Auf zur Familienkonferenz
| 19. März 2020Wenn die ganze Familie zuhause ist, kommt es irgendwann unweigerlich zu Konflikten. Brigitte Lueger-Schuster, Leiterin der Arbeitsgruppe Psychotraumatologie der Universität Wien, rät in diesem Fall zu einer Familienkonferenz.
Warum Homeoffice und E-Learning kein "Urlaub" sind, hat Brigitte Lueger-Schuster in ihrem ersten Gastbeitrag zur Corona-Pandemie erklärt. Im zweiten Teil gibt sie konkrete Tipps für den Fall, dass das gemeinsame Lernen, Arbeiten und Leben zuhause zu Spannungen in der Familie führt.
Die Eltern haben NICHT immer recht
Wenn es in diesen besonderen Zeiten zuhause mal schwierig wird, kann man eine Familienkonferenz einberufen. Dabei ist wichtig, dass es keinen Chef oder keine Chefin gibt, sondern dass sich alle gegenseitig respektieren und auf Augenhöhe miteinander umgehen. Jedes Familienmitglied bringt sich gleichwertig ein und kein Familienmitglied weiß absolut genau, wo es jetzt langgehen soll. Anders formuliert: Die Eltern haben NICHT immer recht.
Werden wir ganz konkret: Seit einigen Tagen sind Sie alle zu Hause und es wird genau beim gleichen Thema immer wieder schwierig, z. B. wenn es ums Aufräumen geht, um zu laute Musik oder was auch sonst immer zu den ewig gleichen Diskussionen führt. Ein Familienmitglied will eine Familienkonferenz, die anderen finden das überflüssig und übertrieben. Bitte diese Idee nicht sofort abwerten, sondern einfach mal ausprobieren!
Die Familienkonferenz braucht allerdings ein paar Regeln: Wörter wie "immer" und "nie" sind Wörter, die Situationen generalisieren, aber das hilft nicht weiter. Also ersetzen Sie diese mit "heute", "dieses Mal", "jetzt" und erklären Sie die jeweilige Situation genau.
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Mit ICH-Botschaften Lösungen finden
Zuhören kann man sehr aktiv betreiben, indem man etwa durch Mimik zu verstehen gibt, dass man alles verstanden hat. Man kann auch kurz nachfragen, wenn etwas unklar ist. Zuhören bedeutet aber nicht, dass man "in Saft geht", also schon beim ersten Satz emotional reagiert, dafür braucht es oft Selbstdisziplin. Erst wenn die Situation, um die es geht, für alle klar ist, startet die Familienkonferenz in die nächste Runde. Das ist die Lösungsphase.
Jetzt sind die Eltern besonders gefordert, weil sie versuchen sollten, ihren Kindern den Vortritt zu lassen. Zurückhaltung ist angesagt. Vertrauen Sie Ihren Kindern, sie sind im Finden von Lösungen sehr gut! Lassen Sie die Kinder ausreden, und zeigen Sie ihnen, dass Sie die Vorschläge schätzen. Wenn Sie das Gefühl haben, dass die Vorschläge nicht praktisch umsetzbar sind, dann antworten Sie bitte mit "ICH-Botschaften". Eine solche Botschaft kann sein: "ICH bin mir nicht sicher, ob (nennen Sie das Detail, das Ihnen Sorge macht) so funktioniert, aber denk bitte nochmals nach, vielleicht fällt dir was Besseres ein." Alle Familienmitglieder überlegen sich Vorschläge mit diesen ICH-Botschaften. Sie werden staunen, wie schnell sich eine Lösung gefunden hat.
Das sind die Regeln
Die Themen für eine solche Familienkonferenzen können vielfältig sein: Streit zwischen den Geschwistern, Streit zwischen einem Elternteil und einem Kind, Streit zwischen den Eltern, der Tagesablauf – oder was eben sonst so nervt!
Diese Fehler sollten bei der Familienkonferenz vermieden werden:
• rechthaberisch sein
• die anderen kritisieren
• zu oft und zu lange sprechen
• nicht teilnehmen, weil man was "Besseres" zu tun hat
• jemanden herabwürdigen für einen Vorschlag
• "laut" werden, "gemein" sein, "böse" reagieren
• zu viele Probleme auf einmal besprechen
Stattdessen sollte man:
• Vorschläge der anderen wertschätzen
• Vorschläge ernsthaft durchdenken
• den anderen zuhören
• Humor haben
• nur die wichtigsten Probleme lösen
Eine Familienkonferenz sollte nicht allzu lange dauern – je jünger die Kinder sind, desto kürzer. Wichtig ist, dass sich alle an die Regeln halten: Jedes Familienmitglied hat das Recht, an die neuen Regeln zu erinnern. Wenn sich herausstellt, dass die neue Regel nicht funktioniert, bitte eine neue Konferenz abhalten. Aber geben Sie sich zumindest 24 Stunden, um die neue Regel zu leben. Nochmals: Jedes Familienmitglied hat das Recht, jederzeit eine Konferenz einzuberufen!
Wer hat den Vorsitz der Konferenz? Finden Sie heraus, was am besten für Ihre Familie ist. Und wichtig: Auch die Kinder können den Vorsitz übernehmen.
Brigitte Lueger-Schuster ist Professorin am Institut für Klinische und Gesundheitspsychologie der Universität Wien und Leiterin der Arbeitsgruppe Psychotraumatologie. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Missbrauch in Institutionen, Psychosoziale Folgen von traumatischem Stress, Bewältigungsstrategien, Resilienz, Komplexes Trauma, Komplexe PTSD, Beurteilung von traumabedingten Störungen sowie Menschenrechtsverletzungen. (© Petra Schiefer)