Dimensionen sprachlicher Gewalt

Sprache und Gewalt sind untrennbar miteinander verbunden, davon ist Sprachphilosoph Gerald Posselt überzeugt. uni:view besuchte einen Vortrag, in dem er die Dimensionen sprachlicher Gewalt erörtert – auch, aber nicht nur im Genderkontext.

"Sprechen statt Schlagen": Sprache und Gewalt scheinen einander gegensätzlich gegenüberzustehen. Doch wie sind hate speech, Propaganda oder medial aufbereitete Gewaltvideos einzuordnen? Diese Formen der sprachlichen Gewalt bringen das gewachsene Oppositionsverständnis von Sprache und Gewalt ins Wanken. Für den Sprachphilosophen Gerald Posselt ist das ein Grund, um genauer hinzusehen: In einem FWF-Projekt (zum Artikel in uni:view) widmet er sich dem komplexen Verhältnis von Sprache und Gewalt. Im Rahmen der Ringvorlesung Genderlinguistik stellt er aktuelle Forschungsergebnisse vor.

Unsere uni:view-Redakteurin war bei einem Vortrag des Philosophen Gerald Posselt über Sprache und Gewalt im Rahmen der Ringvorlesung Genderlinguistik mit dabei. Mehr Informationen zur Lehrveranstaltung auf u:find. (Foto: Universität Wien)

Nicht trennbar: Sprache und Gewalt

Sprache lässt sich nicht von Gewalt trennen, so die These Posselts. Denn: Sprache ist nicht nur deskriptiv, sondern auch performativ. "Die Art, wie wir bestimmte Ereignisse benennen, bestimmt, wie wir diese wahrnehmen und bewerten. So macht es zum Beispiel einen Unterschied, ob wir von 'Vertreibung', 'ethnischer Säuberung' oder 'Genozid' sprechen", erklärt Posselt in der Vorlesung. Sprache sei somit nicht nur ein reines Kommunikationsmittel, sondern berge immer auch ethische und politische Implikationen.

Was ist Gewalt?


Das gilt übrigens auch in der Gewaltforschung: Die Definition von Gewalt, die Festlegung also, was als Gewalt klassifiziert wird und was nicht, impliziert bereits selbst ein gewaltsames Moment. "Wenn gewisse Handlungen nicht als Gewalt gesehen und anerkannt werden, wird auch den Opfern das Recht auf Schutz oder Wiedergutmachung abgesprochen, ein Beispiel hierfür ist zum Beispiel die Diskussion um Vergewaltigungen in der Ehe", erklärt Posselt.

Anleihe aus der feministischen Linguistik und Queer Theory

Wichtige Erkenntnisse gewinnt der Sprachphilosoph auch aus der feministischen Linguistik und Queer Theory. Denn bereits über solche einfachen Mechanismen wie SprecherInnenwechsel, gegenseitige Unterbrechungen oder die Aufteilung der Redezeiten wird Macht ausgeübt. "Darüber hinaus bestimmen die Strukturen, Normen und Konventionen der Sprache nicht nur, was sich sagen lässt, sondern auch, wer in Erscheinung zu treten vermag und wer vom Raum des Sprechens ausgeschlossen bleibt", wie Posselt betont.

Was Gerald Posselt an diesem Nachmittag im Hörsaal A am UniCampus zeigt: Sprachliche Gewalt ist – nicht nur, aber auch – im Genderkontext relevant. Mit seinen Ausführungen zu Sprache und Gewalt bringt Gerald Posselt eine neue Perspektive in die sprachwissenschaftliche Ringvorlesung. (red)

Im Sommersemester 2017 lehrt Gerald Posselt Rhetorik und Argumentationstheorie, Einführung in die Sprachphilosophie, Theorien der Zeugenschaft am Institut für Philosophie.   

Gerald Posselt studierte Philosophie, Germanistik und Physik an der Universität Freiburg. Er war Visiting Scholar an der UC Berkeley, nahm an einem Graduiertenkolleg an der Viadrina in Frankfurt an der Oder teil und forschte an der Amsterdam School of Cultural Analysis. 2002 kam der Wissenschafter für ein Forschungsprojekt nach Wien und nahm zwei Jahre später seine Lehrtätigkeit am Institut für Philosophie der Universität Wien auf. (Foto: Stefan Scherhaufer)