Nächster Stopp ist Zhouqu: Die China-Exkursion führt die Studierenden der Universität Wien durch Bergtäler, wo die GeographInnen so einiges über Murensperren lernen, sowie ins Einzugsgebiet des Yangtze und des Gelben Flusses.
Tag 20. Wir sind nun in Zhouqu angekommen. Am 8. August 2010 hat im nahegelegenen Hochgebirge ein heftiger Niederschlag – innerhalb einer Stunde sind etwa 150 Millimeter gefallen – eine Mure ausgelöst. Die Menschen im Tal wurden von diesem Naturereignis völlig überrascht. Die Mure hat einen Großteil der Stadt, die vor der Naturkatastrophe dicht besiedelt war, zerstört bzw. begraben. Auf dem ehemaligen Ablagerungsgebiet wird seit 2012 alles neu aufgebaut und der Kanal vergrößert, um den Schaden einer potenziellen zukünftigen Mure möglichst gering zu halten.
Dieser Felsblock wurde von der Mure hier abgelagert und als Erinnerung an das Ereignis weder zerstört noch abtransportiert. Der Block zeigt, mit welcher Gewalt die Mure das Tal erreichte und welche Energie in solch einer Katastrophe steckt. Dieser Block ist einer der größten transportierten Blöcke mit einer geschätzten Masse von etwa 60 bis 70 Tonnen.
Als Mahnmal wurde dieses Monument errichtet. Dahinter sind die Namen der Todesopfer in Stein gemeißelt. Insgesamt sind bei dieser Katastrophe 1.765 Personen ums Leben gekommen, 33 Häuser wurden zerstört und 20 Häuser beschädigt. Die Mure blockierte auch den Fluss im Tal: Dieser staute sich auf und verursachte beim späteren Durchbruch weitere Schäden talabwärts.
Die Containerhäuser dienten während des Wiederaufbaus der Stadt als Wohnort für die Arbeiter, die mit der Errichtung der Schutzbauwerke beauftragt waren. Mittlerweile dienen sie als Unterkunft im regionalen Tourismus.
Auf dem Gelände der Containerhäuser sind Stellwände mit Informationen über die Zhouqu-Katastrophe, den Ablauf des Wiederaufbaus, politische Kundgebungen sowie Monitoring Systeme zu finden. Die BesucherInnen sollen sich über das Katastrophenausmaß bewusst werden. Die Monitoring Systeme zeigen Verbesserungspotenzial: Neben der Früherkennung könnte man verstärkt auf den weiteren Ablauf der Warnungskette – z.B. Warnung der AnwohnerInnen sowie Ausbau der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten verschiedener Personen – setzen. Wir erkennen außerdem keine fixe Struktur für Evakuierungen oder sonstige Rettungsaktionen.
Um eine Vorstellung von der zurückgelegten Murstrecke und den Dimensionen zu bekommen, folgen wir dem Tal bergauf. In der Region wurden seit 2010 insgesamt 15 Mursperren errichtet. Sieben dieser Mursperren sind in "unserem" Tal gebaut worden. Wir passieren die untersten vier und diskutieren über die dortigen Naturgegebenheiten sowie Konstruktionsweisen. Das Foto zeigt die unterste Mursperre, die auch den Eingang des Tales darstellt. Sie ist so konstruiert, dass sie die komplette Murmasse stoppen kann.
Direkt unterhalb der zweiten Mursperre befindet sich eine kleinere Gerinneverbauung. Diese soll die Geschwindigkeit des Wasserflusses reduzieren und damit die fluviale Erosion gering halten. So wird der darauf folgende steilere Gerinneabschnitt nicht so schnell eingetieft und die Unterspülung der Mursperre verringert sich massiv.
In dem Tal wurden schon früher Mursperren errichtet, die im Laufe der Jahre Sedimente aufstauten. Diese wurden jedoch nicht aus den Retentionsbecken ausgebaggert – die Mure von 2010 wurde durch das aufgestaute Material mobilisiert und hat die Mursperren durchbrochen. Das Foto zeigt einen dieser zerstörten Dämme und Reste des Akkumulationsmaterials früherer Muren.
