5 Jahrzehnte ICA: Angelina Pollak-Eltz im Gespräch

Im Dossier "Amerika in Wien" berichten Studierende über den International Congress of Americanists (ICA), der heuer an der Universität Wien stattfindet. Erhard Hackl sprach mit der langjährigen Kongressteilnehmerin Angelina Pollak-Eltz über Veränderungen in der Forschungslandschaft im Lauf von fünf Jahrzehnten.

Frau Prof. Pollak-Eltz, in welchem Jahr haben Sie zum ersten Mal am Amerikanistenkongress teilgenommen?
Angelina Pollak-Eltz: 1966 Mar del Plata, in Argentinien. Dort waren wir nicht mehr als 400 Delegierte. Für mich war das alles ganz neu. Ich hatte gerade meine Promotion in Wien gemacht, lebte aber in Venezuela. Durch die Kongressteilnahme habe ich sehr viele Leute kennengelernt. Aus Europa waren damals nur wenige angereist, das Gros der Leute kam aus Nordamerika. Ich war sozusagen die österreichische und venezolanische Delegierte gleichzeitig. Es gab einige Streitgespräche – damals war es nicht so, dass jeder nur 20 Minuten reden konnte und es dann fünf Minuten Diskussion gab, es konnte auch eine halbe Stunde referiert und eine halbe Stunde diskutiert werden, oder länger. Man ist dann in Autobussen gemeinsam nach Buenos Aires weitergefahren, da wurde auch im Bus noch diskutiert.


Angelina Pollak-Eltz wurde 1932 in Wien geboren. Nach dem Schulbesuch in Österreich studierte sie an Colleges in den USA, im italienischen Perugia und in Genf in der Schweiz. Sie zog dann nach Venezuela, studierte aber weiterhin an der Universität Wien Völkerkunde und Anthropologie (Promotion 1964). Pollak-Eltz lehrte dreißig Jahre an der Universidad Católica André Bello in Caracas. Seit einem Jahr lebt die inzwischen 80-Jährige wieder in Wien. (Foto: Erhard Stackl)



Beim darauffolgenden ICA, 1968 in Stuttgart, waren Sie auch dabei?
Pollak-Eltz: Ja, der fand bewusst zwei bis drei Wochen vor einem Weltkongress der Anthropologie in Tokio statt, zu dem dann manche Teilnehmer gleich direkt weitergereist sind. Nach Stuttgart war u.a. Otto Zerries aus Venezuela gekommenen, der bei den Yanomami im venezolanisch-brasilianischen Amazonasgebiet gearbeitet hatte. Das war noch Völkerkunde im alten, traditionellen Sinn. Zu dieser Zeit lebte Robert Heine-Geldern, der Organisationsleiter des 34. ICA 1960 in Wien noch. Er war zuvor von der UNESCO beauftragt worden, die Forschung zu organisieren – bei Völkern, die in Gefahr standen, ausgelöscht zu werden. Für diese Organisation wurde in Wien das angesehene "Bulletin of the International Committee on Urgent Anthropological and Ethnological Research" herausgegeben.

Heine-Geldern war aber eigentlich Südostasien-Experte?

Pollak-Eltz: Da gab es schon beim ICA 1962 in Mexiko-Stadt einen Kampf mit dem damaligen mexikanischen Kongressvorsitzenden Ignacio Bernal, weil Heine-Geldern erklärt hat, die Hochkulturen Mexikos seien von Ostasien gekommen, wovon die Mexikaner nichts wissen wollten. Heine-Geldern hat viele Beweise vorgebracht, er erwähnte den Kalender, bestimmte Arbeiten aus Lack und die Stufenpyramiden – in Tikal gibt es Stufenpyramiden gleicher Art wie in Asien. Später haben dann Forscher versucht, mit einem nachgebauten Boot dieser Zeit auf dem Seeweg von Asien nach Mexiko zu gelangen. Das Boot ist zwar gekentert, die Reste sind aber in Amerika angekommen – ein Beweis, dass diese Strömungen da waren. Heute ist diese Theorie kein Thema mehr.

Das haben Sie aber noch nicht selbst miterlebt?
Pollak-Eltz: Damals war ich noch nicht fertig mit meinem Studium. Es war eine besondere Art von "Fernstudium", weil ich damals in Caracas lebte und meine Kinder dort geboren wurden. Ich kam aber zwischendurch immer wieder nach Wien, das war von 1959 bis 1963. Im Jahr 1964 habe ich mein Doktorat gemacht. Die Völkerkunde war damals gemütlich, das Institut lag nahe den Ställen der Lipizzaner, es gab nur 60 Studierende, einige im Haupt-, andere im Nebenfach. Alle haben einander gekannt und konnten mit den Professoren reden, es gab Zeit und Ruhe.

Der anschließende Kongress, der 49. ICA, fand 1970 in Lima statt ...
Pollak-Eltz:
Ja, das war recht interessant. Dort gab es mehr Südamerikaner, während in Stuttgart mehr Europäer teilgenommen haben. In Peru drehte sich sehr viel um die Archäologie, es gab Vorträge peruanischer und US-amerikanischer Archäologen. Auch das Thema Kolonialgeschichte stand auf dem Programm. Später besuchten die KongressteilnehmerInnen die Anden, wir fuhren zur Inka-Ruinenstadt Machu Picchu nach Cusco, und unternahmen eine Dampfschifffahrt auf dem Titicacasee nach Bolivien hinüber. Heute ist Reisen nicht mehr so romantisch ...

