Die Exkursionsgruppe der Universität Wien ist nun in der Provinz Gansu angekommen. Hier hat das Erdbeben von 2008 zum Teil sichtbare Spuren hinterlassen. Die Geographiestudierenden besichtigen Lössterrassen, "Checkdams" und erfahren, wie in China Schutzmaßnahmen gegen Hangrutschungen funktionieren.
Tag 18. Wir fahren von Jiuzhaigou nach Norden in die Provinz Gansu. Das Landschaftsbild ist nun von mächtigen Lösshängen geprägt. (Anm.: Löss ist ein homogenes, ungeschichtetes, hellgelblich-graues Sediment) Im Tal Baozhi Ba besprechen wir die beeindruckenden Lössterrassen an den Hängen. Der Löss breitet sich in diesem Gebiet seit etwa zweieinhalb Millionen Jahren aus. Er wurde durch Wind im Hochland von Tibet ausgeweht und hier abgelagert. Durch gravitative Massenbewegungen wandert der Löss talwärts, wodurch er zur Entstehung von besonders fruchtbaren Böden entlang des Flusses beiträgt. Die gesamte Region wird seit etwa 2.000 Jahren von Menschen landwirtschaftlich genutzt. Um den Ertrag zu steigern, werden die landwirtschaftlichen Nutzflächen zusätzlich bewässert. Dies kann zu einer Übersättigung des Bodenkörpers führen. Das wiederum kann Hangbewegungen enorm beschleunigen. Aufgrund der horizontalen Lage der Terrassen sowie der aufrechten Position der Bäume schließen wir jedoch auf eine derzeit eher geringe Abwärtsbewegung der Hänge.
Auf einem Pass von etwa 3.000 Metern Höhe können wir Hänge ohne Löss sehr gut mit den tieferliegenden Lössterrassen vergleichen. Ein steileres Gefälle und hangparallele bzw. fehlende Terrassen sind charakteristisch für lössfreie Gebiete. Beim Vergleich dieser Gebiete mit den Höhenlagen Europas fällt uns mitteleuropäischen StudentInnen sofort auf, dass Hänge in einer solchen Höhe in Europa eine komplett andere bzw. gar keine Vegetation aufweisen würden.
Nach mehrstündiger Busfahrt erreichen wir unseren dritten und letzten Haltepunkt unweit der Stadt Longnan, in der wir die nächsten Tage verbringen werden. Hier wandern wir durch ein ausgetrocknetes Flussbett, in dem etwa alle zehn Jahre starke Murenabgänge stattfinden. Um die angrenzende Siedlung vor Zerstörungen zu schützen, wurden verschiedene Typen sogenannter "Checkdams" – einer Art Staudamm mit Retentionsbecken – errichtet. Das Bild zeigt einen freigeräumten Damm, der neben kleineren Durchlässen zur Entwässerung des angestauten Materials auch eine größere Öffnung am Boden aufweist. Das ermöglicht einen größeren Wasserdurchfluss.
Oberhalb des freigeräumten Dammes befinden sich Dämme mit nur kleinen Öffnungen – mit dem Ziel den Durchtransport der Feinsedimente zu stoppen. Das Bild zeigt einen völlig mit Material gefüllten Damm, unter dem sich auch grobe Felsblöcke befinden. Falls solche Felsblöcke mobilisiert werden und auf den Damm treffen, könnten deren große Masse und Geschwindigkeit den Damm sofort zerstören. Eine weitere ernstzunehmende Gefahr für "Checkdams" sind Starkregenereignisse: Diese können die angestauten Sedimente in Bewegung setzen und somit zu einer seitlichen Erosion des an die Dämme angrenzenden Hanges führen. Daher ist für die Planung solcher Dämme und Retentionsbecken ein sogenanntes Bemessungsereignis – eine Schätzung des maximal zu erwartenden Niederschlags und dem daraus resultierenden Abfluss und Sedimenttransport – ausschlaggebend.
Im Abflussbereich, der sich in der Siedlung befindet, fällt uns ein wenig zweckmäßig angelegter Weg auf. Dieser führt direkt aus dem Flussbett auf das oberste Niveau des Begrenzungsdammes hinauf. Bei völliger Durchflutung würde dieser Weg als Blockade fungieren, da der Abflussquerschnitt sich an dieser Stelle fast auf die Hälfte reduziert. Das könnte zu einer Blockade führen und das Geröll mit Feinsediment und vor allem das Wasser würde über den Damm in den Siedlungsbereich verfrachtet werden.
Tag 19. Nördlich der Stadt Longnan besuchen wir zwei Bergdörfer. Hier hat das Wenchuan-Erdbeben von 2008 deutliche Spuren hinterlassen. Das Dorf Sanjiadi mit 1.700 EinwohnerInnen befindet sich zur Gänze auf einer Hangrutschung, die sich langsam hangabwärts bewegt. Als diese 2008 durch das Beben ausgelöst wurde, kamen 90 Menschen ums Leben, wobei alle durch den Einsturz von 52 Häusern getötet wurden. Die beiden Bäume auf dem Bild stehen vier Meter voneinander entfernt – vor der Hangrutschung waren es zwei Meter.
Einige Meter daneben befindet sich ein sogenanntes Extensometer: Es misst Bewegungen des Hanges mit Hilfe einer sich beim Vorwärtsrutschen der Oberfläche spannenden Schnur. Sechs weitere Extensometer befinden sich in unmittelbarer Nähe. Sie wurden mit Hilfe der zentralstaatlichen 20-Millionen-Yuan-Unterstützung, welche u. a. zum Bau von 50 Schutzdämmen genutzt wurde, finanziert.
Auch die teilweise aus Löss gebauten Häuser und Mauern trugen beim Wenchuan-Erdbeben 2008 erhebliche Schäden davon – sofern sie nicht zu den 70-80 Prozent jener Häuser in Xiali gehören, die völlig zerstört wurden. Die in der Erde verankerten und die Lösswände stabilisierenden Holzpfeiler wurden während des Erdbebens massiv ins Schwanken gebracht. Dabei entstanden insbesondere entlang der Holzpfeiler ausgeprägte Risse. Ein solcher ist auf dem in Xiali aufgenommenen Foto sehr gut sichtbar.
Löss wird nicht nur als Baumaterial herangezogen. Auch in den Sedimentskörper selbst werden Hohlräume gegraben, wie dieses Bild zeigt. Menschen nutzen das sehr weiche Material, um beispielsweise Stauräume aller Art darin zu schaffen. Die Weichheit des Lösses bedeutet allerdings auch eine starke Erodierbarkeit, was eine hohe Einsturzgefahr mit sich bringt. Teilweise werden diese Hohlräume noch heute zur Heulagerung genutzt.
Um im Falle drohender Hangrutschungen Schutzmaßnahmen treffen bzw. die Bevölkerung frühestmöglich warnen zu können, befindet sich im Innenhof des Bürgermeisterhauses von Xiali ein Regenmesser. Damit überwacht er die Niederschlagsmenge laufend. Ab einem Niederschlagswert von 80 Millimeter wird Vorsicht geboten, ab 100 Millimeter alarmiert der Bürgermeister die Bevölkerung. Zusätzlich kann der Bürgermeister von der Warnzentrale der Region angerufen und informiert werden. Für den Katastrophenfall befindet sich an jedem Haus ein Informationsblatt, das genau regelt, wohin jede Familie gehen muss. Fortsetzung folgt …