Jederzeit und überall
| 14. März 2013Am 14. März erschien die Ausgabe März-Mai des Alumni-Magazins "univie": Diesmal geht es schwerpunktmäßig um die Arbeitswelt der Zukunft. Sollte die neue Ausgabe noch nicht in Ihrem Postfach liegen: Lesen Sie hier schon einmal einen Artikel aus der aktuellen Ausgabe als Vorgeschmack!
Wie viele waren es heute bei Ihnen? Zehn, 20 oder mehr? Ungefähr 60 E-Mails am Tag schreibt Roland Verwiebe. Für den Soziologen und Institutsvorstand an der Universität Wien ist das ein Indiz dafür, dass die Arbeit intensiver geworden ist. "Die Hülle 'Normalarbeitsverhältnis', also 40 Stunden, unbefristet, relativ gut bezahlt, quasi sicherer Job, bleibt für viele bestehen, aber innerhalb dessen muss man mehr leisten", sieht Verwiebe eine maßgebliche Veränderung der neuen Arbeitswelt. Kommunikation ist heute in viele Jobs als Zusatzaufgabe mit hineingepackt. Internetauftritte, das Erstellen von Broschüren und Berichten tragen zwar zu mehr Transparenz bei, stellen aber auch einen Mehraufwand dar, den wir im Arbeitsalltag spüren.
"Ich glaube nicht, dass die KollegInnen in meiner Position vor 30 Jahren 60 Briefe am Tag schreiben mussten", blickt Roland Verwiebe, Professor für Soziologie an der Universität Wien, ein wenig neidvoll zurück in die Offline-Arbeitswelt. "Unternehmen sind heute gefordert, mit immer weniger Leuten dieselben Aufgaben zu erfüllen. Die Intensität von Arbeitsvollzügen hat dadurch zugenommen, der Druck für den Einzelnen wächst und wird auch noch weiter wachsen", ist Verwiebe überzeugt. (Foto: Nana Seidel) Zur Website von Roland Verwiebe |
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Unter Beobachtung
Was viele selbst tagtäglich spüren, möchte Christian Korunka wissenschaftlich untersuchen. Um mehr über den persönlichen Arbeitsalltag herauszufinden, wertet der Arbeits- und Organisationspsychologe an der Universität Wien mit seinem Team Tagebuchaufzeichnungen von Beschäftigten aus. "Durch den mikroskopischen Blick, die stündlichen Aufzeichnungen der MitarbeiterInnen können wir sehen, wie sich die persönliche Belastung im Untersuchungszeitraum von ein bis zwei Jahren verändert. Wir gewinnen einen Eindruck, wie es mit emotionaler Erschöpfung und Burnout aussieht und was konkret als intensiv und belastend erlebt wird", berichtet Korunka. Hinweise auf eine Intensivierung könne man beispielsweise darin finden, dass Menschen immer weniger Pausen machen. Unterbrechungen des Arbeitsflusses durch E-Mails würden viele als störend empfinden.
Extreme Verdichtungen
Als Triebfeder dieser Entwicklung sieht der Psychologe das Phänomen der Beschleunigung. "Pro Zeiteinheit passiert heute mehr als noch vor 20 Jahren", ist Korunka überzeugt. Das könne man in den verschiedensten Bereichen beobachten. Nachrichten aus aller Welt etwa werden uns in immer kürzeren Häppchen serviert. Dauerte ein Nachrichtenbeitrag vor 15 Jahren noch zehn Minuten, erreicht er uns heute als Fünf-Sekunden-Schlagzeile am Infoscreen in der U-Bahn. So extreme Verdichtungen gebe es in der Arbeitswelt freilich nicht, aber ähnliche Beschleunigungsprozesse seien durchaus zu beobachten, berichtet Korunka. Etwa in der Pflege, wo Taktzeiten, die das Pflegepersonal für PatientInnen aufwenden darf, immer kürzer werden. Was sich ebenfalls deutlich zeigt: Jobs werden heute öfter gewechselt als früher und die Bindung an die Unternehmen nimmt ab.
"Eine Beschleunigung ist also auch im Karriereverlauf auszumachen", zieht Christian Korunka vom Institut für Wirtschaftspsychologie, Bildungspsychologie und Evaluation der Universität Wien ein erstes Resümee aus einer aktuellen Befragung von 4.000 Beschäftigten in IT-Unternehmen, in der öffentlichen Verwaltung und im Gesundheits- und Pflegebereich. Die Befragung zeigt auch, dass Arbeitsintensivierung in allen untersuchten Branchen in ähnlicher Intensität auftritt. (Foto: privat) Zur Website von Christian Korunka |
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Ein Leben im Hamsterrad, in dem man nicht langsamer laufen, sondern bestenfalls den Absprung machen kann? "Die Arbeit macht uns heute nicht kränker als früher", stellt Korunka weiters klar. "Wir haben heute weniger körperlich anstrengende Arbeit zu leisten, dadurch bleiben die Menschen länger arbeitsfähig."
Burnout sieht der Psychologe, der selbst auch als Psychotherapeut arbeitet, als Modediagnose. Das Thema werde gesellschaftlich überschätzt und von Interessensgruppen und den Medien forciert. Dahinter stecke aber ein ernstes Phänomen. "In den Unternehmen ist Burnout sehr präsent. Auch wenn es nur eine oder einer von hundert MitarbeiterInnen ist, das merkt man sich, wenn eine Person so krank ist und länger ausfällt." Wichtig sei es daher, Grenzen zu ziehen, die es mit dem Aufkommen flexibler Arbeitsformen neu zu definieren gilt.
Die Langversion der Coverstory "Jederzeit und überall" finden Sie in der aktuellen Ausgabe von univie, dem Magazin des Alumniverbandes der Universität Wien. LESEN SIE AUCH: Die Redaktion von uni:view, der Online-Zeitung der Universität Wien, hat wie immer den Bereich "UNIVERSUM" im Alumni-Magazin mitgestaltet. Lesen Sie hier unseren Gastbeitrag: "Älter als Oldies: Sound des Mittelalters" (PDF) |
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