Post aus dem Reich der Mitte (Tag 22-24)
Gastbeitrag von Andrea Stoiber und Romana Hödl | 10. September 2013Schön langsam heißt es Abschied nehmen: Letzte Station der China-Exkursion ist die Provinz-Hauptstadt Lanzhou. Am Programm steht neben der Besichtigung von "Landslides" und Tempeln auch ein letztes Treffen mit chinesischen KollegInnen, bei dem persönliche Eindrücke und E-Mail-Daten getauscht werden.

Tag 22. Nach der - durch sieben Toilettenpausen unterbrochenen - zehnstündigen Busfahrt erreichen wir Lanzhou, die Hauptstadt der Provinz Gansu. Die Stadt mit etwa 3,3 Millionen EinwohnerInnen liegt auf 1.518 Metern, ist umgeben von 4.000er-Bergen und wird vom Gelben Fluss geteilt. Über viele Jahrtausende bot die im Hochgebirge befindliche Stadt die einzige Überquerungsmöglichkeit des Gelben Flusses über viele 100 Kilometer flußauf- und –abwärts. Sie stellte somit eine Hauptstation der Seidenstraße dar. Diese Rolle wurde durch die von deutschen Ingenieuren im Jahr 1907 errichtete fixe Eisenbahnbrücke über den Gelben Fluss verstärkt.

Die ehemalige Bedeutung der Seidenstraße spiegelt sich heute zum Beispiel in der kulturellen Prägung der Region durch die Hui ChinesInnen (Muslime) wieder. Diese Minderheit ist nicht nur durch das Vorhandensein mehrerer Moscheen und vieler verschleierter Frauen in der Stadt Lanzhou ersichtlich, sondern auch durch die in ganz China sehr bekannte regionale Spezialität der "Beef Noodles", die wir genießen dürfen.

Unser nächster Halt befindet sich in einem Stadtteil von Lanzhou, in dem wir eine gravitative Massenbewegung aus dem Jahr 2009 besichtigen. Ausgelöst durch hohen Niederschlag in den damals vorangegangen Tagen starben durch diese 20.000 Kubikmeter große Hangbewegung sieben Menschen. Die geringe Opferzahl ist durch die frühzeitige Wahrnehmung der Risse in den Hängen von der lokalen Bevölkerung und daraus folgendes Verlassen der Wohnungen zu erklären. Zur Stabilisierung des Hanges und Protektion von weiteren Rillenerosionen wird ein Betongitter mit eingehämmerten Ankern in der Mitte errichtet. Oft werden gravitative Massenbewegungen in dieser Region auch durch Bewässerung der anthropogen gebildeten und landwirtschaftlich hoch aktiv genutzten Lössterrassen ausgelöst.

Nach einem kurzen Anstieg sehen wir mit unserem nun schon geschulten geomorphologischen Blick Tunnelerosionen, welche eine natürliche Entwässerung der Hänge darstellt. Im Laufe von mehreren tausenden Jahren entsteht diese Erosionsform in leicht erodierbaren Böden durch das vertikale Einsickern von Oberflächenwasser und dem horizontalen Wasserfluss, meist entlang einer wasserstauenden Schicht. Die Position der einzelnen Tunnel zeigt hier den Übergang von leicht erodierbarem darüber liegendem Lössboden zu darunterliegenden kompakteren Bodenstrukturen an. An diesen Horizonten kann das Wasser nicht mehr so leicht weitersickern, sondern fließt horizontal ab. Dabei wird viel Material erodiert und sorgt für große Tunnel innerhalb der Lössablagerungen.

Des Weiteren können wir hier umgelagerte Lösse und erodierte Sandsteinschichten erkennen, die leicht ins Tal geneigt sind. Die auffällig rote Färbung des Sandsteins deutet auf einen erhöhten Anteil an Eisenoxiden hin. Diese unterschiedlichen Ablagerungen des erodierten Sandsteins und des wiederabgelagerten Löss sind ein Indiz für Transport und Ablagerungen in einem damaligen fluvialen Milieu.

Danach besichtigen wir den "White Pagoda"-Tempel. Da der Bus wegen der engen Kurven die Straße nicht fahren konnte, müssen wir ganz unerwartet viele Kilometer zu Fuß zurücklegen. Der buddhistische Tempel wurde in der Yuan Dynastie – ca. 1206 bis 1368 – gebaut. Die buddhistischen Einflüsse in China gehen auf das erste Jahrhundert nach Christus zurück, als zentralasiatische Auswanderer diese Religion über die Seidenstraße verbreiteten. Von dieser Anhöhe aus hat man einen sehr weiten Blick über den südlichen Stadtteil. Die Stadt erstreckt sich ca. 70 Kilometer entlang des "Yellow River", wobei der eigentliche zentrale Bereich "nur" 20 Kilometer lang ist.

Nun ist leider der letzte gemeinsame Abend mit den chinesischen StudentInnen angebrochen. Beim gemütlichen und typisch chinesischen Abendessen sammeln wir noch Erfahrungen und Wissen und schildern uns gegenseitig die unterschiedlichsten Geschichten über die verschiedensten Eindrücke der gemeinsamen Exkursion. Emailadressen werden ausgetauscht, um den Kontakt auch trotz der großen Distanz aufrecht zu erhalten. Wir stoßen zum letzten Mal auf chinesische Art und Weise auf die vielseitige und aufschlussreiche Exkursion an.