Was für Themen standen beim 50. ICA in Genua und Rom auf dem Programm?
Pollak-Eltz:
Den hat Ernesta Cerulli organisiert, die genau genommen Afrikanistin war. Sie war sehr an meinen afroamerikanischen Studien interessiert, auf die auch ich mich in Venezuela spezialisiert hatte. Ende der 1980er Jahre hat mich Cerulli in Caracas besucht. In Rom, aber auch schon in Lima, gab es erste Symposien zu afroamerikanischen Themen. Meine erste Arbeit über die afrikanischen Elemente in der Volkskultur Venezuelas kam schon 1966 (in Freiburg in Deutschland) heraus, und später habe ich immer wieder über diese Themen gearbeitet. In diesen Jahren begann das Interesse an afroamerikanischer Religion und Kultur und an der Geschichte der Sklaverei. 1972 in Rom und dann 1974 in Mexiko waren diese Themen dann schon ziemlich aktuell.

Der nächste "europäische" ICA war dann 1976 in Paris.
Pollak-Eltz:
Ja, den hat Claude Lévi-Strauss organisiert. Für mich war besonders interessant, dass einige Delegierte aus Afrika am Kongress in Paris teilnahmen. Ich war schon Ende der 1960er Jahre in den Senegal eingeladen worden, wo der Dichter und Intellektuelle Leopold Senghor Präsident war. In der Nähe von Dakar zeigte man uns die Stelle, wo früher die Sklaven auf die Schiffe gebracht worden sind.

Es heißt, dass Lévi-Strauss damals die Ethnologie revolutioniert hat. Wie sehen Sie das?

Pollak-Eltz: Ja, es gab viele Diskussionen über den Strukturalismus, von dem man heute aber überhaupt nicht mehr spricht. Seltsamerweise ist Lévi-Strauss bald nach dem Kongress mehr oder weniger verschwunden. Man hat nicht mehr viel von ihm gehört. 1979 war dann in Vancouver ein gemütlicher Kongress, weil die Stadt sehr schön gelegen ist, aber quasi am Ende der Welt, und nicht viele Leute hinkamen. Dort waren natürlich die nordamerikanischen Indigenen das Hauptthema, Archäologie gab es schon viel weniger. Dann kam Manchester (1982), ab da wurden die Kongresse immer größer, es ging immer mehr durcheinander. Der nächste ICA fand in Bogota statt (1985), an sich gut organisiert. In der kolumbianischen Hauptstadt gab es damals aber viele Flüchtlinge aus dem Landesinneren, die frierend dort saßen. Es war eine sehr unsichere Phase mit viel Mord und Todschlag. Ich leitete dort ein Symposium zu afroamerikanischen Themen.

Die nächsten Kongresse waren in Amsterdam (1988), New Orleans (1991) und Stockholm (1994). Woran erinnern Sie sich da besonders?
Pollak-Eltz:
Vor allem an Stockholm. Dort hat ein in Amsterdam lebender Professor aus Surinam ein Projekt vorgestellt, bei dem mit EU-Geld Lateinamerikaner als Experten für afroamerikanische Probleme ausgebildet werden sollten. Aus dem ganzen Projekt wurde nichts, die EU hat nur unserem Vorbereitungskomitee mehrere Reisen bezahlt.

Und der Kongress selbst, der in Stockholm und Uppsala abgehalten wurde?
Pollak-Eltz:
Da gab es schon an die 1.500 oder sogar mehr Teilnehmer. Die Themen waren sehr stark sozialanthropologischer Natur. Heute gibt's so viel Anthropologie, dass die eigentliche Völkerkunde fast keine Themen mehr für sich findet – die schriftlosen Völker. Aber es gibt sie ja kaum mehr. Mitglieder dieser sogenannten schriftlosen Völker studieren jetzt auch an der Uni und machen dann ein Doktorat über ihr schriftloses Volk. Da hat sich vieles geändert. Ich habe mich mehr und mehr für afroamerikanische Religionen interessiert. Und in allerletzter Zeit, seit fast zehn Jahren, interessiere ich mich für die Pfingstlerbewegungen, also für moderne protestantische Sekten. Beim ICA- Kongress 1997 in Quito gab es ein interessantes Symposium mit Professoren, die ebenfalls die Pfingstler studieren. Später haben wir die Resultate als Buch herausgegeben (El Pentecostalismo en América Latina hoy, introducción; 49th International Congress of Americanists, 1997, Quito. Verlag Abya-Yala, Quito 1998). Auch das war das Ergebnis eines Amerikanistenkongresses.

Das Gespräch führte Erhard Stackl, Teilnehmer des Interdisziplinären Universitätslehrgangs für Höhere Lateinamerika-Studien der Universität Wien und des Österreichischen Lateinamerika-Instituts.