, sei es als Raupe, Puppe, Falter, bedeutet, jede Sekunde mit dem Tod zu rechnen. Ein Insekt rechnet naturgemäß nicht, aber damit rechnet es doch."
uni:view: Schmetterlinge haben Menschen – auch aufgrund ihrer Metamorphose – schon immer fasziniert. Was hat Sie persönlich in den Bann gezogen?
Grill: Dass es so viele Arten gibt, und jede hat ihren eigenen Lebensstil. Auch dass jedes Individuum prinzipiell ganz auf sich alleine gestellt ist. Diese angeborene Einsamkeit des Schmetterlings. Auf mich wirken diese Tiere bescheiden. Sie drängen sich nicht auf. Das gefällt mir.
uni:view: In "Schmetterlinge" geht es nicht nur um diese außergewöhnlichen Insekten, sondern auch um Ihre eigene Geschichte. Wie eng ist diese mit Ihren "Forschungsobjekten" verknüpft?
Grill: Ich bin im Laufe meines Studiums durch Zufall auf die Tagfalter gekommen, es war nicht so, dass ich mich von Kind an dafür begeistert hätte. Schon die Tatsache, dass ich meine Diplomarbeit in Griechenland gemacht habe, hat aber freilich mein Leben entscheidend beeinflusst. Ohne die Schmetterlinge hätte ich nie Griechisch gelernt, auch nicht Holländisch (meine Dissertation habe ich dann an der Universität Amsterdam gemacht). Ich hätte auch nie Wölfe in freier Wildbahn beobachtet, wenn ich nicht in diesem Nationalpark in den Rhodopen nach Schmetterlingen gesucht hätte.
Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung:
1 x "Schmetterlinge. Ein Porträt" von Andrea Grill
1 x "manchmal sehr mitreißend" von Anja Utler
uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Grill: Es sind eigentlich zwei Bücher, die als eine Art literarisches Doppelalbum erschienen sind, verfasst von Anja Utler. Das eine, "Von den Knochen der Sanftheit", ist ein Band mit Essays und Reden, das zweite, "manchmal sehr mitreißend", ist ein Versuch, hinter das Geheimnis der Magie von Lyriklesungen zu kommen.
uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesen Büchern einfallen?
Grill: Da beziehe ich mich jetzt vor allem auf das erste der beiden Bücher: Es löst in mir ein Selbstgespräch aus, über den Zustand der Welt, wie sie uns momentan umgibt. Es geht hier um brandaktuelle Themen, Flüchtlingspolitik, Umweltschutz, Klimakonferenzen etc., und zwar von einem ungewöhnlichen Blickwinkel aus betrachtet: wie-man-darüber-redet. Gäbe es eine Ärztin, die den Redeweisen zu Leibe rückt und sie dort behandelt, wo sie kranken, hieße sie Anja Utler. Dabei ist das Buch total schön zu lesen. Es steckt voller origineller Formulierungen. Die Autorin denkt ebenso originell und konsequent und lässt sich bei ihrer Denke beobachten.
uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Grill: Diese Texte geben mir Beherztheit. Sie helfen mir, mich gegen die ständig aus allen Medien auf mich – und uns alle – einprasselnden Nachrichten zu wappnen. Unter dem Vorwand zu informieren, laben sie sich an den Gräueln der Welt. Damit wird ständig Angst und das Gefühl von Hilflosigkeit geschürt. Anja Utlers Buch gibt mir eine wirksame Verteidigung dagegen: das, was ich sage. (td)
Dr. Andrea Grill ist am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien tätig.