Auf der Welle der Demokratie
| 13. Juni 2014Mit dem Sommer kommt "univie": Falls die Juni-Ausgabe des Alumni-Magazins noch nicht in Ihrem Postkastl liegt oder Sie noch keine Mitgliedschaft im Alumniverband haben: Hier als Vorgeschmack ein Artikel aus dem neuen Heft – ein Interview mit dem Menschenrechtsexperten Manfred Nowak.
Warum es in postsowjetischen Staaten wie der Ukraine in Sachen Demokratie und Menschrechte hakt, wie soziale Medien Demokratie fördern und wie es um die Zukunft der Menschenrechte steht, erzählt der Jurist und Menschenrechtsexperte Manfred Nowak im univie-Interview. Die Fragen stellte Siegrun Herzog.
univie: Russland hat sich bei der Annexion der Halbinsel Krim auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker gestützt, zu Recht?
Manfred Nowak: Russland hat die Annexion der Krim als einen Akt der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts jener Menschen gesehen, die auf der Krim leben, und das sind mehrheitlich Russisch sprechende Personen. Rechtlich gesehen kann sich Russland aber nicht auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker stützen, weil die Russen in all den Staaten der früheren Sowjetunion kein Volk sind, sondern eine Minderheit, genauso wie die Südtiroler in Italien oder die Slowenen in Österreich. Das war also klar völkerrechtswidrig, ein Verstoß gegen das Gewaltverbot sowie gegen das Prinzip der territorialen Integrität und Souveränität von Staaten. Russen in der Ukraine haben Minderheitenrechte, die man möglicherwiese ausbauen kann, aber an sich war ja die Krim eine autonome Region innerhalb der Ukraine.
univie: Brauchen die Russen in der Ukraine einen stärkeren Minderheitenschutz?
Manfred Nowak: In den baltischen Staaten gab es gewisse revanchistische Tendenzen nach der Unabhängigkeit, hier wurde die russische Minderheit schon diskriminiert, ihnen wurde etwa das Wahlrecht entzogen, wenn sie nicht gut genug Estnisch oder Lettisch gesprochen haben. Das gestaltet sich in der Ukraine völlig anders. Im Osten der Ukraine lebt eine signifikante Zahl an Russen. Aber Russisch ist genauso eine anerkannte Amtssprache wie Ukrainisch. (Das umstrittene Sprachengesetz, das Ukrainisch als alleinige Amtssprache vorsah, wurde nach Protesten im März 2014 seitens der Übergangsregierung wieder zurückgezogen, Anm.)
univie: Wo liegen aus menschenrechtlicher Sicht die größten Probleme in postsowjetischen bzw. postsozialistischen Ländern?
Manfred Nowak: In vielen dieser Staaten ist der Umgang mit Minderheiten ein Problem. Auch wir Westeuropäer sind übrigens nicht so vorbildlich, was das angeht. Aber die Xenophobie, der Rassismus, auch der latente Faschismus, den wir in Staaten wie Ungarn oder der russischen Föderation sehen, sind noch einmal deutlich stärker. Dazu kommt, dass der gesamte Justizapparat im Hinblick auf rechtsstaatliche Standards noch sehr große Probleme hat: Das reicht von der Unabhängigkeit der Justiz über ein effizientes Strafrechtssystem, das auch Wirtschaftskriminalität oder Korruption wirklich bekämpfen könnte, bis hin zu den Haftbedingungen. Problematisch ist auch der schnelle Übergang von einer kommunistischen Planwirtschaft zu einer freien Marktwirtschaft, der zu einem Turbokapitalismus geführt hat und damit natürlich auch zu einer großen Schere zwischen Arm und Reich. Es sind zwar wenige superreich geworden, aber die Armutsbekämpfung hat in Russland und den anderen postsowjetischen Staaten wenig Fortschritte gemacht.
univie: Besteht ein Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes und den Menschrechten?
Manfred Nowak: Es gibt Staaten, die einen großen wirtschaftlichen Aufschwung genommen haben – sich aber weder zu Demokratien noch rechtsstaatlich oder menschenrechtlich entwickelt haben, etwa Saudi-Arabien, das rohstoffbedingt reich geworden ist. Aber generell kann man sagen, dass wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, also Mindestrechte auf Bildung, Gesundheit, ein menschwürdiges Leben auf der einen Seite, und die bürgerlichen, politischen Rechte sehr eng zusammenhängen. Es gibt empirische Beweise, dass es in funktionierenden Demokratien keine Hungerkatastrophen gibt, weil es „checks and balances“ gibt, wie eine freie Presse, die schnell aufzeigen kann, wo etwas falsch läuft. Je mehr sich ein Staat in Richtung einer Demokratie und eines Rechtsstaates entwickelt, desto mehr entwickelt sich auch die soziale Sicherheit, also auch die Menschenrechte, aber das ist kein Automatismus. Und umgekehrt: Natürlich ist eine halbwegs funktionierende wirtschaftliche Entwicklung eine wesentliche Voraussetzung eines hohen Menschenrechtsstandards. Ein gutes Gesundheitssystem, ein funktionierendes Justizsystem oder eine gut ausgebildete Polizei sind wesentliche Garanten für die Einhaltung menschenrechtlicher Standards. Die kosten viel Geld – und dafür brauche ich eine funktionierende Wirtschaft.
univie: Haben die sozialen Medien Einfluss auf Demokratisierungsprozesse?