Tag 23. Im Hotel der chinesischen Studierenden halten wir unser Abschlusstreffen im dortigen Konferenzraum ab. Zuerst hält Dr. Bai eine Rede: Er bedankt sich herzlich und weist nochmals auf die Vielzahl der in der Vorbereitungsphase verschickten E-Mails hin. Schließlich hält Professor Glade seine Rede, bedankt sich ebenfalls und motiviert uns nochmals, kritisch Sachverhalte zu hinterfragen und offen gegenüber neuen Ideen und Gedanken zu sein – und grundsätzlich erst einmal nichts zu glauben, sondern immer alles kritisch zu hinterfragen. Auch der extra aus Nanjing angereiste Vizedekan der Geographie an der Normal University in Nanjing, Professor Zhao Zhijun, bedankt sich und weist nochmals auf die Unterschiede der Kulturen und Möglichkeiten, die ein solch kultureller Austausch bietet, hin. Nach den verschiedenen Reden und Danksagungen erhalten wir in einer recht feierlichen Zeremonie ganz überraschend ein "Certificate of Attendance".

Nun ist es so weit: Wir besuchen unseren letzten "Landslide", unsere letzte gravitative Massenbewegung in China. Nach zehn Minuten Fußmarsch durch einen Stadtteil, der auf einer etwa 20.000 Jahre alten Rutschung erbaut wurde, kommen wir schließlich an der Stelle an, von der man die nur zehn Jahre alte Sekundärrutschung erkennen kann. Wie uns der führende Ingenieurgeologe der Landzhou University ausführt, nimmt man von dieser zweiten kleineren Rutschung an, dass sie durch ein Erdbeben ausgelöst wurde. Momentan bewegt sie sich mit etwa 20,6 Millimeter pro Jahr in vertikaler und 3,6 Millimeter in horizontaler Richtung. Auffällig ist, dass sehr viele neue, etwa ein Jahr alte und noch nicht vollständig fertiggestellte Hochhäuser, nahe der rund 300 bis 400 Meter entfernten Rutschung erbaut werden. Nach kurzem Überschlag werden dort etwa 11.000 Personen wohnen. Die Bevölkerung dieses Stadtteiles ist jedoch über das hohe Risiko ihrer Wohnregion informiert, versichert uns Dr. Bai. Des Weiteren wurde die Sicherheit der Bevölkerung durch Maßnahmen, wie zum Beispiel Drainage des Hanges bzw. Stabilisierung durch Anker, erhöht. Ob die eigentlichen Bauausführungen an das vorherrschende Risiko angepasst wurden, können wir leider nicht beurteilen.

Am Flughafen angekommen nutzen wir nach dem Einchecken und den Sicherheitskontrollen die Gelegenheit, die verschiedenen Eindrücke und Erlebnisse der letzten Tage abschließend zu besprechen. Es werden verschiedenste Themen im Kontext diskutiert: von Busfahrten, Museen, Rutschungen über soziale Gegebenheiten, Kommunikation in unserer Gruppe, bis zu Umwelt und Tourismus. Jeder wird gebeten, seine persönlichen positiven und negativen Highlights zu erläutern – es ergibt sich eine sehr interessante Vielfalt von ganz eigenen und individuellen Erfahrungen und Einschätzungen. Diese Form der Besprechung wurde wiederkehrend alle drei bis vier Tage während der Exkursion abgehalten und diente als Austausch von Meinungen, Informationen aber auch als Möglichkeit weitergehende inhaltliche Fragen zu stellen und wissenschaftliche Diskussionen aufzugreifen.

Tag 24. In Shanghai angekommen haben wir nach einer erholsamen Nacht unseren ersten freien Tag auf der 25-tägigen Exkursion. Dieser Tag wird unterschiedlich genutzt. Einige besuchen den "Fake Market" oder den Stoffmarkt und andere besuchen bereits bekannte Orte wie die Nanjing Road oder den People Square. Gemeinsamer Treffpunkt zum Ausklang der Exkursion ist schließlich um 17 Uhr vor dem "Jinmao Tower". Hier geht es 87 Stockwerke hinauf zur "Cloud 9 Bar", in welcher wir ein Getränk und den fabelhaften Ausblick über Shanghai genießen. So hoch über dem Boden haben wir die Möglichkeit, den unfassbaren Umfang und die Vielfalt von Shanghai zu erfassen und es mit dem Modell, das wir alle am ersten Tag unserer Exkursion im Stadtplanungsmuseum von Shanghai gesehen hatten, sowie mit allem bisher auch anderswo gesehenen zu vergleichen. Eine wunderbare Gelegenheit abermals die vielfältigen Einblicke, die diese Exkursion zu bieten hatte, zu diskutieren und zu verarbeiteten – und die Exkursion als Ganzes gebührend abzuschließen. Bei aller Vielfalt – jetzt freuen wir uns alle auf die gute und gewohnte österreichische Küche ...