Eine zweite Variante einer Murverbauung ist der Rückhalt großer Felsblöcke bei gleichzeitigem Durchlass von feinerem Material und Wasser. Uns überrascht, dass diese Sperre nur die Hälfte des Tales abdeckt. Die schräg versetzte Positionierung der stärkeren Pfeiler birgt die Gefahr, dass in der Murbremse auch feineres Material zurückgehalten wird. Das erschwert möglicherweise den Durchfluss.
Am höchsten Punkt unserer Wanderung fällt auf, dass das Retentionsbecken der sichtbaren Sperre vor allem im unteren Bereich sehr viel Material enthält. Würde dieses abtransportiert oder zumindest in Richtung der Berghänge verschoben, könnte man die Rückhaltekapazität stark erhöhen. Auf manchen Mursperren sind Sensoren angebracht, die die Höhe des abgelagerten Materials messen. Wird ein gewisser Grenzwert überschritten, erfolgt ein automatisierter Alarm. Die Frage ist nur: Was passiert bei einem Alarm genau – wer warnt wen, wann und wie schnell?
Wir besprechen die unterschiedlichen Farben der Felsblöcke. Helleres Gestein ist ein Indikator für eine kürzlich abgetragene oder "beanspruchte" Oberfläche. Eine dunklere Oberfläche weist hingegen darauf hin, dass sich das Gestein schon lange in seiner jetzigen Position befindet und der Verwitterung ausgesetzt ist. Letztere sind oft auch von Pflanzen (u.a. Flechten) bewachsen. Durch deren Datierungen könnte man z.B. feststellen, wie lange ein Block schon unbewegt an der Stelle liegt.
Das Material rechts im Bild stammt vom Bau der Straße. Es hat eine hellere Farbe, da es noch nicht so lange der Verwitterung ausgesetzt ist und erst vor kurzem bewegt wurde. Links ist der Verlauf der Mure erkennbar. Aus den Erosionserscheinungen und Ablagerungen schließen wir, dass die Mure größtenteils aus Wasser und Feinsedimenten bestand. Der Beginn des fluvialen Prozesses ist im rechten oberen Bereich des Bildes ersichtlich. Im unteren linken Teil des Tales wurden größere Felsbrocken aufgenommen, was u.a. zu dem verheerenden Ausmaß der Mure geführt hat. Daher spricht man streng genommen erst ab dem unteren Talabschnitt von einer Mure.
Wir verlassen Chengdu und erreichen das Tibetische Hochplateau, wo der buddhistische Einfluss sehr groß ist. Je weiter wir fahren, desto mehr Moscheen sehen wir.
Tag 21. Während der Busfahrt nach Lanzhou stoppen wir auf einem Pass von etwa 2.950 Metern Seehöhe. Hier ist der Beginn des Einzugsgebietes des Yangtze und des Gelben Flusses. Unsere Position ist genau auf der Wasserscheide der zwei riesigen Einzugsgebiete. Das Foto zeigt einen oberen Bereich des Yangtze Flusses. Das Tal ist steil und eng und daher vermutlich von früherer subglazialer und heutiger fluvialer Erosion geprägt. Die Distanz zum Yangtze River beträgt etwa 1.000 Kilometer. Bei klarem Wetter sieht man an dieser Stelle die umgebenden – und über 5.000 Meter hohen – Berge sehr gut.
Das Bild zeigt einen Teil des Einzugsgebiets des Gelben Flusses. Im Gegensatz zum vorigen Tal sind hier die Hänge eher flach und der Talboden breit. Dies ist ein Indiz für ein glazial geprägtes Tal. Wir sehen viele Sedimente, jedoch keine Endmoränen. Daraus schließen wir einen kontinuierlichen Rückzug des Gletschers seit der letzten Eiszeit. Genaue Beweise dafür sind jedoch nicht erkennbar. Die Distanz zum Yellow River beträgt in etwa 300 Kilometer. Fortsetzung folgt …