Manfred Nowak: Dass die sozialen Medien eine große Rolle spielen, hat man deutlich im Arabischen Frühling gesehen. In Ländern mit fest verankerten Diktaturen, wo kritischer Journalismus nicht zugelassen wurde, wie etwa in Tunesien, Ägypten oder Libyen, sind die sozialen Medien ein Spielfeld für neue demokratische Bewegungen. Sie haben unglaubliches Potenzial, die Masse sehr schnell zu motivieren, aber auch zu organisieren. Deswegen tun sich Staaten wie China oder Ägypten so schwer mit den Neuen Medien, sie werden dort immer wieder verboten, was aber nie so richtig funktioniert. Dasselbe gilt heute für die Ukraine, Weißrussland oder Russland. Diese Medien sind wahnsinnig wichtig, wenn es darum geht, gemeinsame Aktionen zu planen. So schnell kann man gar nicht alles abhören oder unterbinden. Wenn der Unmut in der Bevölkerung ein gewisses Ausmaß angenommen hat, sind die sozialen Medien eine Hilfe, das besser zu kanalisieren und zu organisieren. Insofern sind sie ein ganz wesentliches Instrument der Demokratie.
univie: Sie waren UNO-Sonderberichterstatter über Folter, haben Sie damals auch die Ukraine besucht? Wie gestaltet sich die Arbeit vor Ort, wie kommt man an Informationen?
Manfred Nowak: Eine Untersuchungsmission ist eine Kombination aus investigativer Arbeit und menschenrechtlich-diplomatischem Geschick. Das ist nicht immer leicht unter einen Hut zu bringen. Die Ukraine selbst habe ich damals nicht besucht, sehr wohl aber andere postsowjetische Staaten, etwa Georgien und Moldawien. Mir war wichtig, auch die „abtrünnigen“ Provinzen zu besuchen und natürlich auch mit den jeweiligen de facto Regierenden zu reden. Ich musste klarstellen, dass die Tatsache, dass ich mir ihre Region ansehe, Gespräche suche und auch ihre Gefängnisse besuche, noch nicht heißt, dass die UNO ihre Regierung anerkennt. Man muss versuchen, wirklich mit allen zu sprechen und gleichzeitig keine Kompromisse bei den Untersuchungsmethoden einzugehen. Für mich war ganz wesentlich, unangekündigte Besuche in Haftstätten, Gefängnissen und Polizeidienststellen machen und dort unter vier Augen mit Häftlingen sprechen zu können. So bekommt man bei einer Mission schon einen ganz guten Überblick.
univie: Sie leben seit Ende Dezember 2013 in den USA, wie nimmt man den Ukraine-Konflikt dort wahr?
Manfred Nowak: Hier in den USA sieht man die Ukraine schon primär als europäisches Problem, nach dem Motto „wir sind ohnehin Weltpolizisten in Afghanistan und anderswo, diese Krise sollten primär die Europäer regeln“. Zugleich herrscht auch eine gewisse Enttäuschung darüber, dass Europa nicht sehr handlungsfähig ist. Die EU hat mit Catherine Ashton zwar eine gemeinsame Ansprechperson, doch Ashton verfügt nach wie vor nicht über ähnliche außenpolitische Machtbefugnisse wie der US-Außenminister. Und doch glaube ich, dass die US-Regierung verstanden hat, dass die Situation derzeit auch eine große Bedrohung des Weltfriedens darstellt und dass sie entsprechende Aufmerksamkeit der USA nach sich ziehen muss. Das Russland-Bashing ist auf jeden Fall ausgeprägter hier als in deutschen Medien.
univie: Ihre Vision für die Zukunft der Menschrechte?
Manfred Nowak: Wir müssen immer wieder aus Krisen und Katastrophen lernen. Die Menschenrechte haben sich als Reaktion auf Katastrophen und Revolutionen entwickelt. Alle diese Revolutionen, der Arabische Frühling, in der Ukraine oder in Venezuela, zeigen, dass die Menschen ihr Recht zunehmend einfordern. Und ich glaube, dass sich die Welt langfristig gesehen in Richtung mehr Demokratie entwickeln wird. Das war immer eine wellenartige Entwicklung. Ich glaube ja, dass Putin auch einiges dazu beiträgt, dass die EU aus ihrer permanenten Krise und Handlungsunfähigkeit herauskommt und vielleicht doch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt, weil es wieder einen gemeinsamen Feind gibt wie in Zeiten des Kalten Krieges – das wäre so gesehen ein begrüßenswerter Nebeneffekt.
Die aktuelle Ausgabe von univie, dem Magazin des Alumniverbandes der Universität Wien ist erschienen. LESEN SIE AUCH: Die Redaktion von uni:view, der Online-Zeitung der Universität Wien, hat wie immer den Bereich "UNIVERSUM" im Alumni-Magazin mitgestaltet. Lesen Sie hier unseren Gastbeitrag: "Der Erste Weltkrieg durch die Gender-Brille" (PDF) |
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