Die Entwicklung des Wiener Wohnungsmarkts
| 13. November 2018Wie gestaltet sich der Wohnungsmarkt in einer wachsenden Stadt wie Wien? Wie inkludierend beziehungsweise exkludierend sind dabei die jeweiligen Wohnungsmarktsegmente? Mit diesen Fragen setzten sich Studierende in einer Fachexkursion am Institut für Geographie und Regionalforschung auseinander.
Der Karl Marx-Hof stellt das wohl bekannteste Beispiel eines Gemeindebaus des "Roten Wiens" der 1920er Jahre dar. Dieser wird häufig irrtümlich als größter Gemeindebau in Wien aufgeführt, denn der Wohnbau erstreckt sich immerhin einen ganzen Kilometer entlang der Heiligenstädter Straße. Vor allem die palastähnliche Struktur des Gebäudes, welche hervorgehoben wird durch den verhältnismäßig hohen Anteil an Grünraum, sowie die ausdrucksvolle Fassadensymbolik mit den einzelnen Figuren an der Vorderfront wecken das Interesse der Studierenden.
Mit einem Besuch in den Ausstellungsräumen des Waschsalons im Karl Marx-Hof in Döbling lassen sich die Anfänge des kommunalen Wohnbaus in der Zeit des "Roten Wiens" nachvollziehen. Die ExkursionsteilnehmerInnen ziehen dabei immer wieder Vergleiche mit der aktuellen Wohnsituation, speziell im Segment des kommunalen Wohnbaus. Vor allem die Zugangsvoraussetzungen, um überhaupt Anspruch auf eine Wiener Gemeindebauwohnung zu haben, wurden in den letzten Jahrzehnten regelmäßig geändert.
Heute regeln strikte Auflagen die Zugänglichkeit von Wiener Gemeindebauwohnungen und bieten somit zwar eine Wohnsituation für Personen, die diese Auflagen erfüllen – u.a. Personen mit mehr als zwei Jahren Hauptwohnsitz in Wien und einem dringlichen Wohnbedarf. Für neue BewohnerInnen in der Stadt ist das Segment allerdings nicht zugänglich.
Das soziale Gefüge im kommunalen Wohnbau und die damit verbundenen alltäglichen Herausforderungen wurden am Beispiel des Theodor-Körner-Hofes im 5. Wiener Gemeindebezirk näher erläutert. Gemeinsam mit VertreterInnen der Wohnpartner Wien, welche sich um ein reibungsloses Zusammenleben in der Nachbarschaft bemühen, lernen die Studierenden die unterschiedlichen sozialen Räume und Konfliktbereiche innerhalb einer kommunalen Wohnhausanlage kennen.
Großangelegte Wohnbauprojekte finden sich in Wien hauptsächlich in den Stadterweiterungsgebieten der äußeren Bezirke, ausgenommen die in Revitalisierung befindlichen zentrumsnahen (Industrie-)Brachflächen wie das Nordbahnhofgelände oder das Sonnwendviertel am Hauptbahnhof. Am Beispiel des Wohnbauprojekts "In der Wiesen Ost" in Liesing, wo gerade mehr als 1.000 Wohneinheiten errichtet werden, erfahren die ExkursionsteilnehmerInnen auch Details zum umfangreichen Planungskonzept, das hinter diesem Stadtentwicklungsgebiet steht.
Ein Merkmal der großflächigen Wohnbautätigkeiten in den Wiener Stadterweiterungsgebieten ist das Zusammenspiel zwischen gefördertem und privat finanziertem Wohnbau. In Liesing machen sich die Studierenden während eines Stadtteilspaziergangs ein eigenes Bild.
Die unterschiedlichen Wohnungsmarktsegmente sind bei den schon fertiggestellten Wohngebäuden nur schwierig über die Äußerlichkeiten zu erahnen. Großzügig geplante Gemeinschaftseinrichtungen wie Swimmingpools oder Gemeinschaftsgärten stechen bei der Visite besonders hervor und deuten auf die Qualitäten neugebauter Wohnanalagen in Wien hin – auch im geförderten Wohnbau.
Auch private Akteure sind in der Stadtentwicklung aktiv. Das Immobilienunternehmen IC Development GmbH der value one holding AG entwickelt mit dem "Viertel Zwei" auf den Flächen zwischen den beiden U2-Stationen Krieau und Stadion ebenfalls einen neuen Stadtteil. Dieses Projekt steht beispielhaft für ein Wohn- und Bürobauvorhaben, das von einer privaten Investorin entwickelt wird.
Während des Rundgangs innerhalb des Viertels achten die Studierenden darauf, auf welche Bevölkerungsgruppen die funktionale Ausstattung abzielt. Vor allem der "semi-öffentliche Raum" hebt sich in diesem neu errichteten Stadtteil durch dekorative Elemente, wie einem künstlichen Teich oder moderne Skulpturen, aber auch Nutzungsregelungen ab.
