Kein Internet ohne Gender
| 08. Februar 2017Das Internet als "genderless utopia"? Weit gefehlt: Mit aktuellen Ergebnissen aus der Genderlinguistik im Gepäck zeigt Sprachwissenschafterin Karin Wetschanow auf, dass Geschlecht nach wie vor eine zentrale Kategorie ist – online und offline. uni:view war beim Vortrag mit dabei.
Ist das Internet ein genderloser Raum? Mit dieser Frage eröffnete Karin Wetschanow ihre Vorlesung, in der es um Gender und computervermittelte Kommunikation gehen soll. Die Studierenden sind sich uneinig: Auf Dating-Plattformen ist Gender eine zentrale Kategorie, in Foren oder Gaming-Situationen sind die UserInnen aber anonym, das Geschlecht spielt eine untergeordnete Rolle.
Unsere uni:view-Redakteurin war bei einem Vortrag von Sprachwissenschafterin Karin Wetschanow über Gender und computervermittelte Kommunikation im Rahmen der Ringvorlesung Genderlinguistik mit dabei. Mehr Informationen zur Lehrveranstaltung auf u:find (Foto: Universität Wien)
Und tatsächlich: Das Internet ist prinzipiell als demokratisches Medium angelegt, in dem Körper weitgehend irrelevant sind. Geschlechtergrenzen könnten also verschwimmen, mit Gender könnte gespielt werden, und UserInnen sich in unterschiedlichen Identitäten bewegen. Dieser Hoffnung auf eine "genderless utopia" steht Laurie Pennys Befund eines lebendigen "Cybersexismus" gegenüber, so die Sprachwissenschafterin Wetschanow, Lektorin am Institut für Sprachwissenschaft. GenderlinguistInnen beschäftigen sich mit Phänomenen wie Hate Speeches, die queere Räume und Plattformen betreffen, Cybermobbing, Anti-Feminismus im Netz, Trolling (Anm.: Kommentare abgeben, die andere UserInnen provozieren) und Mansplaining (Anm.: Männliche Laien erklären weiblichen Expertinnen die Welt).
Keine Frauennetzwerke, aber Männernetzwerke
"Das Internet ist lediglich eine Erweiterung der zivilen Öffentlichkeit, gesellschaftliche Strukturen werden dementsprechend übernommen", so Wetschanows These. Geschlecht spielt also eine Rolle, Beweis dafür liefert neben psychologisch-ethnografischen Studien u.a. eine Forschungsgruppe zur Twitter-Politik der Universität Wien. Immer mehr PolitikerInnen, JournalistInnen und AktivistInnen nutzen Twitter, um innenpolitische Themen zu diskutieren.
In der breit angelegten Studie am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft von Julian Ausserhofer, Axel Maireder und Axel Kittenberger aus dem Jahr 2012 kam zu Tage, dass Frauen in der Polit-Kommunikation auf Twitter stark unterrepräsentiert sind und es kaum nennenswerte Frauennetzwerke gibt. Obwohl UserInnen auf Twitter ihre Nachrichtenquellen selbst wählen können, ist der dichte Netzwerkkern – und somit die Meinungsmache auf Twitter – von Männern dominiert.
Keine Frauen-, aber Männernetzwerke: Österreichs Polit-Kommunikation auf Twitter wird von Männern dominiert, nur die Journalistinnen @corinnamilborn und @isabelledaniel werden im Politik-Profi-Netzwerk häufiger erwähnt. (Grafik: Studie Twitterpolitik von Julian Ausserhofer, Axel Maireder, Axel Kittenberger 2012)
Mehr Marketing, weniger Ideologie
"Social Media Foren wie Facebook ergreifen nun auch sprachpolitische Maßnahmen", berichtet Wetschanow, während sie im Hintergrund die Liste der 60 im deutschsprachigen Facebook zu wählenden Genderoptionen an die Wand des Hörsaals projiziert. Androgyn, Pangender oder trans* heißt es da – Facebook-UserInnen haben mittlerweile die Möglichkeit, sich in ihrem Profil der Geschlechterbinarität zu entziehen – auch durch "geschlechtsneutrale" Verwandtschaftsverhältnisse und Pronomen.
"Dahinter steckt aber nicht unbedingt Ideologie, sondern ein ökonomisches Interesse", so die Vortragende und verweist auf den Soziologen Matthew Sparkes, der Marketingstrategien von Facebook untersucht: Genderpronomen werden ihm zufolge gezielt für Werbezwecke und -einschaltungen eingesetzt.
Guess who …
Gender sei nämlich eine relevante Kategorie für Werbung und Meinungsforschung, betont Wetschanow. Demzufolge gibt es großes Interesse an SocialMediaAnalyseTools, die das AutorInnengeschlecht durch automatisches "Genderguessing" durch reine Textanalysen bestimmen. Wetschanow hat selbst an einem solchen Projekt für den deutschsprachigen Raum mitgearbeitet. Riesengroße Textmengen aus Weblogs, E-Mails, Diskussionsforen, Social Network Sites, Micro-Blogs wie Twitter oder Chats werden maschinell durchforstet, um "typisch männliche" und "typisch weibliche" Kommunikationselemente zu bestimmen.
"Bei diesen Forschungen kommen oft stereotypisierte, binäre Vorstellungen von Geschlecht zum Tragen", kritisiert die Sprachwissenschafterin. Das Ergebnis der Geschlechtsbestimmung ist oftmals ernüchternd: In nur 60 bis 70 Prozent der Fälle kann das AutorInnengeschlecht "richtig" zugeordnet werden. "Ein bisschen besser als raten", kommentiert Wetschanow und weist auf die Relevanz der jeweiligen Kommunikationssituationen hin.
"Was nehmen Sie aus diesem Vortrag mit?" – zum Abschluss der Vorlesung im Hörsaal A am UniCampus sind die Studierenden aufgefordert, ein "Fünf-Minuten-Paper" zu verfassen. Papier, Stifte, nachdenkliche Gesichter: Geschlecht ist (noch immer) eine omnipräsente Kategorie, online und offline, dafür hat Wetschanow an diesem Nachmittag sensibilisiert. (hm)
Im Sommersemester 2017 lehrt Karin Wetschanow Genderspezifische Kommunikationskompetenz am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Theorie und Praxis des Lehrens und Lernens in der LehrerInnenbildung und Das Exposé am DoktorandInnenzentrum.
Karin Wetschanow studierte angewandte Sprachwissenschaft in Wien, war dort von 1999 bis 2002 als Vertragsassistentin tätig und arbeitet seither als freie Lektorin und Wissenschafterin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Feministischen Linguistik, der Kritischen Diskursanalyse und der Schreibforschung. Ihr Hauptinteresse gilt der feministischen Sprachkritik- und Sprachplanung. Für das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur verfasste sie Guidelines für geschlechtergerechtes Formulieren. (Foto: privat)