Kontrastiert wird der neu errichtete Stadtteil "Viertel Zwei" von den südlich angrenzenden Freiflächen der Trabrennbahn Krieau. Gemeinsam mit den historischen Gebäuden der dazugehörigen Stallungen hebt sich dieses Areal deutlich von der Umgebung ab. Auch diese Flächen wurden kürzlich von der IC Development GmbH erworben, deren Pläne für die Entwicklung des Areals liegen vor. Die Trabrennbahn soll gemeinsam mit der historischen Tribüne erhalten bleiben. Für die ExkursionsteilnehmerInnen war es interessant zu erfahren, dass die ehemaligen Stallungen in den letzten Jahren als Zwischennutzungsstandort temporären Raum für kreative Start-Ups boten.
Innerhalb der umfangreichen Themen des Wiener Wohnungsmarktes darf natürlich das studentische Wohnen nicht fehlen. Einen Einblick in eine besondere Form des studentischen Wohnens bekommen die ExkursionsteilnehmerInnen während der Visite des StudentInnenwohnheims Milestone.
In unmittelbarer Nähe zur Wirtschaftsuniversität gelegen, zielt das StudentInnenwohnheim auf eine spezielle Gruppe von Studierenden ab, die ein umfangreiches Angebot innerhalb des Heims erwartet. Die Leistungen reichen von einer Rezeption bis hin zu einem eigenen Fitnessstudio. Die qualitätsvoll eingerichteten Zimmer – ausschließlich Einzelzimmer – sind mit einem eigenen Badezimmer sowie einer eigenen Küche ausgestattet und stehen damit in deutlichem Gegensatz zu StudentInnenwohnheimen gemeinnütziger Heimbauträger.
In Liesing entstehen nicht nur auf den Flächen von "In der Wiesen" neue Wohneinheiten. Während einer Stadtteilführung durch den Bezirk sehen die ExkursionsteilnehmerInnen einen Großteil des Zielgebiets "Liesing Mitte". Als potenzielle Flächen für neue Wohngebäude dienen auch alte brachliegende Gewerbeflächen entlang der Breitenfurter Straße.
Hier kommt die Exkursionsgruppe auch am Gelände der ehemaligen Sargfabrik vorbei. Auf den derzeitigen Freiflächen sollen schon in wenigen Jahren Wohngebäude, aber auch Bildungseinrichtungen entstehen. Das denkmalgeschützte Fabrikgebäude, welches zurzeit als kultureller Zwischennutzungsstandort des Vereins F23 dient, soll auch in Zukunft kulturell bespielt werden.
Während der abschließenden Reflexionsrunde zur Fachexkursion werfen die Studierenden noch einmal einen Blick in die Räumlichkeiten der Sargfabrik. Dabei wird ersichtlich, welches Potenzial die leeren, großflächigen Räume für kulturelle Nutzungen bieten. In der abschließenden Diskussion werden die in der Exkursion ausgemachten Wohnungsmarktsegmente nochmals rekapituliert und im Spannungsfeld zwischen exklusiven und inklusiven Wohnmöglichkeiten – nach Zugänglichkeit, aber auch finanziellen Aspekten – eingeordnet. Eine einfache Antwort ist hier auf Anhieb nicht zu treffen. Abhängig von den gewählten Beurteilungskriterien verändert sich das Bewertungsergebnis.
Den Ausblick auf der Dachterrasse des Milestone-StudentInnenheims nützen die Studierenden, um die umliegenden neu entstehenden Wohnbauprojekte in Wien zu beobachten. Dabei reicht der Blick vom nahegelegenen "Viertel Zwei" bis zu den Baukränen des Sonnwendviertels. Der imposante Ausblick dient außerdem als Hintergrundkulisse für ein gemeinsames abschließendes Gruppenfoto. (Fotos: © Yvonne Franz, Text: Michael Hrach, Yvonne Franz und Elisabeth Gruber)
Buchtipp zum Thema:
"Wohnen 'für alle' in Zeiten der Wohnungsmarktkrise? Der soziale Wohnungsbau in Wien zwischen Anspruch und Wirklichkeit" von Yvonne Franz und Elisabeth Gruber, Springer Verlag 2018.
Open Access-Veröffentlichung
An insgesamt drei Exkursionstagen im Oktober 2018 lernten die Geographiestudierenden sämtliche Aspekte des Wiener Wohnungsmarktes kennen – ein Wohnungsmarkt, der durch die demographische Entwicklung der letzten Jahre zunehmend unter Druck gerät. Unterschiedliche AkteurInnen, beginnend von einzelnen BauträgerInnen, über StadtplanerInnen des Magistrats Wien bis hin zu BewohnerInnen, brachten dabei ihre spezifische Perspektive und Erfahrung in die Lehrveranstaltung mit ein.